nd-aktuell.de / 02.07.2025 / Wissen

Kreatin für bessere Stimmung?

Der in Fleisch vorkommende Stoff könnte Depressionen entgegenwirken

Anke Nussbücker
Die Klimakrise kann Mitauslöser von Depressionen sein.
Die Klimakrise kann Mitauslöser von Depressionen sein.

In Deutschland ernähren sich rund 8,1 Millionen Menschen vegetarisch. Etwa 1,5 Millionen leben vegan[1] und verzichten auf sämtliche Erzeugnisse, die von Tieren stammen, einschließlich Kuhmilch oder Bienenhonig. Damit wollen sie der (kapitalistischen) Ausbeutung von Flora und Fauna sowie letztlich der Klimakrise aktiv begegnen. Das wichtigste Argument: Derzeit dienen 80 Prozent der weltweiten Agrarfläche der Fütterung von landwirtschaftlichen Nutztieren.

Der überwiegende Anteil von Vegetariern hierzulande sind Mädchen und Frauen unter 30 Jahren. Es sind junge Menschen, die es immer häufiger erleben, dass ihre Gesundheit in den sommerlich aufgeheizten, zubetonierten Großstädten gefährdet ist[2] oder dass im Winter der seltene Schnee nicht mehr zum Rodeln reicht. Die Klimaveränderung macht sie nicht nur traurig und wütend, sie macht ihnen auch Angst[3]. »Die Klimakrise ist die größte Bedrohung und Aufgabe, vor der die Menschheit jemals stand«, sagt die Aktivistin Louisa Schneider in ihrem 2024 erschienenen Buch »Grad° Jetzt«.

Diese Gefühle können in eine Depression münden oder auch in eine Selbstermächtigung, über die eigene pflanzliche Ernährung zu bestimmen. Ohne wichtige Nahrungsergänzungen riskieren vegan Lebende jedoch nicht nur einen Mangel an Vitamin B12. Möglicherweise leert sich nach einem Jahr rein pflanzlicher Kost auch ihr körpereigener Speicher an Kreatin, einem Stoff, der in Fleisch oder Fisch vorkommt.

So konnte in einer Studie der Biochemikerin Caroline Rae und anderer an der Universität Sydney bei Vegetariern ein verbessertes Gedächtnis und schnelleres Denken nach einer Supplementierung mit Kreatin beobachtet werden.

Kreatin fungiert als Schlüsselsubstanz der Energiebereitstellung in den Muskeln.

Die Bezeichnung Kreatin stammt von dem altgriechischen Wort »kreas«, was Fleisch bedeutet. Kreatin fungiert als Schlüsselsubstanz der Energiebereitstellung in den Muskeln bei wiederholten Sprints, beim Treppensteigen oder der Hast zur Straßenbahn. Ohne Kreatin ermüden die Muskeln schneller und brauchen eine längere Erholungszeit. Auch das Gehirn ist zur Energiegewinnung auf einen genügend hohen Kreatin-Speicher angewiesen. Er beträgt insgesamt 120 Gramm für einen Erwachsenen. Mit einem pflanzlich und tierisch gemischten Speiseplan nehmen Menschen rund ein Gramm Kreatin pro Tag auf. Bei Menschen mit einem gesunden Stoffwechsel geht man davon aus, dass sie ein bis zwei Gramm pro Tag verbrauchen, die aber zum Teil vom Körper selbst hergestellt werden.

Bei einer sorgfältigen pflanzenbetonten Ernährung und einem gesunden Stoffwechsel wird Kreatin im Körper aus den Aminosäuren Arginin, Methionin und Glycin gewonnen. Die inzwischen gut bekannten Proteinkombinationen aus Getreide und Hülsenfrüchten reichen dafür möglicherweise nicht immer aus. Ölsaaten wie Sesam und Kürbiskerne oder Getreidearten mit hohem Proteinanteil wie Amaranth und Quinoa können zusätzlich beitragen. Auch Wal- und Erdnüsse enthalten viel Arginin. Für Ovo-Vegetarier kann das Hühnerei zur guten Versorgung mit der Aminosäure Methionin beitragen.

Aus der Bedeutung von Kreatin für die Aktivität des Gehirns schließen Forscher, dass eine Nahrungsergänzung mit Kreatin bei psychischen Leiden wie Angst, Panik oder Depressionen helfen könnte. Douglas K. Kondo und Mitautoren von der öffentlichen Forschungsuniversität von Utah (USA) berichten von Studien mit täglich drei bis fünf Gramm Kreatin während vier Wochen, wodurch sich depressive Symptome deutlich verbesserten.

Dennoch stellt sich die Frage: Was war zuerst da? Die Traurigkeit über die Zerstörung der Natur und die persönliche Entscheidung, vegan zu essen, oder (daraus resultierend) ein Nährstoffmangel, der eine psychische Erkrankung verschlechtern kann? So wie ein ernährungsbedingter Kreatin-Mangel nicht die einzige Ursache für psychische Erkrankungen darstellt, so ist eine Kreatin-Gabe kein alleiniges Wundermittel, sondern als Ergänzung zu Medikamenten und körperlicher Bewegung zu verstehen.

Wissenswert für Veganer: Kreatin kann chemisch-synthetisch ohne Rohstoffe vom Tier hergestellt werden. Bei der Menge ist Vorsicht geboten, denn mehr als fünf Gramm täglich können die Nieren belasten und zu Wassereinlagerungen im Körper führen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168360.veganismus-pflanzliche-ernaehrung-ist-mehr-als-verzicht-auf-tierprodukte.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191663.hitzeaktionstag-handlungsbedarf-beim-hitzeschutz.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174212.klimawandel-klimaangst-emanzipation-statt-leugnung.html