Es ist das Comeback des Jahres: Nach langem Flug aus dem Süden ragen im Frühling endlich wieder die Köpfe der Störche über die Schornsteine. Auch in Berlin leben die Wildvögel[1]. Auf dem Naturhof Malchow in direkter Nachbarschaft zu einem Storchennest feiert man die Tiere Anfang Juli am »Storchennachmittag«. Dieses Jahr haben die Besucher*innen hier erfahren, wieso der Storch die Nähe zu Menschen sucht, was er mit den Berliner*innen gemeinsam hat und wie es um seine Zukunft in der Stadt bestellt ist.
Wenn es nach den Berliner Störchen geht, heißt es: lieber Lichtenberg[2] als Grunewald. »Vor hundert Jahren gab es noch neun Weißstorch-Nester in Berlin«, sagt Doreen Hantuschke, zuständig für die Erwachsenen-Umweltbildung des Naturhofs Malchow. Aktuell genutzt sind nur noch drei Nester, allesamt im Berliner Nordosten.
Trotz langer Tradition sind Störche in Berlin nur wenigen bekannt – womöglich auch, weil sie sich niemals in die Stadtmitte verirren. »Die Stadtrandbezirke sind einfach gute Gebiete für den Weißstorch«, sagt Hantuschke. Neben dem Horst in Malchow gibt es noch einen weiteren in Falkenberg, ebenfalls einem Ortsteil von Lichtenberg, und in Blankenfelde in Pankow. Durch die dörflichen Strukturen[3] seien hier die Felder zum Jagen nicht weit weg, erklärt Hantuschke.
Ähnlich ernst wie die Berliner*innen nehmen es die Störche mit dem Wohnen. »Der Weißstorch kommt aus dem Winterquartier und baut immer weiter oben drauf«, sagt Hantuschke. Das Nest kann dann schon mal bis zu zwei Tonnen schwer werden, eine Herausforderung für viele der älteren Gebäude, auf denen die Vögel brüten. Jede Saison bringt etwas Neues für die Störche, denn sie sind weder partner- noch nesttreu. Einige der ehemaligen Berliner Störche leben mittlerweile in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen. Ende März kommen die Vögel in Berlin an. »Und es ist wirklich so: Wer zuerst drüber fliegt und meint: ›Hier ist es schön, hier bleibe ich‹, verteidigt dieses Nest oder diesen Standort manchmal sehr rabiat«, sagt Hantuschke.
In der Regel sind es die männlichen Störche, die sich ihr Nest aussuchen. Immerhin machen sie sich dann auch gleich nützlich. »Meistens ist zuerst das Männchen da und fängt schon mal an mit dem Nestbau«, sagt Hantuschke. Für den Nachwuchs sind dennoch beide Geschlechter zuständig: Gebrütet wird abwechselnd. Äußerlich unterschieden sich Männchen und Weibchen nur in der Schnabellänge. Nach etwa einem Monat gemeinsamen Brütens schlüpft der Nachwuchs. Im Durchschnitt sind es zwei Jungvögel, die bevorzugt mit Insekten versorgt werden möchten. Zweihundert Kilogramm Nahrung pro Saison für zwei Storchenküken: »Das ist wirklich ein krasser Kraftaufwand für die Altstörche«, sagt Hantuschke. Da werden die Kleinen zugunsten ihrer Geschwister schon mal aus dem Nest geworfen, wenn es nicht reicht.
Auch unter den Berliner Störchen gibt es Ossis und Wessis. Ihr schönes Äußeres täuscht nämlich über den Fakt hinweg, dass die Tiere keine guten Flieger sind. »Der Weißstorch nutzt die Thermik. Was er gut kann, ist segeln«, sagt Hantuschke. Störche wählen also ihre Flugroute so, dass sie relativ geringe Strecken über das Meer fliegen müssen. Die europäischen Weißstörche fliegen je nach Nest-Standort entweder über den Bosporus oder über die Straße von Gibraltar. Eine direkt durch Deutschland verlaufende Zugscheide trennt grob die Ost- und Weststörche. »In Berlin ist es aber tatsächlich so, dass es unterschiedlich ist«, sagt Hantuschke.
Dass der Weißstorch Wohngebiete sucht, ist kein Zufall. Zum Großstädter macht ihn das zwar noch nicht, aber im Vergleich zum Schwarzstorch, der einzig anderen Art in Deutschland, ist er deutlich weniger scheu. »Der Weißstorch ist ein Kulturfolger«, sagt Hantuschke. Er profitiert bei der Nahrungssuche von der landwirtschaftlichen Nutzung durch den Menschen und lebt deshalb erst seit dem 16. Jahrhundert in Europa. Seitdem haben die Bedingungen sich aber grundlegend verändert.
Wer zuerst drüber fliegt und meint: ›Hier ist es schön, hier bleibe ich‹, verteidigt dieses Nest oder diesen Standort manchmal sehr rabiat.»
Doreeen Hantuschke Naturhof Malchow
Zwischen 2010 und 2022 gab es in Malchow 35 Jungvögel. «Davon ist nur die Hälfte groß geworden», sagt Hantuschke. Im Zeitraum zuvor, von 1999 bis 2009, überlebten noch 90 Prozent. Auch dieses Jahr hat keines der drei Malchower Küken überlebt. Insgesamt gibt es in Deutschland 6000 bis 6500 Storchenpaare, die meisten davon im Westen, wo durch erhöhten Niederschlag die Lebensbedingungen besser sind. Dort gebe es teilweise zu viele Vögel für einen Ort, im Osten seien es hingegen zu wenige, so Hantuschke.
Das liegt allerdings nicht nur am Niederschlag. «Erst hat er von uns profitiert, aber jetzt – mit der ganzen Intensivierung, mit der Flächenversiegelung, mit dem Bau von Wohnsiedlungen – gehen die Flächen verloren für den Storch», sagt Doreen Hantuschke.
Durch die Förderung von extensiver Landwirtschaft hingegen fördere man gleichzeitig ein Ökosystem, in dem der Storch Nahrung findet, sagt Hantuschke. Sie will außerdem Flächen für die Störche erhalten, anstatt sie wie beim Bauprojekt Blankenburger Süden, das auch Jagdgebiete der Malchower Störche einschränkt, zu versiegeln. «Das sind Sachen, die man durchaus politisch fördern könnte, wenn man es wollte», sagt Hantuschke. Der Brutrückgang spricht für sich. «Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Wahrscheinlichkeit relativ groß ist, dass der Weißstorch in Berlin vielleicht nicht mehr so lange überlebt.»