Das war ein Wilmersdorfer Wohlgefühl: Ein paar Spatzen stritten sich um die Krümel eines Baguettes, aber insgesamt war die Stimmung friedlich vor dem französischen Restaurant am Leon-Jessel-Platz. Pilz-Platz nennen ihn die Leute auch, weil da ein Brunnen in Form eines großen steinernen Pilzes steht. Das Wasser plätscherte beruhigend. Die Paté Paysan hatte gemundet. Das Orange eines Müllereimers strahlte in der Abendsonne. Und am liebsten hätte ich es quer über den Platz gerufen: »Vergessen wir Paris! Berlin ist die Stadt der Liebe!«
Nicht nur die Farbe des Mülleimers hatte mein Herz erwärmt. »Eimer liebt dich« steht da in Weiß auf orangenem Grund. Dahinter ein Herz wie ein Ausrufezeichen. Eine Stadt, in der sogar die Behältnisse für das, was wir wegwerfen, zur Liebe fähig sind – wie ist das noch zu übertreffen?
Die Farbe Orange gilt als Anti-Gewalt-Farbe, habe ich im vergangenen Jahr erfahren. Anlass für diese Information war das Gegenteil von Liebe: Gewalt gegen Frauen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat eine weitere orangene Bank gegen Gewalt an Frauen aufgestellt. »Hellersdorf sagt Nein zu Gewalt« steht auf der Bank. Da ist auch ein QR-Code, der direkt zu Beratungs- und Hilfsangeboten für Frauen führt.
Auch wenn in Berlin Eimer lieben: »40 Prozent der Frauen deutschlandweit erfahren seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche Gewalt – und das ist noch nicht einmal die Dunkelzahl«, hat die Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) erklärt, und auch, warum Hilfe wichtig ist. »Gewalt gegen Frauen ist vielseitig, von der Anmache auf der Straße bis zum Fausthieb im Wohnzimmer. Und da, wo Frauen und Mütter geschlagen werden, sind oft auch Kinder und ganze Familien von Gewalt betroffen«, sagt sie.
Eine Stadt, in der sogar die Behältnisse für das, was wir wegwerfen, zur Liebe fähig sind – wie ist das noch zu übertreffen?
Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben behauptet, dass die Aktion mit der Bank 2021 im Rhein-Sieg-Kreis initiiert wurde und sich dann bundesweit andere Städte und Gemeinden angeschlossen haben. Wir haben in Berlin eine Rheinland-Aktion kopiert. Nicht wirklich, oder? Es gibt da aber noch eine andere Geschichte zu den Bänken in Orange: Die besagt, dass Zonta, der internationale Serviceclub von Frauen, die Idee mit den symbolischen Sitzmöbeln hatte. Serviceclub heißt: Zonta ist so etwas wie der Lions Club oder der Club der Rotarier – nur eben für Frauen. Also Menschen, die Solidarität simulieren, um sich gut zu fühlen und das bei netten Clubabenden zu feiern.
Zonta also habe die Idee gehabt, Gebäude orange zu beleuchten, um auf die Rechte von Frauen aufmerksam zu machen. Dann kamen Corona und danach die Energiekrise – das sei der Moment gewesen, über etwas Neues nachzudenken. Etwas Nachhaltiges sollte es sein, etwas, das man nicht einfach ausknipsen kann. So sei Zonta auf die Idee mit den orangen Bänken gekommen. New York – das klingt auf jeden Fall besser als Rheinland. Und Orange besser als Mocha Mousse, Matchagrün, Buttergelb, Kurkuma, Aubergine und Geige (eine Mischfarbe aus Grau und Beige) – also die Farben, die ein Modemagazin gerade als wahnsinnig trendig verkündet hat. In Orange zu lieben, ist da geradezu old school.
Wobei: Liebe geht in Berlin auch in Gelb: »Weil wir dich lieben« nennen sich die Social-Media-Accounts der BVG, unserer geliebten Berliner Verkehrsbetriebe. Und auch wenn man diese Liebe im Alltag nicht immer so bemerkt in verspäteten Bussen, vollen Trams und schmuddeligen U-Bahnhöfen – sie ist da, das spürt man, irgendwie. So wie Wolf Biermann die Liebe des Zentralkomitees der SED gespürt und in seinem Lied »Das macht mich populär« beschrieben hat: »Und sperrt ihr mich im Eisschrank ein: Ich fühl’ mich wohl dabei. Ich spür’ bei jedem Kältegrad die Obhut der Partei. Bei jedem Kübel Dreck spür’ ich die Liebe des ZK. Zum ganzen 11. Plenum sag’ ich zwölfmal: Ja! Hurra!«
Das mit der Liebe ist der BVG vor zehn Jahren eingefallen – beziehungsweise der Agentur GUD Berlin GmbH. Diese hat dafür einige Preise bekommen. Unter anderem 2016 den »German Brand Award« in Gold. »Wie kann ein öffentliches Verkehrsunternehmen die Herzen seiner Fahrgäste erreichen?« Das war die Ausgangsfrage. GUD, so wird es erklärt, wählte für die BVG und deren Kampagne »#weilwirdichlieben« die folgende Strategie: »1. Polarisieren: mit dem Bekenntnis ›Weil wir dich lieben‹. 2. Zielscheibe setzen: Hashtag nutzen. 3. Vernetzen: crossmedial. 4. Unterhalten und informieren: selbstironisch, mit Herz und Schnauze.« Und dann sei passiert, was die Marketingstrategen vorausgesagt hatten: »Der erwartete Shitstorm wurde binnen kürzester Zeit umgedreht – hin zu signifikant besseren Imagewerten.«
Die Jury des »German Brand Award« fand das klasse, denn: »Um das Image von Verkehrsbetrieben im öffentlichen Nahverkehr ist es in den meisten Fällen nicht gut bestellt. Etliche Kampagnen sind vorübergezogen, ohne wirklich etwas zu verändern.« Ganz anders sei die Kampagne der BVG. »Die frisch-freche und wunderbar selbstironische Kampagne offenbart eine BVG, die sich auf sympathische Weise selbst auf die Schippe nimmt und damit vor allem bei jungen Menschen genau den richtigen Ton trifft – der Clou ist der Viralvideohit ›Is mir egal‹ –, aber auch ältere Menschen nicht unberührt lassen dürfte.« Und: »Dass bei allem Humor Kernkompetenzen, Services und sonstige Infos klar und auf dem Punkt kommuniziert werden, ist Beleg für eine wohlüberlegte Strategie, die – wenn man genau hinschaut – in Wirklichkeit gar nicht so verrückt ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint.«
Die Liebe in Gelb ist jedenfalls langlebig – und neuerdings lässt sie sich auch nicht aufhalten. Wer Türen von U-Bahnen, Trams oder Busen »mutwillig« offen hält und so den Fahrbetrieb verzögert, muss seit Anfang Mai mit einer Strafe von 50 Euro rechnen. Rund drei Millionen Menschen sind jeden Tag in U‑Bahnen, Bussen und Trams der BVG unterwegs. Sie sollen sich auch alle liebhaben, aber darunter verstehen die BVG-Oberen und die Menschen, die mit den Öffis durch die Stadt fahren, mitunter verschiedene Dinge. Sich in die Tür zu stellen, obwohl es bereits hieß »Bitte zurückbleiben« und die roten Lämpchen blinken, halten viele für einen Akt der Nächstenliebe, wenn sie sehen, dass noch jemand versucht, die Bahn zu erreichen.
Die BVG hält das für lieblos den Fahrgästen gegenüber, die schon drin sind in Bus, Bahn oder Tram. »Damit der Betrieb reibungslos läuft und alle Fahrgäste sicher an ihr Ziel kommen, ist gegenseitige Rücksichtnahme das A und O«, teilt die BVG mit. Deshalb habe man die Nutzungsordnung ab dem 1. Mai unter anderem um folgende Regel ergänzt: »Wer Türen mutwillig blockiert und dadurch den Schließprozess sowie die Abfahrt verzögert, dem droht eine Vertragsstrafe in Höhe von 50 Euro.«
Jedes Offenhalten der Türen verzögere das Ein- und Aussteigen mit unmittelbaren Auswirkungen auf den gesamten Linienbetrieb. Darüber hinaus könne das Blockieren »im Schließprozess gefährlich werden«. Wer nach dem Ertönen des Türsignals noch im Türbereich stehe, bringe sich in Gefahr, eingeklemmt oder verletzt zu werden. Und dann hat die BVG noch diesen Satz rausgehauen: »Im Sinne eines reibungslosen Ablaufs und des aktuellen Kurses ›Stabilität vor Wachstum‹ bittet die BVG alle Fahrgäste um Umsicht und Unterstützung bei zügigen Abfahrten.« Das klingt sehr verliebt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192577.berlin-bvg-werbung-die-stadt-der-liebe.html