nd-aktuell.de / 03.07.2025 / Reise

Alles schön im Fluss

Kajakfahren auf der Lesse, wandern im Maastal, staunen in Wassergärten – Wallonien überrascht

Anja Reinbothe-Occhipinti
Abenteuerlich und relaxt zugleich: Paddeltour auf der Lesse in Wallonien
Abenteuerlich und relaxt zugleich: Paddeltour auf der Lesse in Wallonien

Mit einem Rutsch landen wir über eine Abfahrtsrampe im Wasser. Und jetzt? Befinden wir uns mit unserem blauen Zweier-Kajak mitten in der Lesse. Kajak-Erfahrung braucht niemand, wurde uns gesagt. Eine Einführung gab es nicht. Also aufs Bauchgefühl verlassen, wie wir die Paddel benutzen. Wir sind in den Ardennen in der Wallonie unterwegs, dem französischsprachigen Süden Belgiens, genauer gesagt in der Provinz Namur, kurz vor Frankreich. Brüssel ist rund 100 Kilometer entfernt, Lüttich 70 Kilometer.

In dieser Gegend treffen die Flüsse Maas, Molignée und Lesse aufeinander. »Die Lesse ist ein rechter Seitenarm der Maas und etwa 94 Kilometer lang«, erklärt Carin Van Der Wey von Dinant Evasion, die unsere Kajak-Gruppe an diesem Samstagvormittag begleitet und aus den Niederlanden stammt. Das Unternehmen bietet in der Wallonie Abenteuer wie Alpenklettern, Seilbrücken-Parcours, Bootsfahrten und seit 50 Jahren Kajakfahren an.

Paddeln und durchatmen

Ein Shuttle bringt uns von der Zentrale in Anseremme, einem Stadtteil von Dinant, zu unserer Einstiegsstelle in Gendron. Gewusel: Leute, die auf ihre Kajaks warten. Kurze Zeit später ist kaum noch jemand anderes auf dem Wasser zu sehen. Kameras und Handys verschwinden im großen blauen Eimer zu unseren Füßen. Was nun also tun mit den Paddeln? Erst einmal nicht hektisch im Wasser rumfuchteln, sonst setzen wir auf einer Sandbank auf. Was gerade passiert ist.

Mit aller Kraft stemmen wir uns vom flachen Kieselgrund ab, bis die weißen Paddel wieder tiefer ins Wasser stechen. Wirklich tief ist die Lesse auf unserer Tour jedoch nie. Mit der Zeit haben wir den Dreh raus und kommen im Gleichklang paddelnd voran, links, rechts, links, rechts. Die Hosen sind vom Spritzwasser nass. Sehr wohltuend bei den hohen Temperaturen! Das üppige Blätterwerk um uns herum spendet Schatten. Ab und zu überholen andere Kajaks. Man grüßt sich freundlich. Dann sind wir wieder allein und lehnen uns in den komfortablen Sitzen zurück.

Wir lassen uns treiben, genießen die meditative Stimmung und die Geräusche der Natur. Das Paddel ruht auf den ausgestreckten Beinen. Bis die Strömung uns wieder zu einer Uferseite treibt und wir dagegen lenken, links, links oder rechts, rechts. Kleine Insekten tanzen wie verzaubert im Sonnenlicht. Vereinzelt tauchen Kiesbuchten auf, dann am rechten Ufer eine graue, von Wald umgebene atemberaubend hohe und steile Felswand, wie sie öfter in den Flusstälern der Ardennen zu finden ist. Eine Kiesbucht später machen wir Pause und ziehen die Kajaks an Land. Nach so viel Armarbeit und frischer Luft schmecken Birne und Baguette mit Käse im mitgebrachten Lunchpaket noch mal so gut.

Wir steigen wieder ins Kajak, passieren eine Brücke und betrachten lange Baumstämme, die in diesem Dickicht im Wasser liegen, als hätten sie beschlossen, nur noch träge abzuhängen. Eine Gänsefamilie schwimmt vorbei. Durchs dichte Grün schimmert Schloss Walzin hoch oben auf einem Felsen. Ist das alles schön – und aufregend! Außer Stromschnellen warten weitere Nervenkitzel auf unserer Zwölf-Kilometer-Tour: zwei kleine Abfahrten. »Die sind selbst für Anfänger machbar«, beruhigt Carin Van Der Wey. Am ersten Mini-Wasserfall klemmen wir uns hinter ihr Zweier-Kajak und sausen triumphierend auf der Lesse hinab. Beim zweiten Wasserfall sind wir schon halbe Profis.

Gärten im Art-déco-Stil

Beseelt von der Mischung aus Action und Ruhe erreichen wir nach zweieinhalb Stunden die Zielstation in Anseremme. Wasser ist herrlich! Carin Van Der Wey kann unsere Faszination verstehen und schwärmt uns von den Wassergärten in Annevoie vor. Auf der Fahrt dorthin betrachten wir malerische Häuser, die das Maasufer säumen, manche wie kleine Schlösser, andere im verspielten Jugend- und Art-déco-Stil. In den pittoresken Dörfern sind viele Häuser aus dunklem Ziegelstein, fast wie in der Normandie oder Bretagne.

Französische, englische und italienische Stile verschmelzen in den Gärten von Annevoie. Hier fließt, rutscht und spritzt Wasser als Dauerspektakel. Beeindruckt laufen wir an lauschigen Ecken, plätschernden Wasserfällen, großen Kaskaden und am Wasserschloss vorbei. Vier Quellen und 50 Wasserspiele sind es, die seit 260 Jahren ohne Unterbrechung in Betrieb sind, angetrieben allein durch ein ober- und unterirdisches Netz von Kanälen. 1758 ließ Charles Alexis de Montpellier die Gärten anlegen, erfahren wir in der Ausstellung.

Danach strampeln wir mit Fahrraddraisinen auf der stillgelegten Bahnstrecke zwischen Warnant und Falaën. Vier Kilometer hin, vier zurück. Zwei Personen treten in die Pedale, die dritte hängt in der Mitte im Liegestuhl ab. Das Gleisbett ist überwuchert von Pusteblumen. Rechts überholen Radfahrer. Links geht es steil bergab und wir erspähen die Molignée, die sich wie ein Gebirgsfluss durch die Landschaft windet und nach kurzer Strecke in die Maas mündet.

Allerlei Wohlfühlstrecken

Dieser stolze Fluss liegt uns tags darauf zu Füßen, als wir ab Falmingnoul mit Wanderautor Andreas Werner losstiefeln. »Die sechs Kilometer heute setzen sich aus Elementen meiner Wandertour Nummer acht im Buch zusammen«, erklärt uns der 58-Jährige. 20 Wohlfühlstrecken, die gut nachzuwandern sind, beschreibt er im Buch »Ardennen – Mit Hohem Venn. Wandern für die Seele«. Vor einem großen Bauernhof am Ortsrand erspähen wir Rinder, die in der Ferne aufgrund ihrer starken Muskelmasse wie Schweine wirken. »Das sind Weißblaue Belgier«, so Werner. Mittlerweile ist der Weg zu einem Trampelpfad geworden. Die hügeligen Wiesen und Felder hinter Falmingnoul wechseln über in üppige, grüne Laubwälder. Kühle empfängt uns und ein Waldboden mit leichtem Anstieg und Wurzelgeflecht.

»Die gelb-rote Markierung zeigt in der Wallonie den Weg«, sagt Andreas Werner, verweist darauf und zweigt mit uns zu einem kleinen Seitenpfad ab. Unter uns entfaltet sich das Maastal in seiner ganzen Pracht. Am gegenüberliegenden Ufer erblicken wir die Abbatiale de Waulsort. »Der romanische Teil der Benektiner-Abtei wurde schon im 13. Jahrhundert zerstört und durch gotische Elemente ersetzt«, so Wanderführer Werner. »Mönche leben nicht mehr darin. Es ist ein Veranstaltungsort.«

Immer wieder erhaschen wir atemberaubende Weitblicke und schöne Ausgucke oberhalb des Maastals. Nach einigen hundert Metern geht es im Wald bergab und durch ein trockenes Flussbett. Wir laufen an Wiesen mit Feuerstellen entlang, die von Wasserski-Camps genutzt werden, nach Waulsort. Am kleinen Jachthafen springen wir auf die Seilfähre. Seit 1871 bringt sie Menschen kostenlos ans andere Flussufer (von April bis September). Kraftvoll zieht unser Fährmann die »Passage d’rau de Waulsort« an einem fest verankerten Drahtseil über die Maas und sieht dabei aus wie ein belgischer Brad Pitt (was er wahrscheinlich weiß). Jeder Ort am Wasser birgt hier eine Überraschung.

Die Recherche wurde unterstützt von Visit Wallonia.