Kalle Kunkel ist ein viel beschäftigter Mensch. Im Jahr 2015 war er als Gewerkschaftssekretär bei Verdi[1] Mitorganisator der ersten – und erfolgreichen – Streiks zur Personalbemessung an der Berliner Charité[2]. Bei der Initiative Deutsche Wohnen & Co[3]. enteignen setzt er sich für die Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne ein. Er hat »nebenher« seinen Doktor gemacht und schreibt regelmäßig für Zeitschriften wie »Analyse & Kritik«. Im Hauptberuf bei Verdi beobachtet er in der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit die Medienlandschaft sehr genau.
Zu Kunkels Aufgaben gehört daher das regelmäßige Studium der Tageszeitungen: Wie ist die politische Großwetterlage? Welche Themen haben besonderen Einfluss auf die arbeitende Bevölkerung? Wie werden Gewerkschaften und ihre Kämpfe öffentlich wahrgenommen? Die tägliche Lektüre sei sehr wichtig für die innergewerkschaftliche Meinungsbildung – »um das, was draußen passiert, für interne Debatten sichtbar zu machen«.
Kunkel überfliegt dazu die Schlagzeilen auf den Webseiten der wichtigsten Medien – selbstverständlich gehört das »nd« für ihn dazu. Es gebe nur wenige Tageszeitungen, die so kontinuierlich über Arbeitskämpfe und Gewerkschaftspolitik berichten wie das »nd«, sagte er vergangene Woche bei der Blattkritik[4], zu der ihn die Redaktion eingeladen hatte. Dabei, so Kunkel, unterscheide sich die Berichterstattung deutlich von der anderer Medien: Kämen dort vor allem gewerkschaftliche Prominente und Vorstände zu Wort, schätze er am »nd«, dass auch die Stimmen der Beschäftigten Raum bekommen.
Konflikte zwischen Basis und Funktionärsebene würden nicht ausgespart, sondern differenziert dargestellt. Da zeichne sich das Blatt durch eine kenntnisreiche Berichterstattung aus. Selbst bei kritischen Berichten – etwa bei unbefriedigenden Tarifabschlüssen – »versucht das ›nd‹ nicht, im Dreck zu wühlen, um die Gewerkschaften zu diskreditieren. Man merkt: Das ›nd‹ will starke, durchsetzungsfähige Gewerkschaften – und nicht deren Schwächung.« Das kennzeichne auch die Zusammenarbeit: »Bei manchen Medien frage ich mich bei jedem Satz: Will der oder die mich jetzt in die Pfanne hauen? Hier hat man Vertrauen, dass Zitate nicht willkürlich aus dem Kontext gerissen werden.«
Kunkel plädiert für einen aufklärerischen Journalismus. Eine Zeitung solle nicht bloß Ereignisse des Vortags aneinanderreihen, sondern sie einordnen, neue Blickwinkel eröffnen, Hintergründe beleuchten und Verhältnisse transparent machen. Wer zieht die Fäden? Welche Interessen stehen hinter einem Ereignis? Wer profitiert, wer verliert? Diese Art der Kontextualisierung und Einordnung sei der Kern einer guten politischen Zeitung. Und da freue er sich auch über gut recherchierte längere Texte, wie sie oft in den Ausgaben von »nd.DieWoche« zu finden sind. Man solle nicht den Anspruch haben, möglichst vollständig das Wichtige vom vergangenen Tag nachrichtlich aufzuzählen. Bei den nackten Nachrichten seien andere Medien ohnehin schneller.
Auch im Hauptstadtteil, der ihn als lokalen Aktivisten besonders interessiert, fehle ihm häufig der Kontext. »Es gibt durchaus kritische Berichte zu einem Ereignis, aber Hintergründe und Zusammenhänge bleiben noch aus. Statt die großen politischen Konfliktlinien in der Hauptstadt längerfristig und intensiv zu verfolgen, folgt schnell ein Bericht über den nächsten Termin.« Es bleibt also noch Verbesserungsbedarf.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192633.zeitung-in-der-kritik-mehr-kontext-bitte.html