Der Bundestag hat letzte Woche ein neues Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKA) beschlossen. Warum war das notwendig?
2019 hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte in Karlsruhe gegen das damals geltende BKA-Gesetz geklagt und die Datenaufbewahrung, ihre Verarbeitung sowie Löschfristen in der großen deutschen Polizeidatenbank Inpol beanstandet. Das Bundesverfassungsgericht hat dem an vielen Stellen zugestimmt. Die damalige Große Koalition hatte die Umsetzung nicht mehr hinbekommen, auch die darauffolgende Ampel-Koalition nicht. Die Umsetzungsfrist war jetzt im Juni ausgelaufen, deshalb die anfängliche Eile. Meiner Meinung nach ist das nun erneuerte Gesetz aber ein Schnellschuss und deckt nicht wirklich ab, was wir unter Grundrechten verstehen. Zum Beispiel, was die Speicherung von personenbezogenen Daten von Kindern angeht. Wahrscheinlich will man einfach sehen, ob Karlsruhe wieder eingreift, und dann noch einmal handeln.
Was hat die Linksfraktion kritisiert?
Wir haben das Gesetz abgelehnt. Uns ging es vor allem um die geforderte Normenklarstellung. Die ist immer noch nicht im Sinne des Verfassungsgerichts, denn Daten von Tatverdächtigen und verurteilten Tätern sowie von Menschen, die vor Gericht freigesprochen wurden, werden von der Polizei gleich behandelt. Wenn also ein gerichtlicher Freispruch kommt, werden vorhandene Daten nicht gelöscht und könnten für spätere Verfahren in ganz anderem Zusammenhang genutzt werden.
Ein zentraler Punkt des BKA-Gesetzes ist die Erlaubnis zur Überwachung der Kontaktpersonen von Terrorverdächtigen. Was ist daran problematisch?
In diesem Punkt hat die Bundesregierung tatsächlich nachgeschärft. Eine Überwachung von Kontaktpersonen ist zwar weiterhin grundsätzlich möglich, setzt aber eine spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu einem »Gefährder« voraus. Das ist auch eigentlich der springende Punkt: dass schon Tatsachen die Annahme rechtfertigen müssen, dass es sich um einen Gefährder handelt, und dann erst die Kontaktpersonen in den Blick genommen werden dürfen. Bislang war die Schwelle im ersten Schritt nicht hoch genug, also bei der Anlassperson, darauf hat sich das Urteil aus Karlsruhe berufen. Aber die Regelung, wer als Kontaktperson zählt, ist im Gesetz quasi nur verschoben worden.
Wird also auch ein Berater im Reisebüro oder die Bäckerin, wo der Terrorverdächtige die Brötchen kauft, polizeilich gespeichert?
Ja und nein. Bei einer Bäckerin würde wahrscheinlich vermerkt werden, dass die überwachte Person jeden Morgen um 8 Uhr dort Brötchen kauft. Die Bäckerin selbst, also ihre Telekommunikation, ihre Wohnung oder ihr Tagesablauf, wird aber nur weiter überwacht, wenn ein Näheverhältnis zu einem »Gefährder« möglich erscheint. Die Gesetzesänderung bezüglich der Kontaktpersonen ist aber an vielen Stellen, muss ich ehrlich sagen, gar nicht so falsch. Es geht uns vor allem um den Punkt des Datenschutzes beziehungsweise der Verarbeitung und Speicherung von Daten, wo wirklich auch Dinge manchmal aus dem Ruder laufen.
Das klingt ein bisschen nach einem affirmativen Verhältnis zur Polizei. Also finden Sie grundsätzlich richtig, was das BKA macht?
Ich glaube, ehrlich gesagt, dass uns als Partei eine inhaltliche Klärung dazu fehlt. In dem anstehenden Programmprozess wollen wir die Debatte führen, wie wir uns grundsätzlich zu Themen wie BKA, Polizei, Überwachung usw. neu oder klarer positionieren. Das Spektrum bei uns reicht ja von Menschen, die selber bei der Polizei sind, bis zu denen, die den radikalen Ansatz von »Defund the Police« [Vorschlag, statt der Polizei lieber mehr Geld in soziale Sicherheit zu investieren] unterstützen.
Welche Positionen vertreten Sie zum Verhältnis zur Polizei?
Ich bin nicht dafür, die Polizei grundsätzlich abzuschaffen. Und das aus ganz praktischen persönlichen Erfahrungen. Wir hatten etwa bei uns im Kreisverband am Samstag eine Pride-Party, die in einen rechten Algorithmus reingeraten ist, und plötzlich gab es eine ganz konkrete Bedrohungslage. Das hieß aber für mich als Kreisvorsitzenden auch: Ich muss irgendein Schutzkonzept entwickeln. So habe ich die Polizeibehörde bei uns im Kreis darüber informiert und mit dem Staatsschutz gesprochen. Letztendlich war auch die Linksjugend froh, dass die Polizei Sichtbarkeit gezeigt hat.
In welchen Bereichen hat die Polizei aus Ihrer Sicht nichts zu suchen?
Ich glaube, es täte der Polizei ganz gut, wenn sie in einen bürgernahen und freundlichen Modus reinkäme, wenn sie es also als Aufgabe betrachtet, dass wir alle gut miteinander klarkommen. Das ist sehr ambivalent, weil ich glaube, dass gerade die bürgerliche Mitte genau so die Polizei an vielen Stellen auch erlebt. Wenn ich beispielsweise bei mir in einem Feuerwehrkontext mit der Polizei zu tun habe, mache ich nicht unbedingt negative Erfahrungen mit denen. Anders ist das als Demo-Anmelder, wo ich mit der Polizei um jede Auflage verhandeln muss. Ich glaube zudem, es tut der Polizei auch nicht gut, dass sie dermaßen hochgerüstet wird.
Generell gilt: Aus konservativer Sicht hat die Polizei das Funktionieren der herrschenden Ordnung abzusichern. Und die führt nun mal dazu, dass ganze Stadtteile in Armut versinken, soziale Infrastruktur kaputtgespart wird, Menschen in Notsituationen keine ausreichende Unterstützung bekommen. Eine sozial gerechte Gesellschaft, die andere Wege zur Konfliktlösung anbietet, als die Polizei zu rufen, bräuchte dann auch weniger Polizei.
Das BKA verlagert immer mehr seiner Tätigkeiten ins sogenannte Vorfeld – das war mal eine Devise eines früheren Präsidenten. Müsste da nicht auch etwas wieder abgeschafft werden?
Das ist ein richtiger Punkt, diese »Geheimdienstifizierung«, die wir nicht nur beim BKA, sondern auch bei den Polizeien der Länder erleben. Da müssen wir als Linke eine klare Stimme sein, dass das nicht geht. Dieser Aspekt der Beobachtung des Vorfelds von Straftaten ist nicht komplett verkehrt, aber ich würde zum Beispiel sagen, dass diese Geheimdienstmittel übers Ziel hinausschießen.
Die amtierende Koalition spricht davon, dass künftig Sicherheit Vorrang vor dem Datenschutz haben soll. Mich erinnert das an die ewig währende Debatte um das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Unter einem CSU-Innenministerium nun wieder zugunsten der Sicherheit …
Es ist das, was wir seit Jahrzehnten hören. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Wir haben bei uns jetzt Videoüberwachung. Eine schwarz-grüne Koalition hatte das für eine befristete Zeit eingeführt. Danach kam Schwarz-Gelb, hat den Sperrvermerk verlängert. Rot-Grün hat es wieder verlängert, und dann kam der Innenminister Herbert Reul mit Schwarz-Gelb und hat gesagt: Wir machen das jetzt dauerhaft – wegen der öffentlichen Sicherheit. Dieses Vorgehen ist altbekannt.
Bei Tasern für die Bundespolizei wird es ja auch so gemacht.
Genau, das Thema wird nach der Sommerpause von Innenminister Alexander Dobrindt aufgesetzt. Ich glaube, die Union hat einfach wieder ziemlich viele alte Sachen von ihrem Überwachungswahn aus der Kiste geholt. Ich musste dieser Tage an Edward Snowden denken, der vor einem Jahrzehnt gesagt hatte, auf seine Privatsphäre zu verzichten, weil man nichts zu verbergen habe, ist das Gleiche, wie auf Meinungsfreiheit zu verzichten, weil man ja nichts zu sagen habe. Dieses Verständnis von Grundrechten müssen wir als Linke wieder nach vorne stellen.
Merkt man im Innenausschuss eigentlich den Wechsel von einem SPD- zum CSU-geführten Innenministerium?
Das ist aus meiner Sicht nicht großartig anders. Nicht weil die CSU so nett ist, sondern weil ich die frühere Innenministerin Nancy Faeser für nicht gerade sozialdemokratisch halte, gerade was ihre Innenpolitik angeht. Ich habe auch eine andere Einstellung zu Parlamentarismus als Dobrindt. Der Minister sollte etwa zu einem Thema in den Innenausschuss kommen. Statt dass er reingeht und mit uns debattiert, hat er sich erst mal vor die Pressewand gestellt und das erzählt, was er uns eigentlich im Innenausschuss berichten sollte. Ich empfinde es, ehrlich gesagt, als respektlos.
Welche weiteren Gesetzesvorschläge hat Dobrindt noch im Köcher?
Ich glaube, sie werden auf jeden Fall noch mal zum Angriff auf die Zivilgesellschaft ausholen. Im Bereich Überwachung steht die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung an. Dobrindt will auch immer weiter reichende Befugnisse für die Bundespolizei. Eine Reform des Waffenrechts ist ebenfalls angekündigt – das würde ich aber, ehrlich gesagt, aus linker Perspektive auch begrüßen. Die Kennzeichnungspflicht bei der Bundespolizei möchte er abschaffen und dies auch allen Ländern, die sie eingeführt haben, empfehlen.
Also mehr Freiheit – aber nur für die Polizei …
Ja, und Sicherheit für die schwarzen Schafe in der Polizei.