nd-aktuell.de / 29.06.2025 / Politik

Erneuerung der SPD: Kein grundlegender Wandel in Sicht

Die SPD kündigt seit Jahren Erneuerungen an. Sichtbar ist das nur in der Geopolitik

Aert van Riel
Auch die Gesten der Erneuerung sind noch zu verbessern: Lars Klingbeil im Willy-Brandt-Haus
Auch die Gesten der Erneuerung sind noch zu verbessern: Lars Klingbeil im Willy-Brandt-Haus

Nach einem historisch schlechten Wahlergebnis ist allen in der SPD klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Der Parteivorsitzende [1]kündigt eine tiefgreifende Erneuerung an. Diese müsse umfassend sein – organisatorisch, strukturell und strategisch, erklärt er. »Wir bleiben die linke Volkspartei, die unsere Demokratie verteidigt, die dafür arbeitet, dass es in unserem Land gerecht zugeht. Aber wir müssen uns auch weiterentwickeln und mutig die Zukunft beschreiben.« Diese Sätze stammen von Martin Schulz aus dem Jahr 2017, der kurze Zeit später gehen musste.

Siebeneinhalb Jahre später verkünden die Sozialdemokraten mit fast identischen Formulierungen erneut einen Neuanfang. Wie damals soll die Parteibasis eng in diesen Prozess eingebunden werden. Damals bestimmten die Mitglieder zwei eher linke neue Parteivorsitzende, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Nun soll mithilfe der SPD-Basis ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet werden. Dieser Prozess wird auf dem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Berlin eingeläutet.

Dass die Sozialdemokraten ihre innerparteiliche Demokratie, die auch Abstimmungen über Eintritte in Koalitionen mit der Union[2] beinhaltete, weiterentwickelt haben, lässt sich nicht bestreiten. Allerdings ist es ihr damit nicht gelungen, den Abwärtstrend nachhaltig zu stoppen. Auf den knappen Sieg bei der Bundestagswahl 2021 folgte das Desaster 2025 mit nur noch 16,4 Prozent der Stimmen.

Basisbefragungen und Personalwechsel an der Spitze haben in vielen Bereichen der SPD-Politik[3] keinen grundlegenden Wandel bewirkt. Der bei Linken in und außerhalb der Partei verhasste Begriff »Hartz IV« wurde durch das menschenwürdiger scheinende Wort »Bürgergeld« ersetzt. Doch auch nach der Namensänderung droht den Empfängern Armut per Gesetz. Die Sanktionen gegen Erwerbslose, die als »unkooperativ« gelten, werden wieder verschärft. Nicht nur hier zeigt sich das Erbe des einstigen Kanzlers Gerhard Schröder, der von »fördern und fordern« sprach. Auch dessen Steuersenkungen für Spitzenverdiener hat die SPD, trotz Ankündigungen in ihren Wahlprogrammen, nie rückgängig gemacht. Gleichzeitig werden nun Rekordsummen für das Militär ausgegeben, und in anderen Bereichen drohen deswegen drastische Kürzungen.

Die beiden Politiker, die zentrale Rollen bei diesen Entscheidungen spielen, sollen die SPD künftig anführen. Dafür wurde Finanzminister Lars Klingbeil auf dem Parteitag erneut zum Vorsitzenden gewählt. An seiner Seite steht Arbeitsressortchefin Bärbel Bas[4]. Somit achten die Sozialdemokraten auf Flügel- und Geschlechterproporz: Bas ist vom linken Flügel. Sie steht zwar für Sanktionen gegen Erwerbslose, kämpft aber immerhin auch für eine Erhöhung des Mindestlohns[5] auf 15 Euro, was angesichts der Inflation für viele Menschen jedoch nur eine geringe Hilfe sein wird.

Lars Klingbeil hat als junger Student die Agenda-2010-Politik von Gerhard Schröder aus nächster Nähe erlebt. Er arbeitete von 2001 bis 2003 in dessen niedersächsischem Wahlkreisbüro. Beide standen sich lange persönlich und politisch nahe. Dies gilt für Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik, aber nicht für die Außenpolitik. Schröder hatte den Irak-Krieg der USA unter Präsident George W. Bush ab dem Jahr 2003 zum Anlass genommen, sich außenpolitisch von den Vereinigten Staaten zu emanzipieren und an einer Achse mit Russland und Frankreich zu arbeiten.

Klingbeil ist Mitglied im deutsch-US-amerikanischen Netzwerk Atlantik-Brücke, das eng mit der Nato verbunden ist und Veranstaltungen zur zukünftigen Rolle des Militärbündnisses organisiert. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf nahm am Young Leader Programm der Atlantik-Brücke teil. Vorsitzender ist der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel. Auf dem Bundesparteitag wird sich Klingbeil dafür rechtfertigen müssen, warum er die Stationierung von weitreichenden US-Marschflugkörpern ab dem kommenden Jahr in der Bundesrepublik befürwortet. Das SPD-Präsidium hatte bereits im Sommer vergangenen Jahres dafür votiert.

In der Partei gibt es Widerspruch. Die Bundestagsabgeordneten und Außenpolitiker Ralf Stegner und Rolf Mützenich hatten kürzlich ein sogenanntes Manifest veröffentlicht[6]. Darin wird gewarnt, dass eine Stationierung dieser US-Waffen bei einer möglichen Eskalation mit Russland »unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen« würde. Zudem fordern die Autoren, die diplomatischen Anstrengungen zu intensivieren, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Danach solle es schrittweise zu einer »Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland« kommen.

Die Unterzeichner sind vor allem ältere Funktionäre und aktuelle sowie frühere Mitglieder der Partei. Ihnen fehlen junge Unterstützer. Der Vorsitzende der Jusos, Philipp Türmer, lobte die Kritik im »Manifest« daran, den Rüstungshaushalt auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Für ihn ist es wichtiger, zu analysieren, welche Fähigkeiten die Bundeswehr brauche. Andere Zeilen des »Manifests« kritisierte der Jungsozialist auf der Plattform X: »Entspannungsrhetorik allein ist keine Friedenspolitik« und bringe den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zum Verhandeln. Für Frieden in Europa sei vor allem »Solidarität mit der Ukraine entscheidend«.

Dass bisher nicht einmal die Präsidentschaft von Donald Trump und die sich verschlechternden Beziehungen zu den USA zu einem Umdenken in der SPD in Bezug auf die Mittelstreckenraketen zu führen scheinen, ist bemerkenswert und zeigt, dass der Einfluss der Transatlantiker in der Partei gewachsen ist. Dies kann durchaus als eine Erneuerung bezeichnet werden, gegen die sich hauptsächlich einige ältere Sozialdemokraten wehren.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191336.spd-lars-klingbeil-napoleon-mit-spd-parteibuch.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192017.feminismus-koalitionsplaene-frauenpolitik-fuer-wenige.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191822.militarisierung-der-aussenpolitik-spd-politiker-fordern-abruestung-und-gespraeche-mit-russland.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191937.spd-vorsitz-baerbel-bas-ruhrpottschnauze-an-der-spitze.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192217.mindestlohn-mindestlohn-bleibt-unter-armutsschwelle.html
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192005.spd-manifest-streit-um-spd-friedensmanifest-abwehr-statt-argumente.html