Hinweis: Dieser Artikel thematisiert häusliche und sexuelle Gewalt.
Am Mittwoch sprach eine Jury aus acht Männern und vier Frauen den Musiker und Rap-Mogul Sean »Diddy« Combs in zwei von fünf Anklagepunkten frei. Combs legte daraufhin eine kurze Einlage zum Beten ein und bedankte sich bei den Geschworenen. Wenn sich ein Mann, über den eine Wikipedia-Seite mit dem Titel »Sean Combs sexual misconduct allegations« (deutsch: Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens von Sean Combs) existiert und der in den vergangenen Jahren Zivilklagen wegen sexueller Gewalt gegen zum Tatzeitpunkt zum Teil minderjährige Frauen und Männer angesammelt hat, bei mir bedanke, weil ich in seinem Interesse gehandelt hätte – ich würde ins Grübeln kommen, ob meine Urteilsverkündung eine richtige Entscheidung gewesen sei.
Die Geschworenen hatten Combs in zwei Fällen des »Transports zur Prostitution« schuldig gefunden, aber in den schwerwiegenden Anklagepunkten freigesprochen: Menschenhandel, koordinierte Erpressung und organisierte Kriminalität. Auch wenn dem Rapper nach wie vor bis zu 20 Jahren Haft drohen, ist das Urteil ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Wie lange Diddy tatsächlich in Haft muss, soll im Herbst verkündet werden.
Dass der Musiker und Label-Chef regelmäßig ausschweifende und grenzüberschreitende Sex-Partys, sogenannte »Freak-Offs« veranstaltete, war in der Musikbranche ein offenes Geheimnis. Eine der Hauptzeuginnen gegen Diddy, seine Ex-Partnerin und Musikerin Cassie Ventura, gab vor Gericht an, dass er sie über Jahre hinweg vergewaltigt, geschlagen und zum Sex mit anderen Männern genötigt hätte, den Diddy minutiös, wie ein Regisseur, koordinierte. Die »Freak-Offs« hätten stellenweise mehrere Tage angedauert, die Beteiligten hätten auf Drogen zurückgegriffen, um die psychischen und körperlichen Anforderungen, die Diddy an sie stellte, erfüllen zu können. Die Sängerin erzählt, dass sie sich währenddessen erniedrigt und objektifiziert gefühlt hätte, aber die »Freak-Offs« und den unerwünschten Sex mit fremden Männern über sich ergehen ließ, weil sie verliebt gewesen sei. Sie hätte sich verpflichtet gefühlt, Diddys sexuellen Wünschen entgegen zu kommen. Tat sie das nicht, reagierte er mit Gewalt.
Ventura war 19, als sie Diddy – 18 Jahre älter als sie und zu diesem Zeitpunkt bereits eine Industrie-Größe – kennen lernte und bei seinem Label »Bad Boy Records« einen Plattenvertrag unterzeichnete. Statt der erhofften Musikkarriere erwarteten sie Jahre der häuslichen und sexuellen Gewalt. In einem im Gerichtssaal gezeigten Video von 2016 schleicht Ventura den Gang eines Hotels entlang. Diddy, nur mit einem Handtuch um die Hüften, eilt ihr hinterher. Er packt sie an den Haaren, reißt sie zu Boden, tritt auf sie ein und zerrt die junge Frau anschließend durch den Hotelflur hinter sich her.
Auch eine andere Ex-Partnerin von Diddy berichtet anonym als »Jane Doe« vor Gericht von »Freak-Offs«, die stellenweise Tage andauernden und ungeschützt stattfanden. Insgesamt sagten 34 Zeug*innen gegen Diddy aus. Seine Verteidigung gab an, dass Ventura durch ihre 30-Millionen-Dollar-Zivilklage eine »Gewinnerin« sei, der es nur ums Geld ginge. Dass die Beziehung zwischen Diddy und der Frau, die ihm von Beginn der Beziehung an unterlegen war, »eine moderne Liebesgeschichte« gewesen sei. Dass die Opfer von Combs niemals gezwungen worden seien, an den »Freak-Offs« teilzunehmen, sondern dass alles konsensual passiert sei. Ventura sei eine Frau, »die Sex tatsächlich gerne mag – gut für sie!«, so der Anwalt des Multimillionärs.
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Hypersexualisierung ist ein Kernelement in einer spezifisch gegen Schwarze Frauen gerichteten Rape Culture, um ihnen die Betroffenheit von sexueller Gewalt abzusprechen. Die Medien sprechen von »gegenseitigem Missbrauch« oder einer »toxischen Beziehung«, was implizieren soll, dass Ventura die ihr zugefügte Gewalt schon irgendwie verdient hätte. Vor dem Gerichtsgebäude skandierten Fans des Rappers Parolen wie »Free Puff« und hielten in einer Geste der Demütigung Flaschen mit Babyöl in die Luft: Die Beteiligten der »Freak-Offs« mussten sich vor dem Sex gegenseitig damit einreiben.
Dass Combs in den relevantesten Punkten freigesprochen wurde, ist ein erneuter Beweis dafür, dass die Justiz (nicht nur) in den USA lieber Täter schützt, als Opfern Glauben zu schenken. Sie zeigt vor allem auf, wie fest misogyne Rape-Culture-Narrative in die Rechtsprechung verankert sind und wie grundlegend falsch die gesellschaftliche Wahrnehmung von patriarchaler Gewalt ist. Damit sexuelle Handlungen konsensual geschehen können, muss die Möglichkeit zu einem »Nein« immer gegeben sein. Ventura berichtete immer wieder davon, dass Diddy jeden Aspekt ihres Lebens kontrollierte. Ein »Nein« stand für sie gar nicht zur Debatte.
Wir können seit Jahren einen kulturellen und politischen Backlash gegen die Errungenschaften der #MeToo-Bewegung beobachten, die in dem misogynen Schauprozess gegen Amber Heard 2022[2] ihren bisherigen Höhepunkt fand. Diddy und sein Team haben definit von diesem Backlash profitiert. Die Narrative der Verteidigung sind die gleichen, die die Verteidiger*innen von Johnny Depp, der mit Heard verheiratet war, angebracht haben und Täterschützer*innen immer wieder ins Feld führen, um das Narrativ um Beziehungsgewalt zu verzerren.
Der Rapper hofft übrigens darauf, dass US-Präsident Donald Trump ihn eventuell begnadigen könnte: Vergewaltiger halten nämlich zueinander[3].