nd-aktuell.de / 06.07.2025 / Kommentare

Weniger Arbeit durch KI – eigentlich eine gute Sache

Anne Roth über Gefahren und Chancen Künstlicher Intelligenz

Anne Roth
Mitarbeiter an einem Streikposten vor dem Standort des Online-Händlers Amazon im englischen Coventry
Mitarbeiter an einem Streikposten vor dem Standort des Online-Händlers Amazon im englischen Coventry

Neue Technologien und der Erhalt von Arbeitsplätzen sind so etwas wie natürliche Feinde, wahrscheinlich spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks. Alles, was Arbeitsabläufe effizienter macht, hat den Effekt, dass Menschen weniger arbeiten müssen. Das ergibt sich quasi von selbst. Im Kapitalismus gilt, dass die einen dann das Ziel haben, dass das alles weniger kostet. Denn warum, finden sie, sollten sie Menschen für etwas bezahlen, was die gar nicht mehr selber tun. Während die anderen kein Interesse daran haben, von Maschinen ersetzt zu werden, solange das nicht die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich bedeutet. Resultat: Armut, Elend, Arbeitskämpfe. Zwei Schritte zurück, einen halben nach vorn.

Eine neue Etappe dieser Dynamik erleben wir gerade bei der sogenannten Künstliche Intelligenz (KI). Sogenannte, weil es keine künstliche Intelligenz gibt – das kann nicht oft genug gesagt werden. Es ist ein Sammelbegriff für viele verschiedene Arten von Software, die zu erklären hier zu weit führen würde. Aber mit menschlicher Intelligenz hat das alles nichts zu tun.

Das KI so wie Digitalisierung und Automatisierung das Potenzial hat, Arbeitsplätze zu gefährden, überrascht niemanden. Gleichzeitig entstehen viele neue Arbeitsplätze: Leute, die das bestellte Essen und viele andere Sachen liefern; Leute, die Bewertungen ins Netz schreiben; die Gewaltvideos anschauen und ausfiltern, bevor wir sie zu sehen bekommen; neuerdings auch diejenigen, die Daten für Dinge wie ChatGPT vorbereiten. Kaum geschützt, unfassbar schlecht bezahlt: Hier wären (mehr) Arbeitskämpfe, Aufmerksamkeit, Solidarität dringend nötig.

»Wettkampfsport« KI-Dystopie

In Deutschland ist das Thema noch nicht so präsent, aber in den USA sieht das anders aus. Connie Loizos, die Chefredakteurin von TechCrunch, einer US-amerikanischen Tech-Nachrichten-Website, nannte Voraussagen zu KI-Jobs diese Woche[1] den neuen »Wettkampfsport«. Vertreter der großen Tech-Unternehmen überschlagen sich mit Ankündigungen dazu. Ford-Chef Jim Farley glaubt, dass die Hälfte aller Bürojobs[2] wegfallen wird. Die auch hierzulande beliebte Sprachlernplattform Duolingo kündigte im April an[3], keine Aufträge für Dinge zu vergeben, die von KI erledigt werden können. (Das kam nicht gut an[4].) Und Microsoft hat gerade erklärt, vier Prozent seiner Beschäftigten[5] entlassen zu wollen.

Neu ist, dass jetzt über diejenigen gesprochen wird, die selbst die Software entwickeln. Denn generative KI (ChatGPT & Co.) kann nicht nur Uni-Hausarbeiten und Bewerbungsschreiben erstellen, sondern auch Software schreiben. Frisst die digitale Revolution jetzt ihre eigenen Kinder?

Nun ist Software-Entwicklung mehr als Befehle oder Datenbankstrukturen in Programmiersprachen zu übersetzen: Auch hier zählen Erfahrung, Verständnis für komplexe Zusammenhänge, Kenntnis chaotischer IT-Flickenteppiche in Unternehmen und Verwaltungen, die »halt so entstanden sind«, und einiges mehr. Wahrscheinlich ist, dass einfachere Tätigkeiten, die eher von Berufsanfänger*innen erledigt werden, von KI-Anwendungen übernommen werden, aber komplexere Dinge nicht so einfach ersetzbar sind. Dazu kommt, dass KI eher unintelligent ist, ständig Fehler macht und somit immer überprüft werden muss, was zeitaufwändig sein kann. Ein neues Forschungspapier der Universität Oxford jedenfalls kommt zu dem Ergebnis, dass KI deutlich schlechteren Code[6] schreibt als angenommen.

Die Ampel-Regierung hat noch vor anderthalb Jahren in der Antwort auf eine Anfrage der Union erklärt[7], sie gehe »weiterhin nicht davon aus, dass der Einsatz von KI die Arbeitslosenquote signifikant beeinflussen wird«. Und: »Eine hohe Bedeutung kommt der Stärkung der Rechte der Betriebs- und Personalräte beim Einsatz von KI-Systemen zu.« Und weiter: »Daneben setzt sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen zur KI-Verordnung für eine klarstellende Öffnungsklausel in der KI-Verordnung ein, die im Hinblick auf den Schutz von Beschäftigten bei der Verwendung von KI-Systemen vorteilhaftere mitgliedstaatliche Vorschriften ermöglicht.«

Nicht KI ist das Problem, sondern Deregulierung

Ob KI tatsächlich zum Abbau von Arbeitsplätzen führt oder aber stattdessen andere entstehen und für wen: Die einen Studien sagen so, die anderen so. Offensichtlich gibt es aber aktuell ein erkennbares Interesse von Tech-Unternehmen, diese Debatte anzufachen. Möglich, dass es nur das dasselbe Strohfeuer ist, dass wir in kürzer werdenden Zyklen die immer neuen Tech-Buzzwords erleben, die angeblich alles auf den Kopf stellen werden. Erinnert sich noch wer an NFTs? Bitcoin? Kryptowährung? Blockchain? Der US-amerikanische Tech-Journalist Brian Merchant hat auf seine öffentlich gestellte Frage, wer schon erlebt hat, dass der eigene Job durch KI ersetzt[8] wurde, so viele Zuschriften[9] bekommen, dass daraus ein umfangreiches Projekt geworden ist. Ganz von der Hand zu weisen ist das alles also nicht.

Die neue Bundesregierung – mit derselben SPD im selben Arbeitsministerium, das in der vergangenen Legislatur zuständig war – singt nun das Lied der Tech-Unternehmen, die vor allem ein Interesse haben: Sie wollen weniger Regulierung und weniger Bürokratie. Der neue Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) hat das in einer Rede von dem IT-Unternehmensverband Bitkom gerade sehr deutlich gesagt: Sein Ziel ist »praktikablere Umsetzung von Regulierung«. Übersetzt bedeutet das: Die Unternehmen sollen weniger durch Regulierung eingeschränkt werden. Und Bürokratieabbau[10] bedeutet nichts anderes, als dass weniger dokumentiert wird, dass die Verwaltung (noch) weniger transparent wird und Arbeitnehmer*innen-, Grund- und Menschenrechte schlechter geschützt sind.

So auch US-Präsident Donald Trump: Er wollte im jüngst verabschiedeten Steuergesetzespaket »Big Beautiful Bill« jegliche Regulierung der KI für zehn Jahre verbieten – was vom US-Senat gerade noch verhindert werden konnte. Hier wäre es nicht nur um Arbeitsplätze gegangen, sondern auch um Begrenzung der Anwendung von KI. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Automatisierte Entscheidungsfindung bei Bewerbungsverfahren, gegen die nicht vorgegangen werden kann, weil gar nicht nachvollziehbar ist, warum die Software so und nicht anders entschieden hat.

Natürlich träumen die Tech-Unternehmer davon, möglichst unreguliert Menschen durch Software zu ersetzen und dabei weder auf Lieferketten noch auf Arbeitnehmer*innenrechte achten zu müssen. Ein paar Subventionen, reduzierte Strompreise und Förderprogramme für das nächste Buzzword nehmen sie dabei gerne noch mit. Wahrscheinlich werden die Produkte und Dienstleistungen, die sie dann verkaufen wollen, nicht so gut sein wie vorher. Wäre es nicht angenehm, nach einem falsch zugestellten Paket von Amazon oder von DHL tatsächlich mit jemandem dort sprechen zu können, um den Fehler aufzuklären? Oder nur die Hälfte zu zahlen, wenn der Service so viel schlechter ist als früher?

Gleichzeitig wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn wir einen Teil der Arbeit den Maschinen überlassen könnten – solange geregelt wäre, dass alle etwas davon haben: weniger Arbeit, mehr Zeit, aber gleichzeitig genug Einkommen. Ohne neue Arbeitskämpfe wird das aber nicht gehen. Und wahrscheinlich müssten vorher ein paar Monopole zerschlagen werden.

Links:

  1. https://techcrunch.com/2025/07/02/ai-job-predictions-become-corporate-americas-newest-competitive-sport/
  2. https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ford-chef-jim-farley-kuenstliche-intelligenz-wird-die-haelfte-der-buero-angestellten-ersetzen-a-f2c2477f-2f47-46bb-ae7b-db28ec5631f2#ref=rss
  3. https://t3n.de/news/arbeit-neu-denken-duolingo-setzt-im-grossen-stil-auf-ki-1684949/
  4. https://www.watson.ch/digital/analyse/950888830-wie-die-sprach-lern-app-duolingo-in-die-ki-falle-tappte
  5. https://www.nytimes.com/2025/07/02/technology/microsoft-layoffs-ai.html
  6. https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/ki-arbeit-in-der-tech-branche-waechst-die-sorge-vor-jobverlust/100136196.html
  7. https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-989112
  8. https://www.bloodinthemachine.com/p/did-ai-kill-your-job
  9. https://www.bloodinthemachine.com/p/how-ai-is-killing-jobs-in-the-tech-f39?utm_source=substack&utm_medium=email
  10. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188888.wirtschaftswende-buerokratieabbau-krieg-dem-papierkram.html?sstr=künstliche|intelligenz