nd-aktuell.de / 30.06.2025 / Politik

Mitte-links: Die Hoffnung muss organisiert werden

Wenn SPD, Grüne und Linke nicht bald ein progressives Projekt 2029 vorbereiten, wäre das ein historisches Versagen

Jan Schlemermeyer
Nach der Bundestagswahl 2013 gab es eine rot-rot-grüne Mehrheit. Doch die SPD mit Sigmar Gabriel entschied sich für eine Koalition mit Merkels CDU und Seehofers CSU.
Nach der Bundestagswahl 2013 gab es eine rot-rot-grüne Mehrheit. Doch die SPD mit Sigmar Gabriel entschied sich für eine Koalition mit Merkels CDU und Seehofers CSU.

Der Journalist Jens Bisky hat Ende letzten Jahres ein hochspannendes Buch geschrieben. Es handelt von einer Vergangenheit, die leider gefährlich aktuell ist – der Endphase der Weimarer Republik. In »Die Entscheidung – Deutschland 1929 bis 1934« trägt er zusammen, wie systematisch die erste deutsche Demokratie zerstört wurde. Erschütternd ist, wie wenig Gegenwehr es seitens der Demokraten gab, wie gelähmt sie vielfach schienen. Dabei bemüht Bisky sich um Differenzierung und wendet sich gegen vorschnelle Analogien zur Gegenwart.

Doch an einigen Stellen kann man kaum anders, als sich an heute erinnert zu fühlen. Zum Beispiel dieser: »Den Status quo verteidigen, auf Besserung hoffen das reichte nicht aus. Doch Tradition musste Strategie ersetzen, einen Plan, Überlegungen, was geschehen könnte, was erreicht werden sollte. So wuchs die empörte Ratlosigkeit unter den Republikanern. Nicht Demokraten fehlten, sondern eine Strategie.« Denn ist das – angesichts immer weiter steigender Umfragewerte der AfD und einer immer weiter bröckelnden Brandmauer – nicht eine erschreckend genaue Beschreibung unserer aktuellen Lage?

Auch heute fehlt es nicht an engagierten Demokraten, an Demos gegen die extreme Rechte und Alternativvorschlägen für eine Politik jenseits des fatalen AfD-Ähnlichkeitswettbewerbes vieler demokratischer Parteien. Inzwischen stuft sogar der Verfassungsschutz die AfD als »erwiesen rechtsextrem« ein. Es fehlt weder an Empörung noch an Warnungen. Es fehlt eine plausible Strategie, um aus der andauernden Defensive und der Logik des kleineren Übels herauszukommen. Oder anders gesagt: Die Hoffnung muss dringend die Seiten wechseln. Nötig ist eine politische Perspektive für eine progressive Bearbeitung der zahlreichen Krisen.

Wie schnell ein moderner Autoritarismus selbst scheinbar gefestigte Demokratien zerstören kann, demonstriert Trump in den USA gerade jeden Tag.

Natürlich: Die Berliner Republik von heute ist nicht das Weimar von damals, schon weil die Demokratie gesellschaftlich stärker verankert ist und die AfD (bisher) eher der extrem rechten DNVP als der nationalsozialistischen NSDAP gleicht. Aber es gibt – das zeigt schon ein Blick in die Geschichte von Diktatoren wie Salazar in Portugal über Pinochet in Chile und Franco in Spanien bis hin zu Putin im heutigen Russland – eben auch einen Faschismus ohne Hitler. Und wie schnell ein moderner Autoritarismus selbst scheinbar gefestigte Demokratien zerstören kann, demonstriert Trump in den USA gerade jeden Tag.

Schaut man auf die nationalistische Feindschaft gegenüber Rechtsstaat, Minderheiten- und Menschenrechten, die Verehrung von Härte und Brutalität, die Verachtung gegenüber Schwächeren und Wissenschaft seitens der AfD kann es keinen Zweifel geben: Unsere Demokratie ist durch einen offenen Autoritarismus bedroht wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik. Und nimmt man die Lockerungsübungen von Jens Spahn und anderen Politikern der Union gegenüber der extremen Rechten ernst, scheint mir auch noch etwas klar: Es ist höchste Zeit, dass wir im progressiven Spektrum mit dem Business as usual aufhören.

Konkret: Wenn SPD, Grüne und Linke nicht bald ein progressives Projekt 2029 vorbereiten, wäre das ein historisches Versagen. Ja, es braucht gesellschaftlich viel mehr, um heute einen progressiven Politikwechsel durchzusetzen, als parlamentarische Politik oder eine progressive Regierungsoption. Und der Sozialismus wird dabei vorerst sicher nicht herauskommen. Aber ohne zumindest die realistische Möglichkeit von R2G bei der nächsten Wahl kann alles andere wegen der Gefahr von Schwarz-Blau und eines autoritären Kipppunktes sonst ohnehin schnell irrelevant werden.

Eine progressive Regierungsoption wird ohnehin kein Spaziergang. Denn dabei geht es um mehr als Arithmetik. Bei so einem »Volksfrontprojekt« müssten sich alle bewegen: SPD und Grüne bei Verteilungs- und Eigentumsfrage nach links, alle bei Demokratie und Europa nach vorne und Die Linke bei der Außenpolitik nach »rechts«. Wie und wie weit genau? Das wird eine Frage der Kräfteverhältnisse und der Aushandlung.

Das heißt: Gerade weil so ein Projekt auf allen Seiten viele Schwierigkeiten hat, sollten wir jetzt damit anfangen, es programmatisch und praktisch vorzubereiten. Wir – das sind alle, die an einem sozial-ökologischen Wandel in Europa und an einer Verteidigung unserer Demokratie durch ihre Erneuerung interessiert sind, egal ob in Parteien, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft oder Bewegungen. Denn dort gilt überall, bei allen sonstigen Unterschieden, doch eine Gemeinsamkeit: Hoffnung »hat« man nicht einfach, sie kann und muss organisiert werden. Fangen wir damit an! Die Zeit läuft.

Jan Schlemermeyer ist Vorstandsmitglied beim Institut solidarische Moderne und Mitglied der Linken.