2023 waren Sie anlässlich der ersten Verschärfung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog) unter Schwarz-Rot im Interview mit »nd«. Damals verneinten Sie die Frage, ob Berlin jetzt mit Bayern mithalten könne, was restriktive Polizeigesetze betrifft. Wie würde Ihr Vergleich zwischen den Bundesländern nach Verabschiedung der jetzt geplanten zweiten ASOG-Novelle aussehen?
Wenn die Novelle so kommt, wie angekündigt, dann kann man sagen, dass Berlin zu Bayern aufschließt. Es sind einige Befugnisse darin, die es in Bayern auch gibt. In Bayern gab es ja auch das Konstrukt von der drohenden Gefahr, das die Eingriffsschwelle der Polizei sehr weit nach vorne verlegt und eine sehr niedrige Hemmschwelle bei vielen Befugnissen vorsieht. Ob Berlin in diese Richtung geht, können wir erst sehen, wenn wir den Gesetzestext haben.
Teil der Novelle ist die dauerhafte Videoüberwachung mit Künstlicher Intelligenz (KI)[1] an den sieben kriminalitätsbelasteten Orten[2]. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sprach davon, dass die KI »verdächtige Verhaltensmuster« erkennen könne. Wissen Sie mehr dazu??
Es gab schon einen ähnlichen Versuch am Bahnhof Südkreuz[3]. Der ist bekanntlich kein großer Erfolg gewesen. Es geht offenbar darum, dass die KI der Polizei sagt, wann sie kommen soll. Es dürfte klar sein, dass niemand den Algorithmus kennen wird und niemand weiß, welches Verhalten zu welcher Folge führen wird. Das ist schon extrem bedenklich. Wenn Menschen wissen, dass sie überwacht werden und gar nicht wissen, wie darauf reagiert wird, wird sich keiner mehr trauen, aus der Reihe zu tanzen. Verhalten außerhalb der Norm wird unterdrückt. Das gehört aber genau an diesen Orten zum Alltag. Mal ganz unabhängig von jeglicher Kriminalität. Wir müssen uns schon fragen: Wollen wir in so einer Gesellschaft leben?
Wird Berlin zum Überwachungsstaat?
Das ist ein ziemlich großes Wort. Wir würden uns aber darauf zubewegen. Vor allem Befugnisse wie die dauerhafte Videoüberwachung mit KI oder auch die Funkzellenabfrage [4]– das sind wirklich Instrumente, denen man sich im öffentlichen Raum kaum entziehen kann. Funkzellenabfragen gibt es natürlich jetzt schon – aber zur Ermittlung von Straftaten. Jetzt soll das präventiv eingesetzt werden. Ich kann mir kaum Situationen vorstellen, in denen das Sinn macht. Es sind schon jetzt jedes Jahr Millionen von Telefonanschlüssen von der Funkzellenabfrage betroffen. Das heißt, so gut wie jeder Mensch, der ein Smartphone hat, ist davon betroffen.
Warum ist die Funkzellenabfrage zur Gefahrenabwehr so problematisch?
Bei der Funkzellenabfrage hat die Polizei das Recht, sämtliche Telefonanschlüsse zu erheben, die in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Funkzelle eingeloggt waren. Manchmal betrifft das auch größere Zeiträume und mehrere Funkzellen gleichzeitig. Jedes Telefon, jeder Computer, der in diesem Zeitraum irgendwo in einer Funkzelle im Netz war. Das sind dann natürlich sehr, sehr viele. Daraus filtern sie dann Daten, die ihnen nützlich sein könnten. Zum Beispiel kann man überprüfen, ob das gleiche Telefon bei bestimmten Tatorten eingeloggt war. Man zieht massenhaft Daten und kann wenig daraus filtern, was wirklich weiterhilft. Dieses Instrument wurde ursprünglich damit begründet, Terrorismus und allerschwerste Straftaten zu bekämpfen. Mittlerweile wird es auch bei Eigentumsdelikten und der Alltagskriminalität angewandt. Wenn es jetzt noch präventiv angewandt werden soll, ist das ein noch größerer Eingriff, weil überhaupt keine Straftat erfolgt ist.
Von Seiten des Senats fiel zuletzt im Innenausschuss das Argument, Telefonnummern seien ja keine persönlichen Daten...
Das Argument lautet häufig, es werden nur Nummern erhoben und viele werden danach wieder gelöscht. Aber trotzdem sind sie für einen Zeitraum in der Verfügungsgewalt der Behörden. Und natürlich ist eine Telefonnummer direkt verbunden mit einer individuellen Person, die diesen Anschluss besitzt und auch nutzt. Und damit ist auch der Zugang zu deren persönlichen Daten möglich. Und dass Behörden oft über das, was ihnen gesetzlich erlaubt ist hinausgehen, zeigen auch die Erfahrungen im Polizeirecht.
Schwarz-Rot argumentiert bei der Verschärfung der Asog-Novelle, wie auch schon bei der letzten, mit der Sicherheit.
Ich glaube, die Asog-Reform dient eher dazu, Sicherheit zu simulieren. Vieles ist empirisch überhaupt nicht belegbar. Bei der Videoüberwachung zum Beispiel gibt die Studienlage nicht her, dass sie eine positive Wirkung auf die Verhinderung von Kriminalität oder auf die Aufklärungsquote hat. Gleichzeitig kürzen CDU und SPD massiv bei Bildung, Jugendarbeit, Gewaltprävention [5]oder Resozialisierung[6]. Sich dann dafür abzufeiern, dass man Sicherheit schafft, ist absolut verlogen. Denn das sind genau die Bereiche, wo eigentlich deutlich mehr investiert werden müsste. Das würde sich mittelfristig tatsächlich auch auf das Niveau von Gewalt und Kriminalität in Berlin auswirken. Und zwar deutlich mehr als irgendwelche neuen Befugnisse.
Der »finale Rettungsschuss« soll ebenfalls rechtlich verankert werden. Wird es wahrscheinlicher, dass mehr Menschen durch Polizeischüsse sterben?
Ja, ich teile diese Befürchtung. Es ist nicht so, dass es keine Rechtssicherheit gibt. Es gibt den Nothilfe- und Notwehrparagrafen. Das heißt, es ist auch in den letzten Jahren noch nie eine Polizeidienstkraft für einen Schuss verurteilt worden[7]. Insofern haben wir als Linksfraktion die Befürchtung, dass die Hemmschwelle des Schusswaffeneinsatzes deutlich sinkt, wenn das polizeirechtlich angeordnet werden kann. Das Problem ist, dass die Polizei Schusswaffen in aller Regel bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen einsetzt. Da ist die Polizei einfach oft überfordert und nicht qualifiziert. Deswegen fordern wir ja schon lange, multiprofessionelle Teams einzusetzen, die in solchen Situationen in Notrufgeschwindigkeit kommen und versuchen, eine Situation aufzulösen, bevor Schusswaffen eingesetzt werden. Das wäre aus unserer Sicht ein Mittel, um tödliche Waffengewalt durch die Polizei zu reduzieren.
Es gibt auch eine Diskrepanz zwischen dem Rückgang von schweren Gewalttaten und dem Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Wie kommt das?
Das hat schon mit dem allgemeinen Rechtsruck zu tun und mit der gesellschaftlichen Debattenverschiebung. Es gibt einfach viele, die genau mit dieser Angstmache erfolgreich Politik machen. Gewalttaten werden schamlos für die eigene autoritäre Agenda instrumentalisiert. Das heißt nicht, dass es keine Probleme gibt, die man ernst nehmen muss. Es gibt tatsächlich einen Anstieg von häuslicher Gewalt, von Übergriffen gegen Minderheiten oder auch von Jugendgewalt. Da muss man natürlich gegenarbeiten. Aber die Frage ist, ob man das mit Polizei und Repression macht oder lieber mit Investitionen in die soziale und präventive Infrastruktur.
Gibt es auch Positives an der Asog-Reform?
Beim Thema häusliche Gewalt[8] kann man sicher über ein längeres Betretungsverbot diskutieren. Dabei geht es um die Zeit, in der ein Gewalttäter die gemeinsame Wohnung nicht betreten darf. Die Zeit, die einer Frau bleibt, einen sicheren Ort zu finden, wo sie unterkommen kann, ist einfach zu kurz. Das ist zum Beispiel eine Regelung, die auch Opferschutzorganisationen befürworten. Die elektronische Fußfessel im Bereich der häuslichen Gewalt wird auch von einigen befürwortet. Aber auch hier: Schwarz-Rot führt neue Regelungen ein und die Innensenatorin lobt sich selbst dafür, besonders konsequent gegen häusliche Gewalt vorzugehen. Aber gleichzeitig werden Mittel für Prävention, Opferschutz und Täterarbeit gestrichen. Das passt nicht zusammen.
Sie hatten schon öfter eine demokratische Kontrolle der Sicherheitsbehörden gefordert. Wie kann so etwas aussehen? Ist nicht der Landesbeauftragte für Polizei[9] diese Art Gremium?
Ja, auf jeden Fall. Das haben wir auch hart erkämpft. Allerdings war das nur ein erster Schritt. Die Befugnisse des Landesbeauftragten müssen weiter ausgeweitet werden, sodass er besser aufklären kann, auch bei gleichzeitigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Ein weiterer Punkt ist mehr Transparenz über die Anwendung von Überwachungsinstrumenten. Bei vielen Instrumenten weiß man gar nicht, wie häufig die angewandt werden und wie erfolgreich sie sind.
Was sagen Sie denn zu den Messerverbotszonen[10], die ja nun auf den gesamten öffentlichen Nahverkehr ausgeweitet werden sollen?
Wir halten wenig davon, weil das effektiv wenig bringt, außer dass die Polizei dort die Möglichkeit hat, anlasslos Leute zu kontrollieren. Und was das bedeutet, kennen wir aus der Erfahrung: In erster Linie werden migrantisch gelesene und marginalisierte Personen kontrolliert. Messergewalt wird effektiv nicht reduziert. Auch da wird es vielmehr nötig sein, präventiv zu arbeiten und insbesondere in die Jugendarbeit zu investieren.
Die Berliner Gewerkschaft der Polizei hat sich auch eher kritisch zu den Verbotszonen geäußert. Mehr Befugnisse bringen mehr Arbeit. Meinen Sie, dass alle Polizeibeamten die Asog-Novelle gut finden?
Es gibt wenig Kritik gegen mehr Befugnisse aus der Polizei. Ich erlebe eher oft die Haltung innerhalb der Polizei, dass damit gar nicht die eigentlichen Probleme adressiert werden, mit denen sie zu tun haben. Polizeibeamte sehen sich selbst manchmal nicht als das beste Mittel zur Bekämpfung eines Problems. Häufig spürt man eine gewisse Verärgerung, dass die Polizei am Ende wieder anrücken muss, um soziale Probleme zu lösen, die die Politik vernachlässigt.
Es gibt auch die kritischen Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die der Polizei Aufgaben entziehen wollen oder gar die Abschaffung der Polizei fordern.
Ich finde die abolitionistische Diskussion[11] wichtig. Man muss sich schon grundsätzlich die Frage stellen: Wo macht ein Polizeieinsatz überhaupt Sinn und wo gibt es bessere Alternativen? Ich glaube, bei der Frage, wo das konkret möglich ist, ist die Diskussion noch sehr am Anfang. Aber es gibt Beispiele. Wer kommt, wenn eine obdachlose Person im Treppenhaus übernachtet? Das sollte, finde ich, nicht die Polizei sein. Da sollten Menschen kommen, die ausgebildet sind im Umgang mit hilfebedürftigen Personen und den Weg ins Hilfesystem bereithalten. In den USA, in Albuquerque, gibt es zum Beispiel eine Art Community-Notruf für einfache, sozial oder gesundheitlich bedingte Formen der Kriminalität. Es wird versucht, ein durch Not oder Armut entstandenes Problem ohne Polizei zu lösen. Das sind sinnvolle Ansätze, die man auch in Deutschland erproben müsste.
Die Koalition will auch das Versammlungsfreiheitsgesetz reformieren[12]. Der Begriff »öffentliche Ordnung« soll wieder aufgenommen werden, womit man Versammlungen auf dieser Grundlage beschränken könnte. Gibt es dazu schon Neues?
Es gab schon immer das Vorhaben, das neue Gesetz zu evaluieren, und das passiert auch. Das war ein Vorhaben der alten Koalition und das ist auch sinnvoll, solange man mit allen Beteiligten spricht und nicht nur mit der Polizei. Es sollte nicht das Ziel sein, Versammlungen der Polizei so bequem wie möglich zu machen, sondern das Versammlungsrecht so gut wie möglich zu gewährleisten. Wenn die Evaluation vorliegt, werden wir eine Debatte über das Versamlungsfreiheitsgesetz führen. Ob das in die Richtung geht, wie die CDU angekündigt hat, mit der öffentlichen Ordnung, werden wir sehen. Ich sehe bei bei der SPD im Moment wenig bürgerrechtliche Ambitionen. Ich gehe aber auch davon aus, dass die Evaluation Punkte erbringen wird, wie man das Versammlungsrecht stärken kann. Insofern sind das natürlich die Punkte, wo wir uns dann einbringen werden. Das ist zwar ein gutes Gesetz, aber man könnte es sicher noch weiter verbessern. In Richtung mehr Versammlungsfreiheit.
Nun gibt es aber Beispiele, die zeigen, dass sich Schwarz-Rot nicht an die Ergebnisse von Wissenschaftler*innen hält, die Gesetze und politische Maßnahmen evaluieren.
Wir haben das bei den Bodycams erlebt. Es gab eine Evaluation, die hat die Bodycams bei der Polizei zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber doch an vielen Punkten auch Kritisches zu den Regelungen hervorgebracht. Beim Einsatz im Rettungsdienst gab es das klare Ergebnis, dass die Nachteile überwiegen und man auf den Einsatz verzichten sollte. Das hat die Koalition nicht sonderlich interessiert, die haben ihren Stiefel durchgezogen. Und es steht natürlich zu befürchten, dass sie das beim Versammlungsrecht auch so machen werden.