Der Clown ist mehr als eine Maske, mehr als Schminke, rote Nase und übergroße Schuhe. Er oder sie ist eine Projektionsfläche – für unser Scheitern, unsere Sehnsucht, unser Trotzlächeln inmitten der Absurditäten des Lebens. Die Clownin steht am Rand der Gesellschaft und hält ihr zugleich den Spiegel vor. Sie stolpert, fällt, steht wieder auf und macht genau darin das Menschsein sichtbar.
Zwischen Tragik und Komik, Kontrolle und Kontrollverlust ist die Clownsfigur ein Gegenentwurf zur Effizienz, zur Ernsthaftigkeit, zur Perfektion. Sie ist zeitlos. Wo andere Rollen klar gezeichnet sind, bleibt der Clown mehrdeutig: ein Anarchist, ein Kind, ein Zeuge. In Zeiten der Krise wie in Momenten der Stille erinnert uns der Clown daran: Verletzlichkeit ist kein Mangel, sondern eine Sprache. Und Lachen, vor allem über sich selbst, ist ein Akt der Befreiung.
»Als ich 2016 nach Berlin kam, arbeitete ich als DJane, bemerkte aber schnell, dass ich eigentlich eine Clownin bin.« So beginnt die 34-jährige Bouba Haidar ihre Geschichte. Es ist keine lineare Erzählung, sondern eher ein Wirbel aus verschiedenen Stationen, die Begegnungen, Ideen und Erinnerungen vereinen. Ein Weg, der vom Bekaa-Tal im Libanon über Berliner Hinterhöfe bis in ein Zirkuszelt aus Tripoli führt.
Irgendetwas zog sie in die Welt der Clownerie, in das physische Theater, in die Spielerei aus Maske und Theatralik. »Ich hatte schon immer diese Energie in mir, aber erst hier habe ich erkannt, was sie ist und wie ich sie kanalisieren kann.« In Berlin begann Bouba, an Workshops teilzunehmen, probierte sich aus und wurde Teil der Zirkusszene. Gerade als sie anfing, Wurzeln zu schlagen, kam Corona.
»Ich liebe diesen anarchischen Aspekt, dass der Clown keine Grenzen kennt.«
Bouba Haidar
Clownin im »Bulaban-Zirkus«
Mitten in oder gegen Ende der Pandemie, Anfang 2020, reiste Bouba in den Libanon, eigentlich nur für zwei Wochen zum Urlaub. Doch es kam anders. »Ich traf dort ein Kollektiv. Das waren Leute, die mit riesigen Puppen auf der Straße spielten und eine ganze Zirkusparade veranstalteten. Diese zwei Wochen waren wie ein Traum, voller Kreation und Bewegung.«
Zurück in Berlin, Anfang 2021, kam dann die Idee, den »Bulaban-Zirkus« zu gründen. Bouba dachte an ihre Zeit im Bekaa-Tal: »Dort gab es immer viele Kinder und Jugendliche, die gemeinsam draußen auf der Straße spielten. Wir hingen zusammen ab, spielten mit meinem Hund, balancierten auf Bordsteinen wie auf Zirkusgeräten und wurden Freunde.« Sie erinnert sich: »Die Leute waren oft verärgert über den Lärm, den wir machten, dabei waren wir nur fröhlich und hatten Spaß. Und ich habe mich gefragt: Warum gibt es keinen Ort, wo wir spielen dürfen, ohne jemanden zu stören?«
So reifte in ihr der Wunsch, einen Zirkus zu gründen, mit Kindern, für Kinder. Als sie diese Idee einem Freund erzählte, meinte der: »Let’s do this!« Ab diesem Moment nahm alles an Fahrt auf.
Bouba begann, sich intensiver zu vernetzen. Sie suchte gezielt nach Gleichgesinnten, Menschen, die ähnliche Visionen und Erfahrungen teilten. Daraus entwickelten sich regelmäßige Treffen, sowohl in Präsenz als auch online. Besonders wertvoll waren dabei die digitalen Verbindungen zu Weggefährt*innen aus dem Libanon, mit denen Bouba schon früher zusammengearbeitet hatte. Aus diesen Begegnungen entstand allmählich die Idee, einen gemeinsamen Raum zu schaffen – der »Bulaban-Zirkus« nahm Form an. Doch trotz aller Energie und kreativer Ansätze erwiesen sich viele Dinge als herausfordernd, sei es wegen geografischer Distanz oder organisatorischer Hürden. Schließlich traf Bouba 2022, nach fünf Jahren in Berlin, die Entscheidung, in den Libanon zurückzukehren, um das Projekt dort weiterzuführen und neu zu verankern.
Zurück im Bekaa-Tal begannen sie aufzutreten, auf der Straße, mit lebensgroßen Puppen, Clowns und Jonglierbällen. Sie trafen Menschen, die ihnen Türen öffneten. In dieser Zeit lernte Bouba eine der Gründerinnen von »Buzuruna Juzuruna« kennen, einem Projekt im Libanon, das sich für die Wiederbelebung traditioneller Saatgutsorten einsetzt und dabei ökologische Landwirtschaft mit Bildungs- und Kulturarbeit verbindet. Die Gründerin erzählte Bouba von ihrer Vision, Kultur und Landwirtschaft miteinander zu verweben. »Ich dachte: Das passt perfekt zu unserem Traum«, erinnert sich Bouba. Die Begegnung legte den Grundstein für eine enge Verbindung zwischen beiden Projekten, »Buzuruna Juzuruna« und dem entstehenden »Bulaban-Zirkus«. Aus dem gegenseitigen Austausch entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit, die den Zirkus in seiner Ausrichtung liebevoll unterstützt.
Sie organisierten kleine Fundraising-Events und sicherten sich so die erste Förderung. Bouba erinnert sich: »Ich zeigte einem Mann aus Tripoli ein Foto, ein leuchtend buntes Zirkuszelt, das ich in Berlin gesehen hatte. Es war das Zelt von ›Cabuwazi‹, das mich tief beeindruckte und meine Vision eines eigenen Zirkus befeuerte. Nur kurze Zeit später wurde diese Idee Wirklichkeit: Das Zelt wurde in Tripoli eigens für den Zirkus gebaut, rot und gelb, wunderschön. Ich konnte es kaum glauben. Dort begann das Training, und ich sah so viele talentierte Kinder mit ganz unterschiedlichen Geschichten aus den verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen. Es war ein Moment, in dem sich Träume und Realität begegneten.« Für Bouba war es eine prägende Zeit. Im Oktober 2023 kehrte sie wieder nach Berlin zurück.
Auf die Frage, was das Clownin-Sein für sie bedeutet, antwortet sie, ohne zu zögern: »Es heißt, das eigene innere Kind lebendig zu halten. Ich bin neugierig, verspielt, echt. Mein Clown ist wie ein wildes Wesen, ungestüm, überbordend, laut, rebellisch. Aber ich spiele das nicht. Es ist ein Teil von mir.«
Sie erklärt, dass Clownin-Sein nie nur eine Rolle sei, es komme immer aus dem Innersten. Es sei ein Ausdruck dessen, was wir in uns tragen, oft genau jener Anteile, die wir im Alltag zügeln oder anpassen, um in gesellschaftliche Muster zu passen. »Auf der Bühne darf das raus, ungeschönt, direkt und ganz frei.«
Doch der Clown ist nicht immer nur lustig. »Manchmal ist das Clownbild auch melancholisch, manchmal sogar schmerzhaft«, sagt Bouba. »Aber ich liebe diesen anarchischen Aspekt daran, dass der Clown keine Grenzen kennt.«
Sie lacht, wenn sie erzählt: »Manchmal fühle ich mich tollpatschig oder naiv, und ich bin stolz darauf. Meine Lehrerin sagte einmal zu mir: ›Du bist die Tollste in Sachen Tollpatschigkeit.‹ Ich fand das großartig.« Dabei geht es nicht um Intelligenz, sondern um eine spielerische Offenheit und den Mut zur Unbeholfenheit, die ihren Clown ausmacht. »Im Zirkus geht es nicht nur um Unterhaltung. Es geht ums Leben selbst, um Fehler, Unvollkommenheit und Verletzlichkeit. Und darüber lacht man dann.«
Der »Bulaban-Zirkus Berlin« besteht zusammen mit Bouba aus einem Team aus sieben oder acht Residenzclown*innen. Sie treffen sich regelmäßig, proben und machen gemeinsam Shows, alle Einnahmen fließen zurück in den Zirkus, um »Bulaban« sowohl im Libanon als auch in Berlin am Leben zu erhalten. Bisher geschieht das alles noch ehrenamtlich. Die große Hoffnung ist: »Wenn wir einen Zuschuss bekommen, könnten wir im Libanon monatlich Gehälter zahlen. Dann wären wir nicht mehr nur im Überlebensmodus.«
Auch in Berlin geht es für Bouba weiter: »Bald beginne ich bei ›Cabuwazi‹ als künstlerische Leiterin«, erzählt sie. »Ich bin schon sehr gespannt und freue mich darauf, noch mehr zu lernen und umsetzen zu können. Es wird eine Zeit voller neuer Möglichkeiten und Herausforderungen werden.«
Das bunte Team hinter »Bulaban Berlin« kann man an verschiedenen Orten erleben. Die nächsten Termine sind am 15. August im »8KW«, Kietzer Weg 8 und am 6. September im »Holzmarkt 25«, beide in Berlin-Friedrichshain. Weitere Infos bei Instagram unter: @bulaban_circus