nd-aktuell.de / 14.07.2025 / Politik

Verfassungsrichterwahl: Fatale Politisierung

Die Instrumentalisierung der Besetzung von Posten im obersten deutschen Gericht ist nur durch ein Ende des Vorschlagsrechts von Parteien aufzuhalten

Halina Wawzyniak
Mit der Kampagne gegen eine Kandidatin für die Neubesetzung der Karlsruher Richterposten ist ein neues Niveau bei der Politisierung des Vorgangs erreicht-
Mit der Kampagne gegen eine Kandidatin für die Neubesetzung der Karlsruher Richterposten ist ein neues Niveau bei der Politisierung des Vorgangs erreicht-

Eine hetzerische, verleumderische Kampagne[1] rechtskonservativer bis rechtsextremer Kreise, unterstützt von Teilen der Unionsparteien, hat mit absichtlich bösartig verkürzten Zitaten[2] und einem völlig abwegigen Plagiatsvorwurf gegen eine Kandidatin erreicht, dass die Wahl von Bundesverfassungsrichter*innen im Bundestag (vorerst) gescheitert ist. Der Autoritarismus mit der Absicht eines politischen Durchgriffs auf das höchste Gericht hat sich offen gezeigt. Diese Politisierung gefährdet die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts[3] (BVerfG) und das Vertrauen in diese Institution.

Anders als bei parlamentarischen Gremien gibt es für den obersten Gerichtshof auf Bundesebene kein festgeschriebenes Vorschlagsrecht entsprechend des politischen Proporzes. Aus guten Gründen. Die Trennung von Politik und Justiz ist für die Demokratie zentral.

Die Richter*innen am BVerfG werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Das entsprechende Gesetz regelt für die Wahl durch den Bundestag ein Vorschlagsrecht des Bundeswahlausschusses, der wiederum entsprechend dem Prinzip der Verhältniswahl durch Abgeordnete besetzt wird. Kommt es innerhalb einer bestimmten Frist nach Ende der Amtszeit eines Richters oder einer Richterin nicht zu einer Wahl, macht das Plenum des BVerfG einen Vorschlag.

Auch wenn es offiziell nur ein Vorschlagsrecht des Bundeswahlausschusses gibt, hat sich ein informelles Vorschlagsrecht für Parteien etabliert. Es ging dennoch, auch wenn es anders kommuniziert wurde, bei der angedachten Wahl am letzten Freitag nicht um Vorschläge von Union und SPD, sondern um einen Vorschlag des Bundeswahlausschusses. Diesem lagen zwei informelle Vorschläge der SPD und ein Vorschlag des Plenums des BVerfG vor, da es hinsichtlich des inoffiziellen Vorschlagsrechts der Union nicht zu einer Wahl kam. Umso unverständlicher, dass Die Linke ausgerechnet im Hinblick auf den Vorschlag des Plenums des Karlsruher Gerichts ein sachfremdes Junktim zwischen Mitwahl und Gespräch mit ihr (über ihre zukünftige Einbeziehung nicht nur bei der Richter*innenwahl) aufmachte.

Die von autoritären Kräften vorangetriebene Politisierung der Richter*innenwahl wird meines Erachtens nur noch durch das Ende des inoffiziellen Vorschlagsrechts von Parteien aufzuhalten sein. Andernfalls muss jede Person, die sich zur Wahl als Verfassungsrichter*in stellt, damit rechnen, wie aktuell Frauke Brosius-Gersdorf zum Gegenstand öffentlicher Kampagnen bis hin zur persönlichen Diskreditierung gemacht zu werden. Wer sollte sich das antun?

Deshalb sollte das inoffizielle Vorschlagsrecht an den Ausschuss von den Parteien zu entkoppelt und zudem eine Karenzzeit beim Wechsel aus der Politik ans BVerfG eingeführt werden. Das könnte ein Beitrag zum Schutz der Unabhängigkeit des Gerichts sein. Auch wenn in der Praxis der Wechsel vom aktiven Politiker (Peter Müller, Stephan Harbarth) zum Bundesverfassungsrichter gelungen ist, sollte ein solcher in Zukunft ausgeschlossen sein. Es wäre insofern sinnvoll, im entsprechenden Gesetz eine Karenzzeit von zwei Jahren oder einer Wahlperiode für Politiker*innen vor einer Wahl ins BVerfG festzulegen.

Gleichzeitig könnte im Gesetz verankert werden, dass das Vorschlagsrecht an den Bundeswahlausschuss ausschließlich bei juristischen überparteilichen Standesorganisationen und Vereinigungen liegt. Der Notfallmechanismus des Vorschlages durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts sollte beibehalten werden. Dann würden zum Beispiel der Deutsche Anwaltsverein, der Republikanische Anwaltsverein, die Vereinigung Demokratischer Jurist*innen, der Juristinnenbund, der Deutsche Richterbund oder die Neue Richtervereinigung dem Ausschuss Kandidat*innen vorschlagen. Der Bundeswahlausschuss würde aus diesem Personenkreis einen Vorschlag für das Plenum des Bundestages entwickeln.

Denkbar wäre auch, zusätzlich den Bundesgerichten (Bundessozialgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundesgerichtshof, Bundesfinanzhof) ein Vorschlagsrecht an den Ausschuss einzuräumen. Natürlich wird es auch dann Personalvorschläge geben, die der einen oder anderen Partei nahestehen – aber im Mittelpunkt stünde die fachliche Eignung.

Die endgültige Wahl verbleibt selbstverständlich beim Plenum des Bundestages. Die demokratische Legitimationskette wäre also beibehalten, das Bundesverfassungsgericht aber nicht mehr Spielball politischer (Macht)Interessen.

Halina Wawzyniak ist promovierte Juristin, war von 2009 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und dabei in der Linksfraktion für Rechts- und Netzpolitik zuständig. In ihrem Blog wawzyniak.de äußert sie sich regelmäßig zu aktuellen politischen Debatten.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192381.bundesverfassungsgericht-bundesverfassungsgericht-im-visier-des-antifeminismus.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192539.bundestag-union-brueskiert-parlament-und-verfassungsgericht.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191088.debatte-ueber-afd-verbot-was-ist-verfassungsfeindlich.html