nd-aktuell.de / 15.07.2025 / Kultur

»Grillparty in Eichforst«: Das Grauen im Heute

In Heinrich von der Haars neuem Roman »Grillparty in Eichforst« brennt die Gesellschaft ab

Jens Grandt
Löschen reicht nicht mehr, wenn es überall brennt.
Löschen reicht nicht mehr, wenn es überall brennt.

Sein Debüt hieß 2010 »Mein Himmel brennt« und wurde vom »Tagesspiegel« »ein belletristisches Feuerwerk« genannt. Heinrich von der Haars fünfter Roman heißt »Grillparty in Eichforst«, da brennt auch einiges, denkt man. Während seine früheren Bücher auf eigenen dramatischen Erlebnissen beruhten, ohne deswegen einer modischen autofiktionalen Nabelschau zu frönen, ist das neue Werk ein Gesellschaftsroman geworden.

Der äußere Plot ist denkbar einfach. Eine Grillparty findet statt. Ein Fest, das heiter beginnt, jedoch im Chaos endet, wie man das von Dutzenden Romanen kennt und auch hier erwartet. Aber Heinrich von der Haar, extremen Lebensbedingungen eines münsterländischen Bauernhofes entflohen, im revoltierenden Berlin der 68er polarisiert, ist konsequent. Der Titel erweist sich als eine schmerzhafte Metapher: Nicht nur ein biokompatibel gezüchtetes Lamm wird gegrillt, nein, die gesamte bürgerliche Gesellschaft befeuert, unbedarft oder wissentlich, ihre Vernichtung. Das ergibt sich folgerichtig aus den gegenwärtigen Konflikten und Verhaltensweisen der Menschen[1], ihrer Ignoranz, dem Streben nach Profit und Vorteil – ganz realitätsnah. Das macht das Buch besonders.

Eine Grillparty hat viele Gäste, was verwirrend wirken kann. Der Autor löst diese Schwierigkeit, indem er die Handlung und unterschiedliche Sichtweisen im Wechsel von jeweils anderen Personen wiedergibt, wobei er mit gewagten Liebeskonstellationen jongliert. Die psychischen Beziehungen und die spannende Handlung sind die Stärken des Romans.

Heinrich von der Haar schont seine Figuren nicht. Sie geraten hart aneinander, und die seelischen Verwüstungen sind erschütternd.

Der ehrgeizige Unternehmer Wilhelm Herzberg freut sich auf seinen 50. Geburtstag wie auf eine Prozession, die den mühsam erwirtschafteten Wohlstand vorzuführen hat. Die Reliquie ist das gegrillte Lamm. Doch das Buch hebt an mit der nächtlichen Aktion zweier frustrierter Jugendlicher, die Autoreifen durchbohren, um der High Society einen Denkzettel zu verpassen für ihre Klimafrevel. Die Influencerin Gloria, die Tochter des Möchtegerns, bringt das Thema an die Öffentlichkeit, indem sie in ihrem Hashtag »Fleischfresser« die Gier der Gäste bloßstellt – und dadurch ihre eigentlich geliebten Eltern sowie deren Freunde und Geschäftspartner desavouiert.

Die Party ist mit großen Erwartungen verbunden. Die Firma hat Schulden, was Herzberg verschweigt, und am Morgen erfährt er, dass ein Großauftrag geplatzt ist. Rettung erhofft er sich von seiner Jugendliebe Patricia von Dyke, die einen in Singapur eingeschriebenen Hedgefonds führt und mit dem Helikopter eingeflogen wird. Sie kauft mit geliehenem Geld von ebenso windigen Investoren Urwaldgebiete, um sie mittels Rodung im Wert gesteigert wieder zu veräußern. Von der Haar, ausgebildeter Bankkaufmann und Soziologe, versteht es, die Machenschaften der Spekulanten nachzuvollziehen, auch ihre verlogenen, angeblich humanen Motive.

Herzberg und der Politiker Rico Recknagel wollen sich, wenn auch schlechten Gewissens, an dem Fonds beteiligen. Gloria und ihr Freund Murat, ein von allen gemiedener Türke, belauschen das Feilschen um die Anteile. Die von ihrem Klimaalarmismus fanatisierte Tochter ist außer sich vor Wut. Sie filmt die Szene. Doch nachdem sie ihren Clip »Geheiminvestition Urwaldrodung« abgesetzt hat, überfällt sie, neben ein paar positiven Klicks, eine Flut von Verleumdungen, ihr, einer »Finanzhure«, wird Werbung für den Black-Star-Fonds unterstellt. Die ganze Idiotie der doch so unsozialen »sozialen Medien« wird aufgerollt.

Heinrich von der Haar schont seine Figuren nicht. Sie geraten hart aneinander, und die seelischen Verwüstungen sind erschütternd. Herzbergs Ehe ist zerrüttet, seine schöne, chirurgisch gestylte Wiebke scheint sich mit seinem besten Freund Rico Recknagel zu vergnügen. Aber was heißt Freund in einer versnobten bürgerlichen Gesellschaft, wo keiner aus innerem Bedürfnis, gar Zuneigung etwas tut, sondern Leistung mit Gegenleistung verhandelt oder erpresst wird? Wiebke gesteht ihre Schwangerschaft, auch gegenüber Rico. Der ist nur bereit, sich an Patricias Fonds zu beteiligen, wenn Herzberg die Vaterschaft anerkennt. Dessen Ehe mit der krebskranken, haltlosen Rita, die sich verachtet fühlt und im Suff endet, ist nur noch ein Fluch.

Zu allem Ärger wird ruchbar, dass Herzbergs Firma bulgarische Schwarzarbeiter beschäftigt. Der Artikel im »Eichforster Kurier«, der die Glorie des Festes dokumentieren sollte, endet kritisch. Herzbergs Ansehen ist gefährdet, vor allem Recknagels Karriere, er steht im Wahlkampf. Murat, der aus unaufhebbarer Distanz die Spaltung der Gesellschaft beobachtet, wird der Lüge bezichtigt. Ihm droht ein Aufenthalt in der Jugendhaftanstalt. Was seinen Vater Tom Rosing umso mehr ängstigt; es ist der Drang des Emporkömmlings, der von der gutbetuchten Klientel anerkannt zu werden hofft. Der Vater-Sohn-Konflikt eskaliert nicht anders als Glorias Enttäuschung von den Eltern.

Indessen breitet sich ein Waldbrand unweit des Herzbergschen Anwesens aus. Der Lärm von Löschhubschraubern und Rauchsäulen am Horizont beunruhigen ein wenig die Tafelrunde, aber nichts darf die ostentativ beibehaltene Heiterkeit stören. Es ist unerträglich heiß. Gloria spult angesichts der Klimaanlage ihre Anklagen ab. Wenn Wind aufkommt? Ein Feuersturm? Fliehen? Kommt nicht infrage. Allerlei Misshelligkeiten müssen noch geklärt werden. Der Vertrag mit Patricias Urwaldfonds ist noch nicht unterzeichnet. Und man hängt am Eigentum, auch wenn es das Leben kostet. Tom Rosing, der seinen auf die schiefe Bahn geratenen Sohn Murat in Patricias Immobilienfonds eine Anstellung zu vermitteln sucht, wird abgekanzelt wie ein Nichtsnutz. Doch für den Fonds soll er einen Anteil beibringen. Er zieht sich zurück, um der Feuerwehr beim Löschen zu helfen. Was Herzberg kränkt. Er braucht ihn, wenn Gefahr abzuwenden ist. Immer wieder versucht er seine Gäste zu beruhigen, mit der Sprinkleranlage, die leistungsfähig genug sei, mit Vorräten im Keller, mit Gasmasken für alle Fälle.

Doch nichts hält den Feuersturm auf. Asche fällt auf die Tische. Sirenen heulen. Der Strom fällt aus, das Festnetz schweigt. Eichforst soll evakuiert werden. Der Helikopter stürzt ab. Herzberg und seine verstoßene Wiebke sterben Arm in Arm. Murat, wie sein Vater zum Löscheinsatz geeilt, kehrt zurück und rettet Gloria in letzter Minute. »Wie kann es sein, dass wir wissen, auf welche Katastrophe wir zulaufen und das völlig ignorieren?«, postet Gloria. Ja, wie kann das sein?[2]

Der Roman ist gut strukturiert. Auktoriale Schilderungen und innerer Monolog wechseln. Die Beziehungen der einzelnen Personen zueinander sind aufs Feinste austariert, mit all ihren Untertönen und Gegentönen, Hoffnungen und Verwünschungen; das geht dem Leser nahe. Kritisch wäre anzumerken, dass der Autor mit trivialen Sprachklischees nervt. Das muss nicht ausschließlich negativ gesehen werden. Es wird viele Leser geben, die sich damit begnügen, die tiefsinnigen Metaphern zu anspruchsvoll finden. Sei’s drum. Ein wichtiges Buch, das ins Zentrum unserer ökologischen und gesellschaftlichen Misere zielt.

Heinrich von der Haar: Grillparty in Eichforst, Kulturmaschinen Verlag, 500 S. geb. 27 €, br. 18 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192418.klimawandel-weltweite-klimapolitik-laecherlich-ehrlich.html?sstr=klimawandel
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191555.klimapolitik-menschenschutz-oder-klimaschutz.html?sstr=klimakatastrophe