Bei der Europameisterschaft[1] ist der zweite Spieltag der Gruppenphase gerade vorbei, da haben die deutschen Fußballerinnen schon »das erste Ziel erreicht«. So beschrieb Bernd Neuendorf den vorzeitigen Einzug ins Viertelfinale. Das ist keine Tiefstapelei vom Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ähnlich klingende Zurückhaltung war ja auch aus dem Team zu hören. Und ja, die Gruppe C[2] dieser EM ist keineswegs eine leichte. Doch beim DFB[3] scheinen sie auch aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Weil die Frauen bei der letzten WM erstmals in der Vorrunde gescheitert waren, wurde die Blamage für den Präsidenten umso größer: Neuendorf verpasste das Turnier, weil er erst zum Achtelfinale nach Australien reisen wollte.
Nun ist Neuendorf nicht nur in der Schweiz[4] unterwegs, um sich Fußballspiele anzuschauen, nebenbei wirbt er kräftig für eine Europameisterschaft 2029 in Deutschland. Als der DFB-Präsident am Mittwoch in Zürich über die deutschen Fußballerinnen sprach, sagte er auch, dass im Hintergrund sehr stark an dieser Bewerbung gearbeitet werde. Am Sonnabend wird er wieder im Stadion sitzen, wenn es zum Gruppenabschluss gegen die Schwedinnen geht.
Bei den DFB-Frauen ist es Zeit für neue Ziele. »Wir wollen die Gruppe gewinnen«, sagte Kapitänin und Abwehrchefin Janina Minge wohl nicht nur mit Blick auf das kommende Duell. Denn der Gruppensieger könnte auf die bislang überragend spielenden Weltmeisterinnen aus Spanien[5] frühestens im Finale treffen. Genau da wollen die deutschen Fußballerinnen ja hin. Und soll aus dem formulierten Titel-Wunsch dann auch noch Wirklichkeit werden, müssen sie sich deutlich steigern. Denn nicht nur die technisch starken Spanierinnen machen mit ihrem auf Ballbesitz angelegten Spiel einen besseren Eindruck. Die taktisch disziplinierten Titelverteidigerinnen aus England[6] brachten am Mittwoch beim 4:0 gegen die Niederländerinnen ihre offensive Wucht mit beeindruckender Überzeugung auf den Platz. Mit einer Mischung aus beiden Spielweisen gehört auch das neu formierte französische Team in den Favoritenkreis, dem Auftaktsieg gegen England folgte am Mittwochabend beim 4:1 gegen Wales ein schwächerer Auftritt.
Diese Spiele werden sich auch die deutschen und schwedischen Fußballerinnen angeschaut haben, schließlich kommt ihr jeweiliger Gegner im Viertelfinale aus dieser Gruppe D. Wer es dann konkret sein wird, scheint jedoch zweitrangig zu sein, denn beide Teams schauen letztlich lieber auf sich selbst. »Wir wollen gegen Deutschland gewinnen«, lässt Schwedens Kapitänin Kosovare Asllani keinen Raum für Zweifel. Dabei würde den Gegnerinnen der DFB-Frauen[7] am Sonnabend in Zürich schon ein Unentschieden zum Gruppensieg reichen. »Weil wir besser sind«, erklärte Abwehrspielerin Nathalie Björn auch gleich, warum sie auch gewinnen werden.
Für die DFB-Frauen kommt das Spiel gegen die selbstbewussten Schwedinnen zur rechten Zeit: Nach dem Auftaktsieg gegen Polen und dem hart erkämpften 2:1 gegen Dänemark steigert sich die Qualität des Gegners erneut. Im Stile dieser oft beschriebenen »Turniermannschaften« kann das Team von Bundestrainer Christian Wück n[8]un zeigen, dass es in der Lage ist, besseren Fußball zu spielen.
Was sie können, das haben die deutschen Fußballerinnen[9] am Dienstag gegen Dänemark gezeigt. Gegen einen guten, aber mit beschränkten Mitteln agierenden Gegner hat es die DFB-Elf geschafft, aus einer stabilen Abwehr heraus Druck aufzubauen und Torgefahr zu erzeugen. Allerdings lässt sich dieses durchaus hoffnungsvolle Team noch zu leicht beeindrucken – und macht damit den Gegner stark. Bis zum durch den Videobeweis aberkannten Führungstreffer hatte das deutsche Team das Geschehen in den ersten 20 Minuten dominiert und war mehrfach zu Torchancen gekommen. Dann der Bruch: Plötzlich waren die Däninnen präsent, sorgten mit einfachen Spielzügen und in Unterzahl für Gefahr und gingen alsbald in Führung.
»Wir haben drei Nackenschläge bekommen«, analysierte Wück. Damit meinte er das ungültig erklärte Führungstor, den Rückstand und den zum Ende der ersten Halbzeit ebenfalls per Videobeweis zurückgenommenen Elfmeter. »Das macht was mit einer Mannschaft«, meint der Bundestrainer[10]. Auch wenn das alles in Nebensätzen verpackt war, erstaunlich ist es allemal. Und keineswegs zielführend: Mit Ausreden wurde noch kein Spiel gewonnen. Doch selbst die Spielerinnen beriefen sich auf diese Szenen samt der langen Unterbrechungen, um die Widrigkeiten des Spiels zu erklären. Sollte es also wirklich stimmen, dass richtige Entscheidungen des Videoschiedsrichters das Team derart beeinflussen, ist das eine mentale Schwäche, an der dringend gearbeitet werden muss.
Wenn das Team auf Widerstände trifft, wackelt es noch. Das ist nach den Brüchen in der jüngeren Vergangenheit mit Trainerwechseln[11], Rücktritten von Spielerinnen und dem Neuaufbau unter Wück[12] verständlich. Vielleicht sollten auch die großen Ziele neu definiert werden. Es muss nicht immer gleich der Titel sein: Dass eine EM auch ohne Trophäe zum Erfolg werden kann, haben die Männer des DFB im vergangenen Jahr beim Heimturnier[13] gezeigt. Mit dem Sieg gegen Dänemark haben die Frauen gezeigt, dass sie auf einem guten Weg sind.