nd-aktuell.de / 08.07.2025 / Politik

Taiwan: Tai Chi reicht nicht gegen China

Taiwan wappnet sich mit den größten Militärübungen seiner Geschichte gegen potenziellen Angriff

Felix Lill
Ab dem 9. Juli sind sie auch bei den Han-Kuang-Übungen wieder gefragt: Reservisten üben den Städtekampf am 11. Juni in Taipeh.
Ab dem 9. Juli sind sie auch bei den Han-Kuang-Übungen wieder gefragt: Reservisten üben den Städtekampf am 11. Juni in Taipeh.

Diesmal ist auch die zivile Welt eingebunden: Eine Supermarktkette probt, wie sie im Fall eines Angriffs auf Taiwan humanitäre Hilfsgüter verteilen würde. Die Bevölkerung soll außerdem lernen, wie sie sich bei Luftangriffen in Sicherheit bringen und wie eine Evakuierung ablaufen kann. All dies wird geschehen, während das Militär mit erstmals 22 000 Reservisten die Verteidigung der Insel übt, unter anderem mittels Abwehrsystemen gegen Angriffe aus der Luft, von See und vom Boden aus. Taiwan stellt sich auf den Ernstfall ein.

Ab diesem Mittwoch regiert in dem Inselstaat, der nur 120 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt liegt, ein simulierter Ausnahmezustand. Solche Militärübungen werden zwar jährlich abgehalten. Diesmal sind sie aber größer als je zuvor: mehr Personal, mehr Gerät, mehr Einbindung von Zivilist*innen, mehr Zeit. Ganze zehn Tage und neun Nächte werden die Han-Kuang-Übungen dieses Jahr dauern – doppelt so lange wie bisher.

Volksrepublik China gegen Republik China

Warum? Das Risiko, dass der von Peking aus regierte Ein-Parteien-Staat – offiziell Volksrepublik China[1] genannt – in naher Zukunft die demokratisch regierte Insel Taiwan – offizieller Name: Republik China – angreift, sei zuletzt weiter gestiegen.

Wie man sich in so einem Fall zu verhalten habe, soll nun auch dadurch gelernt werden, dass Offizielle aus Taiwan Wissen anwenden, das sie jüngst aus der Beobachtung von Konflikten gewonnen haben, die sich derzeit anderswo abspielen. Auf Grundlage von Lehren, die die Kriege in der Ukraine sowie im Nahen Osten bieten, will Taiwans Militär etwa auch die Chancen des Bestehens in einem Abnutzungskrieg testen, zu dem ein Angriff durch China wohl führen würde: Sollte ein Krieg ausbrechen, würde er vermutlich für lange Zeit andauern, so die Annahme. Gerade deshalb sei es von zentraler Bedeutung, erklärten zuletzt Offizielle des Militärs gegenüber der taiwanischen Nachrichtenagentur CNA, dass der zivile und der militärische Sektor eng kooperieren.

Seit Jahren nehmen jedenfalls Häufigkeit und Lautstärke der Drohungen aus Peking zu, man werde sich Taiwan notfalls per Invasion einverleiben. Dieser Konflikt, häufig Taiwan-Konflikt genannt, reicht bis ins Jahr 1949 zurück, als der Chinesische Bürgerkrieg darin mündete, dass sich die unterlegenen Nationalisten vom Festland auf die Insel Taiwan absetzten, um dort ihre Republik China fortzuführen. Auf dem Festland installierten sich die Kommunisten und etablierten die Volksrepublik China.

Beide Staaten beanspruchen für sich, nicht nur das wahre, sondern auch das einzige China zu sein. Während man sich in Taiwan allmählich vom Anspruch einer Rückeroberung verabschiedet hat, erhebt das von Peking aus regierte Festlandchina weiter Anspruch auf Taiwan. Gerade in den vergangenen Jahren, als das Wirtschaftswachstum nachließ, hat die Konzentration auf territoriale Expansion zugenommen. Peking will Taiwan auch deshalb kontrollieren, weil es dann mit der Marine besseren Zugang zum Ozean hätte.

Da dies insbesondere die USA und Japan – die im Pazifikraum ihren Einfluss bewahren wollen – zu vermeiden versuchen, hat wiederum deren Kooperation mit Taiwan zugenommen. Die USA liefern schon lange Militärgerät nach Taiwan. Aber auch in Japan wird betont, dass Taiwan bei der eigenen Sicherheitsstrategie eine zentrale Rolle spiele. So sagt Narushige Michishita, einst bei Japans Selbstverteidigungskräften und heute Professor am Tokioter Graduate Institute for Policy Studies: »Wenn sich der US-Präsident verpflichtet fühlt, Taiwan zu verteidigen, dann sind wir dies auch.«

Taiwan unsicher über Trumps Absichten

Schließlich erklären sich die in diesem Jahr noch größeren Militärübungen Taiwans nicht zuletzt dadurch, dass man auch in Taiwan nicht sicher ist, wie sich Donald Trump im Falle eines chinesischen Angriffs verhalten würde. Der seit Januar erneut amtierende US-Präsident hat auf mehreren Feldern die bisherige Linie der US-Außenpolitik verworfen. Auf dem von Taiwans Vertretung in Deutschland mitveranstalteten Deutsch-Taiwanischen Symposium in Berlin betonte Angela Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik kürzlich: »Niemand weiß, was Trump denkt.« Aus Vorsicht heraus wird weiter aufgerüstet.

Dabei spielt man in letzter Zeit nicht nur in Taiwan Krieg. Im April übte sich das von Peking aus regierte Festlandchina im zentralen und südlichen Teil der Taiwanstraße darin, präzise Angriffe auf wichtige Ziele sowie gemeinsame Blockaden zu simulieren. Shi Yi, Oberst des chinesischen Ostkommandos, erklärte damals in einer Mitteilung: »Die Übungen konzentrieren sich auf Identifizierung, Überprüfung, Warnung und Vertreibung sowie Abfangen und Festhalten.« In vielen Ohren klang es nach der Planung der ersten Stufe einer Invasion.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189526.volkskongress-in-china-taiwan-bleibt-auf-dem-tisch.html