»Das ist wie ein Wunder, dass wir noch leben«, sagte Annette Pauportè-Eekman. Später der kommunistischen Partei beigetreten, verschaffte sie schon ab Ende der 30er Jahre jüdischen Flüchtlingen und deutschen Antifaschisten in ihrer belgischen Heimat Quartiere, Papiere und Lebensmittelmarken. Ihre eigene Familie gewährte den Verfolgten Unterschlupf. Im Juni 1942 wurde Pauportè-Eekman verhaftet, ins Gefängnis gesperrt und im Spätherbst ins KZ Ravensbrück verschleppt.
Sie überlebte und fühlte sich deshalb fast ein wenig schuldig gegenüber den Kameradinnen, die ermordet wurden. So hat sie es der Filmemacherin Loretta Walz in einem Interview erzählt. Einen Ausschnitt zeigt die Gedenkstätte Ravensbrück am Mittwoch im Kino des Filmmuseums Potsdam. Pauportè-Eekman selbst könnte es so nicht mehr erzählen. Sie starb 1997. Gerade weil heute nur noch wenige ehemalige KZ-Häftlinge am Leben sind und in absehbarer Zeit keiner mehr da sein wird, sind die 207 Interviews so wertvoll, die Loretta Walz in den Jahren 1982 bis 2012 führte – mit 191 weiblichen Überlebenden, aber auch mit 16 Männern. Männliche Häftlinge hatte es in dem Frauen-KZ auch gegeben.
In mehreren Teillieferungen übergab Walz die mehr als 800 Stunden Filmmaterial der Gedenkstätte Ravensbrück[1], worüber die Leiterin Andrea Genest am Mittwoch im Filmmuseum informierte. Ausschnitte sind bereits seit 2013 in der Hauptausstellung von Ravensbrück zu sehen. Zur betreffenden Sammlung gehören noch rund 800 Fotos und zahlreiche schriftliche Dokumente.
Angefangen hat alles, als die Überlebende Maria Zeh Loretta Walz zu einem Treffen ehemaliger Häftlinge mitnahm, die in der Ravensbrücker Lagergemeinschaft der BRD organisiert waren. Es sei gesagt worden, die Frauen müssten ihre Erinnerungen notieren, erinnert sich Loretta Walz. Doch damit fühlten sich viele überfordert und erklärten, sie müssten zu einem Gegenüber sprechen. So sei die Idee der Interviews entstanden. Als Erste habe sich 1982 die älteste Überlebende vor die Kamera gesetzt. Inzwischen ist Walz 70 Jahre alt und erklärt: »Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich das 30 Jahre lang machen würde, hätte ich gesagt: Du spinnst!«
Doch diese Aufgabe ließ die Grimme-Preisträgerin bis 2012 nicht mehr los. Als es ab 1990 leicht möglich wurde, befragte sie auch ehemalige Häftlinge, die bis dahin in der DDR gelebt hatten oder die in Polen und verschiedenen anderen Staaten im Osten Europas wohnten. Überlebende etwa aus Frankreich[2], Norwegen und den Niederlanden hatte sie teils bereits in den 80er Jahren gesprochen.
»Audiovisuelle Interviews sind eine seit Langem erprobte Möglichkeit, die Erfahrungsgeschichte der Überlebenden nicht nur zu bewahren, sondern als Quelle für zukünftige Fragestellungen und Forschungen zu sichern«, freut sich Gedenkstättenleiterin Genest über die »von Loretta Walz mit großer Sensibilität geführten und mit ausdrucksstarken filmischen Mitteln dokumentierten Interviews«. Für die Gedenkstätte Ravensbrück sei dies »ein unermesslicher Schatz«.
Berichte von Zeitzeugen seien »persönlich, unverstellt und dadurch so wertvoll«, meint die erst 34 Jahre alte Landtagsabgeordnete Annemarie Wolff (SPD). Wolff besinnt sich, welche Wirkung es auf sie hatte, sich als Schülerin damit zu beschäftigen: »Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich heute nicht hier.« Die Naziverbrechen dürften sich nicht wiederholen.
Die Interviews zeigen der Abgeordneten zufolge, wohin Ausgrenzung, Hass und rechte Ideologien führen. »Gerade jetzt brauchen wir historisch-politische Bildung[3], die hinschaut, berührt und zum Widerspruch anregt.« Das sagt Wolff mit Blick darauf, was die AfD im Landtag so von sich gibt. Der AfD-Abgeordnete Dominik Kaufner hatte unlängst zum Jahrestag des 8. Mai nicht von Befreiung vom Faschismus sprechen wollen und geschimpft, es werde nicht an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnert.