Man muss sich nicht bis ins tiefste Detail mit der katholischen Glaubenslehre auskennen, um zu wissen, dass das Priesteramt kein »Nine-to-Five«-Job ist. Die Katholiken machen viel Aufhebens um ihre Geistlichen. Sie werden geweiht und als heilige Männer betrachtet. Sie verschreiben sich ganz dem Dienst für die Kirche. Deswegen dürfen sie ja zum Beispiel nicht heiraten. Ein Priester als Privatmann, nur schwer vorstellbar.
Um so überraschender, dass es ausgerechnet der katholischen Kirche, genauer dem Erzbistum Köln wichtig ist, diese Unterscheidung zu treffen[1]. Im Fall von Hans Bernhard U., der wegen 110 sexualisierter Taten verurteilt wurde, unterscheidet das Bistum genau. Melanie F. soll er »als Privatperson« vergewaltigt haben. Melanie F. war die Pflegetochter des Pfarrers. Für den ungewöhnlichen Schritt, Pflegekinder aufzunehmen, brauchte U. die Zustimmung der Kirchenleitung und bekam sie. Dass irgendein Jugendamt U., der damals keine 30 war, ein zwölfjähriges Mädchen als Pflegekind gegeben hätte – undenkbar, wäre er nicht Priester gewesen.
Nun ist es mit der Moral der Kirche nicht allzu gut bestellt.[2] In Prozessen wie dem von Melanie F. geht es um viel Schmerzensgeld, und um Zahlungen zu vermeiden, biegt sich die Kirche sich Argumente zurecht. Dass das Kölner Landgericht den Argumenten gefolgt ist, ist allerdings wirklich realitätsfern. Hans Bernhard U. konnte Pflegekinder haben, weil er Priester war. Die Kirche trägt eine Mitverantwortung daran, dass er seine Taten begehen konnte. Das hätte das Gericht anerkennen müssen.