Was am Donnerstagabend geschah, wäre vermutlich in jedem westeuropäischen Land ein Skandal: Abgeordneten einer demokratischen Partei werden Sitze in parlamentarischen Gremien verweigert[1]. In dieser Bundesrepublik aber muss sich eine der Betroffenen in einem öffentlich-rechtlichen Sender für ihre Nichtwahl rechtfertigen: Heidi Reichinnek[2], Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, abgelehnt als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Tätigkeit der Nachrichtendienste überwacht. Die Schlagzeilen, rechtsextrem wie linksextrem blieben außen vor, habe Die Linke durch ihre kontroverse Personalentscheidung selbst zu verantworten, meinte die Interviewerin dazu am Freitagmorgen im Deutschlandfunk.
Wird da also die Erzählung übernommen, es liege an der Personalie Reichinnek, die nicht »seriös« und keine Demokratin sei, weil sie gesagt hat, der Kapitalismus müsse weg und die Kolleg*innen im Bundestag aufgefordert hat, »auf die Barrikaden« zu gehen? Reichinnek erinnerte daran, wie es dazu kam. Kurz zuvor hatte der damalige Unionsfraktionschef und heutige Bundeskanzler mit der extrem rechten AfD kollaboriert[3]. Das ist übrigens die Partei mit den Massendeportationsplänen, gegen die im Januar 2024 auch CDU- und CSU-Politiker demonstrierten. Die Partei, für die der Wert eines Menschen davon abhängt, welche Hautfarbe, welche Religion er hat und davon, wie wenig er »dem Staat« auf der Tasche liegt.
Reichinnek forderte mit Blick darauf nichts anderes, als dass Demokraten vehement für den Erhalt der Demokratie und gegen die Normalisierung einer faschistoiden Partei kämpfen müssen. Stattdessen hat die SPD inzwischen den Part der AfD übernommen: Sie stimmt mit der Union für alles[4], was ihr damaliger Kanzler noch im Januar als klaren Rechtsbruch und Verletzung von Grundrechten abgelehnt hatte.
Aber natürlich wurde Heidi Reichinnek nicht abgelehnt, weil sie Heidi Reichinnek ist. Ebenfalls am Donnerstag fielen mit Ines Schwerdtner und Tamara Mazzi zwei weitere Linke-Politikerinnen bei der Wahl von Gremien durch, die mit Geheimhaltung zu tun haben. Gegen sie gab es keine Kampagne, in der ihre Kompetenz infrage gestellt wurde. Also liegt es doch an der Partei als solcher. Nicht umsonst gruben Unionspolitiker und bestimmte Medien wieder mal die Hufeisentheorie aus. Diese Propagandaerzählung suggeriert, »rechts« und »links« bildeten gleichermaßen die »Ränder« der Gesellschaft ab, die sich wie die Enden eines Hufeisens irgendwie auch ähneln und nahe sind.
Jenseits all dessen haben die CDUler, CSUler und AfDler, die gegen Reichinnek, Schwerdtner und Mazzi stimmten, sich enthielten oder ungültig wählten, mutmaßlich auch noch etwas gegen junge Frauen. Denn ein Linke-Bewerber wurde angenommen: Dietmar Bartsch für das sogenannte Vertrauensgremium.