nd-aktuell.de / 14.07.2025 / Kultur

Woher kommt sie plötzlich?

Die deutsche Rapperin Zah1de ist 15 Jahre jung und ein kulturelles Ereignis

Konstantin Nowotny
»Chabos wissen, wer Zahide ist.« Mancher nd-Redakteur bekommt das täglich von seiner Tochter vorgesungen.
»Chabos wissen, wer Zahide ist.« Mancher nd-Redakteur bekommt das täglich von seiner Tochter vorgesungen.

Eigentlich ist es doch recht leicht, ein Chabo zu sein. Es genügt offenkundig, die Rapperin Zahide Kayaci alias Zah1de zu kennen. Dann, so sagt sie es in einem ihrer Songs selbst, darf man sich einen »Jungen« nennen, einen »Bruder«, einen »Papa«, gar einen »Chef«.

Wie bitte? Gut, wenn man nicht weiß, wer Zah1de ist, und vielleicht auch nicht, was ein »Chabo« ist, dann wird’s verwirrend, mitunter gänzlich unverständlich. Von vorn: Zahide Kayaci ist eine 15-jährige Berliner Tänzerin und Rapperin mit türkischen Wurzeln. Sie ist Mitglied in der bekannten Berliner Tanzschule Lunatix und veröffentlicht seit etwa zwei Jahren – wie so viele Jugendliche, die mit Rap und Tanz etwas anfangen können – Videos auf der Plattform Tiktok. Im Gegensatz zu den allermeisten Jugendlichen, die das tun, hat Zah1de damit Erfolg.

Und das nicht wenig: Im Juli 2025 zählte sie auf der Plattform über acht Millionen Follower*innen. Damit ist sie in diesem Kosmos um ein Vielfaches bekannter als so mancher etablierter Rap-Star. Acht Millionen, das ist kein Newcomer-Hype mehr, kein »virales Phänomen«, das ist – nicht nur, aber insbesondere für eine bestimmte Alterskohorte – ein kulturelles Ereignis.

Auf Anhieb 24 Millionen Spotify-Streams! Viele rätseln heute noch, wie das passieren konnte.

Wie es dazu kam, dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Rap-Medien, Youtube-Kommentator*innen und andere Figuren im Universum der »Content-Creators« rätseln spätestens seit Zah1des Hit »Mona Lisa Motion«, wie einer Minderjährigen ein Track gelingen konnte, der mit 24 Millionen Spotify-Streams auf einem Niveau unterwegs ist, das hierzulande Schlagerstars erreichen – und das auch noch auf Anhieb. Einig sind sich die meisten jedoch in einer Sache: Allein an der Musik wird es nicht liegen.

»Chabos wissen, wer Zahide ist, you know my name. Lange Haare, 14 Jahre, miese Zahl’n, Todes-Fame« – auf den ersten Blick rappt Zah1de kaum anders als ihre zuweilen doppelt so alten Genre-Genoss*innen. Dass sie ihre Texte höchstwahrscheinlich nicht selbst schreibt, kann schwerlich als Makel gelten: Von den großen (und mittelgroßen) Stars im Deutschrap-Kosmos lassen längst etliche, die es sich leisten können, fremdtexten. Auch ihre lyrischen Themen – Selbstüberhöhung und Markennamen von Gucci bis Ferrari – unterscheiden sich wenig von zeitgenössischen lyrischen Sujets innerhalb der Gattung.

Aber: Zah1de tanzt, und zwar gut. Damit beherrscht sie ein zentrales und oft unterschätztes Element der gegenwärtigen Social-Media-Kultur. Tanz benötigt nämlich nicht zwingend guten Text, hat keine Alters- oder Geschlechtergrenzen und passt problemlos in beinahe jede denkbare Videolänge. Zum Tanzen braucht man außerdem kaum Mittel, es lässt sich jugendfrei gestalten und lädt zum Nachmachen ein – drei große Kreuze für einen viralen Erfolg in den sozialen Medien.

Das weiß sicherlich auch Serdar Boğatekin, der nicht nur Gründer der Tanzschule Lunatix, sondern auch einer daran angegliederten Agentur ist. Mit Letzterer fungierte er als Manager seines bislang wohl erfolgreichsten Lunatix-Exports und unterschrieb schon Verträge für Zah1de, als sie noch 14 Jahre alt war. Dann kam es zum Bruch zwischen Lehrer und Schülerin. Gezielte Marketing-Stunts und die ständige Präsenz des 35-Jährigen in den Tanzvideos von Minderjährigen haben Boğatekin zwar Kritik eingebracht, er selbst möchte das Geschäft mit den »Dancefluencern« nach eigenen Angaben aber weiter ausbauen.

»Fahren im Lamborghini, hinter mir meine Clique, du kennst meinen Namen, kennst die Tänze, du kennst Lunatix«, zweifellos begreift Zah1de die Berliner Tanzschule und »Serdar Abi«, wie sie Boğatekin in »Mona Lisa Motion« nennt, als einen Grundstein ihres Erfolgs. Mittlerweile steht sie allerdings bei Universal unter Vertrag. Dort dürften bei den Worten »viral« und »Tiktok« die Sektkorken geknallt haben, denn was die Musikindustrie früher mühsam selbst machen musste – Newcomer*innen zu Stars hochverkaufen – macht die neue Generation mittlerweile selbst, und im Falle von Zah1de sogar besser.

»Ballert auf lautlos«, hat mancher kommentiert, der mit ihrem unapologetischen Stil nichts anfangen konnte oder wollte. Soll heißen: Schaltet man ihre Videos stumm, ist es zu ertragen. Zah1de machte daraus Anfang des Jahres einen Track: »Ihr habt alle viel geredet und ich hab’ einfach gemacht. Und ich wollt’ nur bisschen tanzen, und dann wurde ich zum Star.« Sie wäre nicht die Erste, die aus einem belächelten Start heraus eine Karriere beginnt, deren steile Kurve später jeder geahnt haben will. Ein Major-Label-Vertrag und ein Künstlermanagement sind jedenfalls keine schlechten Voraussetzungen, zumal mit 15. Bleibt zu hoffen, dass die zuweilen hässliche Influencer-Industrie und die manchmal noch hässlichere Musikindustrie dieser talentierten und erfrischend unbeeindruckten jungen Frau ebenjene Qualitäten nie entzieht.