nd-aktuell.de / 03.07.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Zehn Jahre »Oxi«: Hart, härter, Mutti

In der Griechenland-Krise zeigte Deutschland seine Macht – und was es zu ihrem Erhalt bereit ist zu tun

Stephan Kaufmann
Alexis Tsipras, Ministerpräsident von Griechenland, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
Alexis Tsipras, Ministerpräsident von Griechenland, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

Chinas Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht und die neue Geopolitik der USA bedeuten einen Verlust an Macht und Einfluss für die EU und damit auch für ihr größtes Mitglied, Deutschland. In Europa erneuern die Atommächte Frankreich und Großbritannien ihren Führungsanspruch. Gleichzeitig schwächen Industrieflaute und US-Zollkrieg die Position der Exportnation Deutschland. Das war vor zehn Jahren ganz anders: Damals hatte die Eurokrise der Welt vor Augen geführt, dass Europas Stabilität an der Finanzkraft Deutschlands hängt, was es der Bundesregierung ermöglichte, in der EU durchzuregieren.

Wer ist die mächtigste Frau der Welt? Im Mai 2015, zwei Monate vor dem griechischen Referendum, war für die »Forbes«-Redaktion klar: Angela Merkel. Bereits in den Vorjahren hatte das US-Magazin die deutsche Kanzlerin an die erste Stelle gewählt, schließlich sei sie »unangefochtenes Oberhaupt der EU«, sie sei »die ›Eiserne Lady‹ Europas und die Hauptakteurin im Wirtschaftsdrama der Euro-Zone«, die »existenzielle Herausforderungen für die EU gemeistert« habe.

Merkel, die Bundesregierung und die deutsche Politik profitierten damit von einer Krise, die in den USA ihren Anfang genommen hatte. 2008 kam es dort zur Finanzkrise, die sich über den ganzen Globus ausbreitete, da Investoren weltweit auf US-Hypothekenpapiere gesetzt hatten. Die folgende Rezession und die Rettung des Bankensektors trieben die Schulden vieler Staaten in die Höhe, was die globalen Anleger vorsichtig machte: Welcher Staat, so die Frage damals, wird als erster unter seiner Schuldenlast zusammenbrechen?

Die Wahl der Anleger fiel 2010 auf Griechenland. Denn es hatte nicht nur hohe Schulden. Griechenland war auch mit der Tatsache konfrontiert, dass es nicht über eine eigene Zentralbank verfügt, die die staatlichen Schulden im Notfall aufkaufen und so die Überschuldung des Landes verhindern kann – die Europäische Zentralbank verweigerte diese Hilfe, die Zentralbanken in anderen Ländern ganz selbstverständlich übernehmen. Schließlich verweigerten auch die anderen EU-Staaten Hilfen für Griechenland, da damals die Regel galt, dass jeder Euro-Staat finanziell auf sich allein gestellt sein soll. Eine Unterstützung wäre »das falsche Signal«, sagte damals Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).

Die Eurozone rettet sich selbst – auf Kosten Griechenlands

Die fortgesetzte Spekulation der Anleger gegen Griechenland und in der Folge gegen Portugal, Irland und andere Euro-Staaten gefährdete 2010 allerdings schrittweise die Stabilität der gesamten Währungsunion. Die Bundesregierung entschloss sich daher zu Hilfskrediten in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro, um eine griechische Pleite abzuwenden.

Gerettet wurden durch diese Kredite erstens die Kreditgeber, also die europäischen Banken, die zu diesem Zeitpunkt noch Griechenland-Kredite über 120 Milliarden Euro in ihren Büchern hatten. Und zweitens die Euro-Zone selbst, die sich vor den Folgen eines griechischen Zahlungsausfalls schützen wollte. Nicht gerettet wurde dagegen Griechenland selbst, das – wie andere Eurostaaten auch – auf deutschen Druck ein extrem hartes Sparprogramm umsetzen musste, das die griechische Wirtschaft ein Viertel ihrer Leistung kostete.

Forderungen nach einer Abschwächung der Sparprogramme begegnete die Bundeskanzlerin stets mit Ablehnung: »Hart, härter, Mutti«, titelte der »Berliner Kurier«. Diese Ablehnung einer Aufweichung des Sparzwangs begründete die Bundesregierung damals nicht mit ökonomischen Argumenten – dass die Sparprogramme Griechenlands Wirtschaft ruinierten, war offensichtlich und nicht umstritten. Dennoch waren diese Programme aus Sicht der Bundesregierung alternativlos, weil es ihr darum ging, den Finanzmärkten und der Welt zu demonstrieren, dass Europa alles bereit ist zu tun, um »Stabilität« wieder herzustellen.

Alle müssen sparen – außer Deutschland

Mit Rentenkürzungen, Massenentlassungen, Sozialabbau und Steuererhöhungen in Südeuropa »rettete« die Bundesregierung damals also die europäische Kreditwürdigkeit und untermauerte damit ihre Führungsrolle in Europa. Auf deutschen Wunsch stellte man dieses Sparprogramm zudem auf Dauer: Als »Fiskalpakt« wurde die deutsche »Schuldenbremse« zu einem europaweiten Zwangsregime, das am wenigsten Deutschland selbst betraf. Denn aufgrund der globalen Industriekonjunktur und des Aufschwungs Chinas florierte die deutsche Wirtschaft ab 2010, Sparsamkeit war nicht nötig.

Dass Deutschland inzwischen die einst alternativlose Schuldenbremse schrittweise abschafft, zeigt: Schuldenregeln sind keine Sachzwänge, sondern politische Beschlüsse. Gleichzeitig hat die Bundesregierung in der Eurokrise gezeigt, was sie bereit ist zu tun, um in Zeiten hoher Schulden die deutsche Kreditmacht zu erhalten. Das sollte heute ein Warnsignal sein – auch an die deutsche Bevölkerung.