nd-aktuell.de / 11.07.2025 / Politik

Ausgleich mit dem syrischen Nachbarn im Norden

Israel will sich mit den neuen syrischen Machthabern auf ein Sicherheitsabkommen verständigen

Oliver Eberhardt
Ein israelischer Soldat steht auf einem Aussichtspunkt in den von Israel annektierten Golanhöhen und blickt Richtung Südsyrien.
Ein israelischer Soldat steht auf einem Aussichtspunkt in den von Israel annektierten Golanhöhen und blickt Richtung Südsyrien.

Die Bedeutung der Golan-Höhen erschließt sich am Besten, wenn man unten in Tiberias am Wasser des See Genezareth steht, in die Ferne blickt, auf die Anhöhe die kurz hinter dem anderen Ufer stark ansteigt. Wer da oben mit Waffen und Ferngläsern steht, kann einen Großteil des israelischen Nordens beschießen.

Der Weltöffentlichkeit bekannt ist dieses Gebiet seit 1967 als Golanhöhen: Nachdem die ägyptische Regierung die Straße von Tiran im Roten Meer für israelische Schiffe gesperrt hatte, startete das israelische Militär am 05. Juni 1967 einen Angriff auf ägyptische Luftwaffenbasen. Am Ende des Sechstagekriegs[1] kontrollierte Israel Ost-Jerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel und eben die Golanhöhen.

Sollte man sie an Syrien zurückgeben, im Gegenzug für einen Friedensvertrag[2]? Seit den 90er Jahren wird diese Frage immer wieder diskutiert und auch jetzt ist sie, recht überraschend, wieder auf der Tagesordnung nach oben gerutscht. Im Mai hatte US-Präsident Donald Trump den neuen syrischen Präsidenten Ahmad Al-Scharaa in Saudi-Arabien getroffen, ihn dazu aufgefordert, Frieden mit Israel zu schließen.[3]

Ende Juni meldeten dann mehrere israelische Medien, Vertreter Israels hätten direkt mit Gesandten Al-Scharaas gesprochen. Am Montag berichtete das Nachrichtenportal Ynet dann, der nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi habe sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) direkt mit Al-Scharaa getroffen.

In Israel, aber auch bei Trumps Unterstützern in den USA[4], hat dies die Fantasie beflügelt: Ein Friedensschluss sei möglich, kommentierten konservative israelische und amerikanische Medien gleichermaßen. Mehrfach wurde Trump schon zum Friedensstifter heraufbeschworen und erklärt, Syrien werde das nächste Land sein, dass dem »Abraham-Abkommen« beitritt.

Dabei handelt es sich um einen im September 2020 auf Vermittlung Trumps geschlossenen Vertrag zwischen Israel, den VAE und Bahrain, der die Beziehungen zwischen den beiden arabischen Staaten auf der einen und Israel auf der anderen Seite normalisierte.

Behauptet von sich, ein starker Führer zu sein, der den Frieden bringt: der syrische Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa auf einem Werbebanner in Damaskus. Trump hingegen scheint weniger angesehen zu sein.
Behauptet von sich, ein starker Führer zu sein, der den Frieden bringt: der syrische Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa auf einem Werbebanner in Damaskus. Trump hingegen scheint weniger angesehen zu sein.

Nur: Die VAE und Bahrain hatten nicht nur nie Israel den Krieg erklärt, sondern sogar bereits seit vielen Jahren Kontakte zu Israel unterhalten. Syrien und Israel hingegen haben mehrere blutige Kriege ausgefochten. Syrien hat zudem nach Angaben der Vereinten Nationen rund 586 000 palästinensische Flüchtlinge sowie deren Nachkommen aufgenommen, von denen sich Ende 2023 noch 438 000 im Bürgerkriegsland aufhielten.

Dementsprechend intensiv betreiben israelische Diplomaten nun erweitertes Erwartungsmanagement: »Jeder, der darauf hofft, bald Falafel in Damaskus essen zu können, ist komplett bescheuert«, zitiert Ynet eine anonyme Quelle im Außenministerium. Es gehe nur um den Abschluss eines Sicherheitsabkommens. Offiziell sagen weder das israelische noch das syrische Außenministerium irgend etwas; man habe im Jahr 1991 eine schmerzhafte Lehre ziehen müssen, sagt ein israelischer Diplomat, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Damals hatten sich Israel, Syrien, Jordanien und die Palästinenser auf Einladung Spaniens, der USA und der Sowjetunion in Madrid zu Friedensgesprächen getroffen. Doch die öffentliche Natur der Konferenz führte dazu, dass sich alle Seiten mit immer neuen, komplexeren Forderungen übertrumpften, um nach außen möglichst gut dazustehen. Weniger als zwei Jahre später erfuhr eine komplett überraschte Öffentlichkeit auf beiden Seiten, dass sich Israels Regierung und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) in monatelangen Geheimverhandlungen auf die Osloer Verträge geeinigt hatten.

Auch wenn die Verträge heute von vielen als gescheitert betrachtet werden, gilt der Verhandlungsstil nun als Königsweg: Es ist besser, außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verhandeln, denn die Tagespolitik zermalmt alles[5], was ihr in den Weg kommt.

Und so bahnt es sich auch jetzt an: Als erster meldete sich Verteidigungsminister Israel Katz zu Wort; man werde keinesfalls die Golanhöhen räumen. Diese Gegend jedoch war und ist der eine Punkt, über den man sich einigen muss, um überhaupt über einen Friedensvertrag nachdenken zu können. Man braucht einen öffentlichen Konsens und eine Lösung, die auch für jene akzeptabel ist, die sich diesem Konsens nicht anschließen wollen.

Mit dem Machtwechsel in Syrien teilen beide Regierungen zunächst einmal eine ganze Reihe von Interessen: Die Hisbollah, die iranischen Revolutionsgarden sind für beide eine Bedrohung. Immer wieder betont Al-Scharaa in Interviews, dass er sich ein Syrien wünscht, das im Frieden mit seinen Nachbarn lebt[6] und frei von äußeren Einflüssen ist. In Israel hört man diese Worte sehr gerne: Mit der Abreise der Al-Assad-Familie nach Moskau und dem Fall ihres Regimes ist zunächst einmal ein elementarer Baustein im Bedrohungsszenario weggefallen: Die iranischen Revolutionsgarden haben einen treuen Gehilfen und eine Basis verloren.

Al-Scharaa selbst ist an der Spitze einer islamistischen Miliz an die Macht gekommen, die zeitweise Al-Qaida gegenüber loyal war und Kontakte zur Terrormiliz »Islamischer Staat« unterhielt. Offen ist, wie viel davon Strategie war, und wie viel echte Überzeugung. Der neue Präsident wuchs in Mezzeh auf, einem säkularen Stadtteil von Damaskus. Sein Vater Hussein Ali Al-Scharaa ist arabischer Nationalist; Veröffentlichungen deuten darauf hin, dass er zumindest in den 70er Jahren ein glühender Anhänger der Ideologie des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser war. Die Gegensätze der syrischen Gesellschaft vereinen sich hier also in einer Familie.

Was aus der Zeit der Al-Assads geblieben ist, ist die emotionale Bedeutung der Golanhöhen: Die strategische Bedeutung hat stark abgenommen; mittlerweile verfügen auch Gruppen wie die Hamas, die Hisbollah oder die Huthi über technologisch hoch entwickelte Raketen mit großer Reichweite. Doch die Region ist für israelische Rechte zum Teil des Siedlungsprojekts geworden[7]; 31 000 Israelis leben hier mittlerweile in völkerrechtlich illegal gebauten Siedlungen.

Für viele Syrer indes ist der Golan ein integraler Bestandteil des Landes, das Bad im See Genezareth ein Traum, mit dem auch Al-Scharaa spielt: Während des Bürgerkriegs nannte er sich »Al-Dschaulani« – der aus dem Golan stammt. Zwar ist er selbst in Riad geboren. Aber seine Familie stammt angeblich von dort.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190955.nahost-israels-streitkraefte-bombardieren-damaskus.html?sstr=syrien israel
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192038.krieg-zwischen-iran-und-israel-nun-scheint-alles-moeglich.html?sstr=golanhöhen
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176790.israel-saudi-arabien-tel-aviv-will-die-aussoehnung-mit-dem-koenigreich-saudi-arabien.html?sstr=syrien israel
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191242.sanktionen-gegen-syrien-heikle-vereinbarungen.html?sstr=syrien israel
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189514.syrien-teilen-und-herrschen-in-syrien.html?sstr=syrien israel
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187599.israel-und-syrien-wie-man-konflikte-schuert.html?sstr=golanhöhen
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188528.autoritaeres-israel-grossisrael-ideologie-gewinnt-an-boden.html?sstr=golanhöhen