nd-aktuell.de / 20.06.2025 / Kultur

Das Gegenteil von Avantgarde

Die Berliner Band Acht Eimer Hühnerherzen veröffentlicht mit »Lieder« ein neues Album, das genauso klingt wie seine drei Vorgänger

Luca Glenzer
Immer das Gleiche muss nicht immer schlecht sein. Manchmal ist das Gleiche in gut halt einfach gut.
Immer das Gleiche muss nicht immer schlecht sein. Manchmal ist das Gleiche in gut halt einfach gut.

Die gegenwärtige Kultur- und Musiklandschaft krankt an vielen Symptomen. Eines ist: Alles muss immer neu, anders und krasser sein als zuvor – oder wenigstens so erscheinen. Im Zweifel wird dann am Ende eher ein schlechtes Werk bevorzugt, das so nicht erwartet wurde, als ein gutes, das dem vorherigen zum Verwechseln ähnlich ist.

Das Problem liegt auf der Hand: Denn dieses Primat der Unvorhersehbarkeit führt am Ende neben struktureller Inkohärenz auch zum intendierten Gegenteil, der Berechenbarkeit. Das Kreuzberger Nylon-Punk-Trio Acht Eimer Hühnerherzen widersetzt sich dieser Logik und ist in seinem berechenbaren Wirken unberechenbar. Davon zeugt auch ihr neues, mittlerweile viertes Album, das im besten aller Sinne Stangenware ist. Das fängt schon beim Titel an: Nach »s/t«, »Album« und »Musik« folgt nun »Lieder«.

Und auch in Bezug auf die musikalischen Grundzutaten fährt man weiterhin mit der alten CDU-Devise »Keine Experimente«. Will heißen: Frontfrau Apocalypse Vega spielt nach wie vor ihre schrammelige, mal cleane und mal verzerrte Nylongitarre, die von Bassist Johnny Bottrop tiefentechnisch grundiert wird. Drei Akkorde reichen ihr in der Regel pro Song, was aber auch völlig okay ist, schließlich spielt sie Punk, keinen Prog Rock. Und sie weiß sich in bester Gesellschaft, denn auch Drummer Bene Diktator trommelt auf »Lieder« den gleichen Beat wie auf den drei Vorgängern.

Dazu singt Vega herrlich unprätentiöse Texte über Dinge, die, so scheint es zumindest, ihr gerade eben so ungefiltert in den Sinn kommen. First come, first serve, scheint da die Devise zu lauten. »Hannes wollt’ ›n Telefon, und fuhr dann in die Wüste/ Franzi hatte ›ne Vision, und ich bekam ›ne Zyste«, heißt es etwa in der melancholischen Vorabsingle »Ostkreuz«, die zugleich der heimliche Hit der Platte ist. Die oberflächliche Alltagskommunikation kommentiert die Band in »Durchlauferhitzer« hingegen folgendermaßen: »Keine Frage/ Es geht mir gut/ Ich sitz Zuhause/ Und spucke Blut.«

Wenn man möchte, kann man sich über all das den Kopf zerbrechen. Das Tolle ist: Man muss es aber nicht, denn die Texte funktionieren auch wunderbar als Platzhalter für die eingängigen Melodien, für die man die Band bereits auf ihren drei Vorgängern geliebt hat und die man auch auf »Lieder« en masse findet.

Ein Stilbruch findet sich auf dem Album dann aber doch: In »Ode« liest Vega ein Gedicht über ihre Bewunderung aller Arten von Frauen, ganz ohne musikalische Grundierung. »Ich bewundere Frauen, die arbeitslos sind/ Aber jeden Tag arbeiten/ Ich bewundere Frauen, die sich entschließen, Frau zu sein/ Und auch Frauen, die nicht mehr Frau sein möchten«, heißt es darin. Kurz fühlt man sich dabei an Maxie Wanders »Guten Morgen, du Schöne« erinnert, bevor mit dem abschließenden Up-Tempo-Stück »Nackt Am Rand« wieder alles beim Alten ist.

Was ist der Mehrwert, mag sich manch snobistischer, selbsternannter Kulturkritiker beim Hören des Albums fragen. Das Schöne aber ist: »Lieder« hat keinen Mehrwert. Es ist einfach da, bedarf keines Überbaus und bereitet im besten Falle Spaß (was Kulturkritiker bekanntermaßen gar nicht mögen). In Zeiten, in denen bei H&M T-Shirts verkauft werden, auf denen groß »Avantgarde« steht, gehen Acht Eimer Hühnerherzen den umgekehrten Weg. Sie klingen so wie immer, und gerade das macht ihre Musik so gut.

Acht Eimer Hühnerherzen: Lieder (Kidnap)