»Politikmachen will gelernt sein …« Als ich diesen Satz letzte Woche in einer »Taz«-Kolumne[1] über die Mandatsabgabe von Carola Rackete lese, konnte ich nicht anders, als genervt die Augen zu verdrehen. Was für ein altkluger Mackerspruch des Autors. Wenn ich eines aus meiner Zeit im Bundestag gelernt habe, dann dass ein Politikstudium oder jahrzehntelange Parteiarbeit wenig darüber aussagen, ob ein Mensch im Parlament Sinnvolles zustande bringt.
Vielmehr kommt es darauf an, dass Abgeordnete die Fähigkeit besitzen, die Arbeit für inhaltliche Themen vor die eigene Karriere zu stellen. Sowie ob sie im Team arbeiten, Bündnisse bilden können und sich nicht von patriarchal geprägten Parlamentsstrukturen aufreiben oder verändern lassen. Das Zweite, was ich gelernt habe: sofort zurückmackern, wenn mal wieder altkluge Herren erklären wollen, wie Politik gemacht werden sollte. Also – auf geht’s.
Image gegen Mandat? Von wegen.
Zunächst zur Behauptung vom »Eintauschen von Image gegen Mandat« – das suggeriert, es sei leicht für Menschen aus sozialen Bewegungen, auf Listen von Parteien für Parlamente zu kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Aussichtsreiche Listenplätze sind heiß umkämpft, und Menschen, die ihre Zeit für zivilgesellschaftliches Engagement gegeben haben, fehlen oft parteiinterne Netzwerke.
Zum Thema: Eine Galionsfigur, die sie nie sein wollte[2] – Uwe Sattler zum Rückzug der Aktivistin Carola Rackete aus dem EU-Parlament
Egal ob für ein überregionales Parlament oder den Stadtrat – aussichtsreiche Listenplätze müssen auch von Menschen aus Bewegungen immer hart erstritten werden. Das habe ich in den letzten 20 Jahren vielfach beobachtet – und auch ich wäre »nur« als Aktivistin für Klimagerechtigkeit nie auf eine Bundestagsliste gekommen. Meine Vergangenheit als Bundessprecherin der Grünen Jugend und meine lokale Verankerung im rheinischen Braunkohlerevier machten den Unterschied.
Vielfältig Politik gestalten zu wollen ist kein Missverständnis
Wer auf der Straße gegen ungerechte Verhältnisse protestiert oder sich in direkten Aktionen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen engagiert, kann zu Recht auf den Gedanken kommen, selbst im Parlament Mehrheiten für notwendige politische Veränderungen organisieren zu wollen. Kaum etwas macht mehr Freude, als Formulierungen aus der eigenen Feder in Gesetzestexten zu lesen, Hunderte Millionen im Bundeshaushalt umzulenken oder Ministerien mit Anfragen und Fachgesprächen unter Druck zu setzen. Und kaum etwas fühlt sich sinnvoller an, als mit Schutzpatenschaften andere Aktivist*innen weltweit zu unterstützen, die harte Repressionen erleben. Richtig eingesetzt, kann die Macht eines Mandats viel Gutes bewirken. Jedoch sollte niemals die falsche Vorstellung entstehen, ein Mensch oder ein Mandat allein könne die Welt retten. Ohne den Druck von der Straße lassen sich progressive Errungenschaften nur schwer erkämpfen.
Klimakrise? War da was?
Bleiben wir beispielhaft bei der Klimakrise. Trotz klarer wissenschaftlicher Studien wurde ihre Dringlichkeit von regierenden Politiker*innen jahrzehntelang ignoriert. Erst eine globale Massenbewegung sorgte für politischen Handlungsdruck. Seit dieser Druck auf der Straße wieder nachgelassen hat, tanzt die fossile Lobby erneut Cha-Cha-Cha mit ihren politischen Verbündeten – neue Gasfelder vor Borkum werden genehmigt. Klimakrise? War da was?
Im richtigen Moment nicht nur Millionen auf der Straße, sondern auch Menschen im Parlament zu wissen, die diesen Druck in reale Veränderung übersetzen – die zivilgesellschaftlichen Protest nicht als Störfaktor, sondern als Rückenwind verstehen – kann den entscheidenden Unterschied machen.
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Parlamentarier*innen, die selbst aus Bewegungen stammen oder in zivilgesellschaftlichen Bündnissen gearbeitet haben, können diese Rolle einnehmen. Sie bringen Erfahrungen, Perspektiven und gesammeltes Wissen ein. Besonders dann, wenn es im Parlament zu wenige oder gar keine Menschen gibt, die sich den Anliegen annehmen, ist es wichtig, dass sich andere bewusst diesen Weg auf sich nehmen – auch wenn sie dafür in den eigenen Reihen oft stark kritisiert werden.
Noch sind Parlamente keine Ponyhöfe
Die Formulierung »auf sich nehmen« verwende ich hier bewusst. Sich mit den aktuellen parlamentarischen Strukturen auseinanderzusetzen kann sich schnell anfühlen, wie gegen eine Betonwand zu rennen. Zwischen patriarchalen Machtverhältnissen, aggressiven Faschisten und dem Einfluss der fossilen Industrie nicht zerrieben zu werden, ist kräftezehrend.
Die Frage, ob parlamentarische Arbeit wirklich die effektivste Form des Engagements ist, darf – und muss – gestellt werden. Schon allein, um daran zu arbeiten, dass sich auch die Strukturen verbessern: transparenter, gerechter, zugänglicher. Die Zeit, die ich investieren musste, um Tagesordnungspunkte in Ausschüssen öffentlich zu halten oder Expert*innen einzuladen, die nicht dem weiß-männlich-mitteleuropäischen Weltbild des Vorsitzenden entsprachen, hätte ich dringend an anderer Stelle gebraucht.
Ob Straße oder Sitzungssaal – Engagement zählt
Angesichts des Rechtsrucks und des immer enger werdenden Raums für progressive Zivilgesellschaft ist es ein Luxus, darüber zu diskutieren, ob Aktivist*innen für Parlamente kandidieren sollten. Wir sollten stattdessen über jeden Menschen froh sein, der sich noch für eine bessere Welt politisch engagiert – egal ob in Parteien, Bündnissen oder Organisationen. Dass Menschen in mehr als einer Form politischen Engagements aktiv sind oder zwischen ihnen wechseln, ist keine Schwäche, sondern eine essenzielle Zutat für echte Veränderung und eine lebendige Demokratie. Also: weniger Mackern, mehr Bewegung – ob im Parlament oder außerhalb. Ab geht’s!
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192635.aktivisten-in-der-politik-mehr-bewegung-statt-mackern.html