Die Duisburger Staatsanwaltschaft wirft fünf Polizisten und vier Polizistinnen einer Wache in Mülheim an der Ruhr gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung im Amt vor. Die neun Beamt*innen waren an einem Einsatz am 6. Januar 2024 beteiligt, bei dem der 23-jährige Ibrahima Barry verstarb. Wie ein Gerichtssprecher dem »nd« bestätigte, liegt die entsprechende Anklageschrift bereits seit März beim Landgericht Duisburg. Der von den Ermittler*innen anfangs geäußerte Verdacht der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge ist demnach vom Tisch. Darüber hatte am Mittwoch bereits die »WAZ« berichtet.
Im Zentrum der Anklage steht die Fixierung des aus Guinea stammenden Geflüchteten während seiner Festnahme. Die Justiz wirft den Polizist*innen vor, Barry auf eine lebensgefährliche Weise gefesselt zu haben. »Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass diese Art der Fesselung unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt gewesen sei«, heißt es in einer Stellungnahme des für Mülheim zuständigen Landgerichts Duisburg.
Konkret sollen sie Barrys Arme hinter dem Rücken »mittels der dienstlich gelieferten Handfesseln« und seine Beine zusätzlich mit Kabelbindern fixiert haben. Darüber hinaus hätten die Polizist*innen beide Fesselungen miteinander verbunden – was dem jungen Mann erhebliche Schmerzen bereitet haben soll. Laut Anklage sei ihnen die potenzielle Lebensgefahr dieser Fesselungsmethode bewusst gewesen.
Der Einsatz war nach Darstellung des Landgerichts ausgelöst worden, nachdem Barry in seinem Zimmer in einer Saarner Flüchtlingsunterkunft »aggressiv gewesen sei, randaliert habe und Inventar der Unterkunft beschädigt haben soll«. Drei Beamt*innen wollten ihn zunächst in seinem Zimmer stellen. »Aufgrund der massiven körperlichen Gegenwehr des Geschädigten« sei dies nicht möglich gewesen, Barry flüchtete stattdessen auf den Hof. Dort soll er nach Darstellung der Justiz einen Sicherheitsmitarbeiter mit den Worten »Ich bring dich um!« bedroht haben.
Sechs weitere Polizistinnen seien zur Verstärkung hinzugekommen. Bei der Überwältigung soll Barry mehreren Beamt*innen mit Bissen blutende Wunden beigebracht haben. »In der Folge« sei der 23-Jährige in einen Rettungswagen verbracht worden, »wo unmittelbar im Anschluss kein Puls mehr feststellbar gewesen sei«. Vor den anschließenden Reanimationsmaßnahmen wurde die Fesselung gelöst. Barry starb um 21.48 Uhr, laut der Obduktion an einem Herzinfarkt.
»Während der Festnahmesituation soll zweimal durch die Angeklagten versucht worden sein, mittels des Distanzelektroimpulsgeräts auf den Geschädigten einzuwirken«, schreibt das Landgericht. Diese Tasereinsätze hätten aber keinerlei Wirkung entfaltet, der Einsatz der Waffe spielt deshalb auch in der Anklage keine Rolle mehr. Ob die an Pfeilen befestigten Elektroden den 23-Jährigen auch getroffen haben, geht aus der Mitteilung nicht hervor. Detaillierte Untersuchungsergebnisse zu den Taser-Schüssen bleiben unter Verschluss, berichtet die »WAZ«.
Dass die Anklage auf gefährliche Körperverletzung (also ohne Todesfolge) begrenzt bleibt, liegt laut dem Gericht an der komplexen Todesursache. Die Staatsanwaltschaft könne nicht eindeutig belegen, dass die Fesselungsmethode direkt tödlich war. Stattdessen sprechen die Ermittler*innen von einem »Kombinationsgeschehen aus lagebedingtem Erstickungstod und einem frischen Herzinfarkt«. Verstärkend hätten demnach Kokainkonsum, ein extremer Erregungszustand und eine vorbestehende Lungenerkrankung gewirkt. Nach Einschätzung der Anklage wäre Barry auch ohne die Verbindung der Handfesseln und Kabelbinder gestorben.
Der Solidaritätskreis »Justice for Ibrahima« kritisiert die Anklage scharf und sieht darin eine Verharmlosung der Geschehnisse. Die Aktivist*innen können nicht nachvollziehen, warum die Staatsanwaltschaft keine direkte Verbindung zwischen dem Polizeieinsatz und Barrys Tod sieht. »Ohne getasert und am Boden fixiert geworden zu sein, wäre Ibrahima an dem Tag einfach nicht gestorben. Wie kann man keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Handeln der Polizei und Ibrahimas Tod sehen?«, sagt die Gruppe »nd«. Sie fordert eine lückenlose Aufklärung und stellt die Frage, warum der zweimalige Taser-Einsatz mit 50 000 Volt in der Anklage praktisch keine Rolle spielt, obwohl Elektroschockwaffen bekanntermaßen zu Herzstillstand führen können.
Eigentlich stammen die Angeklagten vom Polizeipräsidium Essen, zum Tatzeitpunkt waren sie auf der Wache in Mülheim tätig. Das Landgericht Duisburg wird ihren Fall vor der 6. großen Strafkammer verhandeln. Allerdings ist die Anklage noch nicht zugelassen. Wann der Prozess beginnt, ist deshalb noch offen.