Nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Dienstag vergangener Woche[1] in Stuttgart sind neue Details bekannt geworden. Der Südwestrundfunk (SWR) berichtet, ein Polizist habe möglicherweise einen Weglaufenden erschossen. Ein solcher Schusswaffeneinsatz ist rechtlich nicht zulässig: Die bloße Flucht eines Verdächtigen gilt nicht als ausreichender Grund für den Gebrauch tödlicher Gewalt.
Grundlage der SWR-Recherche sei ein Video, das dem Sender vorliege und derzeit vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) ausgewertet werde. Darin sei zunächst ein Polizist zu sehen, der mit gezogener Waffe und Taschenlampe rufe: »Polizei, Hände hinter den Rücken!« Wenige Sekunden später höre man ihn sagen: »… oder ich schieße.« Dann sei ein Mann zu sehen, der über eine Absperrung springe. Kurz darauf falle ein einzelner Schuss, das Opfer breche zusammen.
Ermittler*innen untersuchen nun, ob sich der Mann von dem Polizisten wegbewegt habe. Ziel sei es, zu klären, ob aus Sicht des Schützen eine akute Gefahr bestand, die den Schuss rechtfertigen könnte. Ein Augenzeuge, der sich an den SWR wandte, habe den Vorfall laut dem Sender aus nächster Nähe beobachtet. Demnach sei ein einzelner Polizist in einen Innenhof zurückgekehrt, wo der Verdächtige zuvor nicht gefunden worden war, und habe plötzlich gerufen: »Ich habe Kontakt!«
Der tödlich Getroffene soll wenige Minuten zuvor einen 29-jährigen Landsmann vor einer Sportsbar im Stuttgarter Osten mit einem scharfen Gegenstand schwer verletzt haben. Zunächst war die Polizei davon ausgegangen, dass es sich bei dem Erschossenen um einen 18-Jährigen handelt. So sei es Ende Juni bei einer Kontrolle in Nordrhein-Westfalen polizeilich erfasst worden. Nach dem Tod des Mannes hätten Angehörige Dokumente vorgelegt, die laut Staatsanwaltschaft Stuttgart und LKA belegten, dass dieser 29 Jahre alt gewesen sei.
Erst in der Woche zuvor war in Wangen, Landkreis Göppingen ein 27-Jähriger von der Polizei erschossen worden, nachdem er einem Beamten Schnittverletzungen zugefügt haben soll. Insgesamt erschoss die Polizei im laufenden Jahr bereits 15 Menschen, eine außergewöhnlich hohe Zahl, sechs davon in Baden-Württemberg. Die Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) spricht im Zusammenhang mit den beiden aktuellen Fällen von Rassismus. »Fast nie werden die Täter in Uniform zur Rechenschaft gezogen und verurteilt. Und fast immer werden Polizeimorde vertuscht und verharmlost«, heißt es in einem Posting der Gruppe auf Instagram.
Die Ermittlungen zu dem Einsatz in Stuttgart dauern an, zuständig ist das LKA Baden-Württemberg. Vergangene Woche erfolgte bereits die Obduktion. Wann die bald vorliegenden Ergebnisse veröffentlicht werden, werde nach ermittlungstaktischen Erwägungen entschieden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft zu »nd«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192413.polizeigewalt-in-stuttgart-beim-weglaufen-erschossen.html