nd-aktuell.de / 02.07.2025 / Wirtschaft und Umwelt

»Ich will niemandem den Urlaub madig machen«

Der Meteorologe Sven Plöger spricht über Hitzewellen, den Kampf gegen den Klimawandel – und verrät, warum er Optimist bleibt

Interview: Philipp Hedemann
Sven Plöger rät zu einem respektvollen Verhalten im Urlaub. Gerade in trockenen Regionen sollte mit der Ressource Wasser verantwortungsvoll umgegangen werden.
Sven Plöger rät zu einem respektvollen Verhalten im Urlaub. Gerade in trockenen Regionen sollte mit der Ressource Wasser verantwortungsvoll umgegangen werden.

Herr Plöger, in den vergangenen Tagen hatte eine Hitzewelle Deutschland und ganz Europa fest im Griff. Was war da los?

Über ganz Europa lag ein riesiges Hochdruckgebiet mit extrem warmer Luft.[1] Am stärksten waren Spanien, Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten betroffen. Hinzu kommt, dass das Mittelmeer mit 24 bis 28 Grad derzeit wahnsinnig warm ist, im Westen sogar vier bis fünf Grad wärmer als normalerweise in dieser Jahreszeit. Auch in der Biskaya ist das Wasser drei bis vier Grad wärmer. Das warme Wasser hat die Hitzewelle so noch gesteigert.

War es eine außergewöhnliche Hitzewelle?

Ja, denn sie kam ungewöhnlich früh im Jahr. Vom 23. Juli bis zum 23. August haben wir die berühmten Hundstage. Allgemein kann man sagen, dass es bei uns zwischen Mitte Juli bis Mitte August am heißesten ist.

Wie kommen Sie persönlich mit der Hitze klar?

Ich habe Anfang der Woche mit dem WDR auf 841 Meter Höhe auf dem Kahlen Asten im Sauerland gedreht. Dort lief die natürliche Klimaanlage. Ansonsten lüfte ich in der zweiten Nachthälfte und am Morgen, sitze vormittags auf dem Balkon im Schatten, später läuft ein kleiner Ventilator. Und wenn ich im Fernsehen »wettere«, freue ich mich über die Klimaanlage im Studio.

Die Hitzewelle endete in vielen Landesteilen bereits mit heftigen Gewittern …

Es gibt den berühmten Meteorologen-Spruch: »Nach der Hitze kommen die Blitze.« Das stimmt auch dieses Mal. Der Norden kühlt stärker ab als der Süden, denn dort bleibt eine schwülwarme Luftmasse liegen. Vielerorts fallen die Gewitter heftig aus, denn: Je wärmer eine Luftmasse ist, desto mehr Energie steckt in ihr. Deshalb kommt es häufig zu Sturmböen bis 80 Kilometern pro Stunde, lokal sind aber auch schwere Sturmböen, vereinzelt auch Orkanböen mit Geschwindigkeiten um 120 Kilometer pro Stunde denkbar. Da die Bäume derzeit voll belaubt sind und so einen riesigen Widerstand bieten, werden viele Bäume umstürzen. Da warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, kommt es zu Starkregen und Hagel.

Drohen in diesem Sommer weitere Hitzewellen?

Auf jeden Fall. Kalendarisch hat der Sommer ja gerade erst begonnen, und der Planet erwärmt sich durch den Klimawandel immer weiter. Zudem ist die Meerestemperatur ungewöhnlich hoch. Es gibt sehr aufwendige Langzeitberechnungen, die zwar nicht das Wetter für den ganzen Sommer vorhersagen, aber mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit prognostizieren können, dass der Sommer 2025 im Durchschnitt wieder ein bis zwei Grad wärmer als die Sommer zwischen 1991 und 2020 wird. Und in einem heißen Sommer steigt die Gefahr von Hitzewellen.

Steigt trotz der heftigen Gewitter die Waldbrandgefahr?

Gewitter sorgen lokal zwar für heftigen Regen, das Wasser fließt dann aber meist oberflächlich ab und sickert nicht in die Böden. Zudem hatten wir einen sehr niederschlagsarmen Zeitraum von Februar bis April. Der Mai konnte danach zwar etwas Ausgleich schaffen, aber insgesamt sind die Böden in weiten Teilen Deutschlands sehr trocken, was Waldbrände natürlich begünstigt. Wir haben in den vergangenen Jahren scheußliche Bilder von Waldbränden in Deutschland und Europa gesehen. Schon jetzt gab es Waldbrände in Brandenburg und weitere werden mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen.

Wird 2025 das heißeste Jahr aller Zeiten?

Das weiß ich nicht, auch wenn die Möglichkeit dazu besteht. Aber ich finde den Wettbewerb um das heißeste Jahr ohnehin ziemlich überflüssig. Fest steht schon jetzt: Es wird wieder ein sehr warmes Jahr werden. Und bereits im vergangenen Jahr haben wir erstmals die 1,5-Grad-Marke überschritten. Es geht steil nach oben mit den globalen Temperaturen, und das sollte uns zu denken geben. Die aktuelle Forschung sagt: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir eine globale Erwärmung von 2,7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erleben. Das wird katastrophale Folgen haben. Trotzdem wird auch 2025 wieder ein Jahr sein, in dem wir erneut viel zu viel Emissionen in die Atmosphäre einbringen, um dann wieder zu staunen, dass wir damit die globale Erwärmung beschleunigen, wie es die Wissenschaft seit 30, 40 Jahren prophezeit.

Werden die nächsten Jahre noch heißer?

Davon müssen wir ausgehen. Und das wird schlimme Folgen haben. Denn wenn die Luft sich um ein Grad erwärmt, kann sie sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Hier besteht kein linearer, sondern ein exponentieller Zusammenhang. Sprich: Wärmere Luft kann nicht nur mehr, sondern viel mehr Wasserdampf aufnehmen und das führt zu immer heftigeren Extremwetterereignissen.

Was bedeutet der heiße Sommer für unsere Urlaubsplanung?

Ich will niemandem den Urlaub madig machen, das ist nicht meine Absicht. Das extrem warme Mittelmeer mag vielleicht manchen Urlauber freuen. Aber ich bin Taucher. Und wenn ich mir angucke, wie unfassbar viel an Fauna und Flora das »maritime Feuer« im Mittelmeer schon zerstört hat und wie es zur Ausbreitung invasiver Arten führt, macht mich das sehr traurig. Man kann sich natürlich fragen: Muss ich unbedingt irgendwo hinfahren, wo es im Sommer unglaublich heiß ist. Für unseren Organismus kann das eine extreme Belastung sein.

Darf man trotzdem zum Urlaub in den Süden fahren?

Natürlich darf man das. Die Entscheidung fällt jeder selbst. Aber ich finde schon, dass man sich bewusst sein sollte, dass Flugreisen den Klimawandel beschleunigen. Und wenn man in Regionen fährt, in denen die Bevölkerung große Schwierigkeiten hat, ihre Wasserversorgung sicherzustellen, sollte man dort sehr verantwortungs- und respektvoll mit dieser wertvollen Ressource umgehen. Wir sollten den Menschen vor Ort signalisieren, dass wir kein Fliegenschwarm sind, der einfach nur einfällt, um irgendwo Remmidemmi zu machen[2]. Man kann auch darüber nachdenken, die Mittelmeerregion im Herbst zu besuchen, wenn das Wasser immer noch warm, die Hitze aber nicht mehr so extrem ist.

Wie machen Sie in diesem Sommer Urlaub?

Wir fahren mit unserem VW-Bus nach Wales. Dort werden die Temperaturen wahrscheinlich sehr erträglich sein.

Ist diese aktuelle Hitzewelle noch ein normales Wettergeschehen oder schon der Klimawandel?

Zunächst einmal ist die Hitzewelle ein Wetterphänomen. Es gab auch schon früher Hitzewellen. Aber es ist auch ganz klar, dass der menschengemachte Klimawandel der entscheidende Trigger für die Häufung der oft extremen Hitzewellen in den vergangenen Jahren ist. Diese frühe Hitzewelle ist ein fühlbares Element des Klimawandels.

Macht Ihnen das Angst?

Angst kann dazu führen, dass man in Schockstarre verfällt. Bei mir ist es so: Wenn ich Angst habe, dann weiß ich nicht mehr richtig, was ich machen soll. Die Angst vor dem Klimawandel kann dazu führen, dass die Menschen sagen: Das kriegen wir nicht mehr hin, jetzt ist auch egal, ob wir noch etwas tun. Dann wird die Klimakatastrophe zur selbsterfüllenden Prognose. Wenn man unser Wissen über den Klimawandel und unser Verhalten vergleicht, müssen wir aktuell leider zur Schlussfolgerung kommen: Die menschliche Gesellschaft ist für die Lösung dieses Problems nicht reif![3] Punkt! Aber das will ich nicht akzeptieren: Wer will schon seinen Kindern ins Gesicht sagen: Ich möchte, dass es dir später schlechter geht als mir, darum verhalte ich mich jetzt so ignorant.

Was ist Ihr Ansatz?

Wir kennen die Stellschrauben, mit denen wir das Schlimmste verhindern können. Wir müssen sie trotz der krisengebeutelten Zeit in die richtige Richtung drehen. Aber weltweit und auch in Deutschland fällt das Thema »Kampf gegen den Klimawandel« in der Aufmerksamkeit gerade unfassbar zurück. Deshalb müssen wir mehr Begeisterung für Nachhaltigkeit wecken. Pessimismus und Aufgeben kommen deshalb für mich nicht infrage. Und wir dürfen nicht vergessen, dass nicht nachhaltiger Wohlstand den Wohlstand »frisst« – das ist Physik und der sind unsere Befindlichkeiten gleichgültig. Die Transformation zur Nachhaltigkeit wird kommen – ob wir es wollen oder nicht. Wir sollten das auch als ökonomische Chance betrachten.

Kann die derzeitige Hitzewelle ein Weckruf sein, oder lässt sie uns weiter abstumpfen?

Die Gefahr des Abstumpfens besteht leider. Wir erleben immer wieder, dass der Mensch die Fähigkeit hat, sich an alles Mögliche zu gewöhnen, wenn er nicht unmittelbar an Leib und Leben betroffen ist. Trotzdem sehe ich die Chance, dass die Hitzewelle die Aufmerksamkeit wieder stärker auf das Thema Klimawandel lenkt.

Sie gelten in Sachen Klimawandel bislang als ruhiger Mahner. Ist es jetzt auch für Sie Zeit, lauter und deutlicher zu werden?

Ich benenne Probleme und Zusammenhänge schon seit Langem sehr deutlich. Und wenn es etwas brächte, würde ich auch lauter werden. Aber meine Erfahrung ist, dass laute Einmischung ins Leben anderer Menschen eher zu Reaktanz, ich sage gerne zu »pubertärem Widerstand« führt. Man kann Menschen nicht mitnehmen, wenn man ihnen etwas aufdrängt. Daher spare ich mir diesen Schritt und bleibe beim Inhalt. Wenn alle sich die Köpfe heiß reden, bringt das niemanden voran. In diese aufgeregte Kakophonie von Extrempositionen möchte ich nicht einstimmen. Ich möchte lieber Chancen aufzeigen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192280.klimawandel-forderungen-nach-mehr-hitzeschutz.html?sstr=Hitze
  2. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/mallorca-demonstration-tourismus-100.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188792.sven-ploeger-meteorologe-viele-politiker-leben-in-einer-fantasiewelt.html