Es sollte ein Termin sein, bei dem der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki[1] strahlt. Im Problemstadtteil Kalk wurde der Erzbischöfliche Bildungscampus eröffnet. Eine Kombination aus Grund- und Gesamtschule mit dem Anspruch, eine offene Schule zu sein. 2020 hat die Grundschule ihren Betrieb aufgenommen und ist beliebt. Jetzt, wo alle Bauarbeiten beendet sind, wurde die Eröffnung gefeiert. Am 7. Juli, einen Tag nach dem Kölner Christopher Street Day. Den CSD wohl im Hinterkopf, verfasste die Schulleitung ein Schreiben mit der Aufforderung, dass bei der Eröffnungsfeier auf »provokative Kleidung, die sich gegen den Arbeitgeber wende oder eine persönliche Botschaft vermitteln solle«, verzichtet werden möge. Als Beispiel wird eine Regenbogenkrawatte genannt.
Eltern und engagierten Katholik*innen gefiel das Verbot der Regenbogenfahne nicht. Sie widersetzten sich und verteilten Regenbogenaufkleber, hängten eine Fahne aus einem Klassenraum und statteten die Häppchen für die Eröffnungsfeier mit kleinen Zahnstocher-Regenbogenfähnchen aus. Der »Kölner Stadtanzeiger« berichtete ausführlich[2], etwa über den Verweis einer Gemeindereferentin vom Schulgelände oder die Sorge mancher Eltern, queere Kinder könnten auf der Schule doch nicht willkommen sein. Auch machte die Zeitung auf ähnliche Fälle aufmerksam, etwa den eines Bonner Lehrers, der – nachdem er bei einer Feier mit Kardinal Woelki einen Regenbogenpulli getragen hatte – zum Gespräch beim Bereichsleiter für die katholischen Schulen im Erzbistum einbestellt wurde. Dort sollte über »amtsangemessenes Verhalten« gesprochen werden. Im Gespräch selbst wurde der Lehrer gefragt, wie man ihm dabei »behilflich« sein könne, den Schuldienst zu quittieren.
Die Berichte des »Stadtanzeigers« ließen das Kölner Erzbistum und den Kardinal an der Spitze also in keinem guten Licht erscheinen. Frank Hüppelshäuser, Amtsleiter und damit so etwas wie der Verwaltungschef des Erzbistums, reagierte auf die Berichterstattung mit einem Offenen Brief, der auf der Homepage des Erzbistums veröffentlicht wurde. Hüppelshäuser richtete seinen Brief dabei nicht an den »Stadtanzeiger«, sondern direkt an Joachim Frank, den Autor des Beitrags. Franks Berichterstattung sei »menschenverachtend«, er mühe sich »seit Jahren ab, das Erzbistum Köln mit seinem Bischof an der Spitze zu diskreditieren, zu verunglimpfen und sein Bild in der Öffentlichkeit zu verzerren«. Der Bistumsverwalter Hüppelshäuser spekuliert über »persönliche« oder »rein ökonomische Beweggründe« als »Triebfeder« für Joachim Franks »Feldzug«.
Dass Joachim Frank in der Bistumsleitung nicht beliebt ist, ist keine Überraschung. Seit Jahren arbeitet er beim »Stadtanzeiger« zum Bistum. Frank hat herausragende Artikel über die mangelhafte Aufarbeitung der Missbrauchsskandale[3] geschrieben und ist für seine Arbeit mit dem bekannten Wächterpreis ausgezeichnet worden. Außerdem ist Joachim Frank studierter Theologe und war, bevor er Journalist wurde, sogar mehrere Jahre Priester. Als Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands ist er Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Sein Blick auf die Kirche ist ein durchaus solidarischer.
Es gäbe also Gründe für das Bistum, respektvoll mit Joachim Frank umzugehen. Davon kann im Brief von Hüppelshäuser aber keine Rede sein. Hämisch erklärt er, dass man festhalten müsse, »dass der ›Kölner Stadt-Anzeiger‹ in den letzten zehn Jahren prozentual mehr Leser verloren hat als das Erzbistum Köln Katholiken«. Er selbst habe sein Abo nach mehr als 20 Jahren gekündigt. »Gott sei Dank leben wir in einer Gesellschaft, wo jeder durch sein freies Handeln entscheiden kann, welche Zeitung er kauft und welche Art Journalismus er unterstützt«, so der Verwaltungschef des Erzbistums.
Gerald Selch, Chefredakteur des »Kölner Stadtanzeigers« antwortete nun ebenfalls mit einem Offenen Brief.[4] Selch erklärt darin, dass das Bistum keinen Fakt der Berichterstattung bestreite, weil diese korrekt sei. Hüppelshäuser könne nicht einmal konkret benennen, was er an der Berichterstattung kritisiere. »Das ist bezeichnend und reiht sich nahtlos ein in Vorhaltungen und vergebliche juristische Schritte des Erzbistums unter Kardinal Woelki gegen den ›Kölner Stadtanzeiger‹«, schreibt Selch. Die Diffamierung der Berichterstattung als »menschenverachtend« verlasse den »akzeptablen Diskursraum« und sei eine »Grenzüberschreitung der Institution katholische Kirche gegenüber der freien Presse und deren Vertretern«.
Im weiteren führt Selch aus, dass viele Haupt- und Ehrenamtler*innen die Presse als letzte Möglichkeit sehen, um »kritikwürdigem Verhalten der Bistumsleitung etwas entgegenzusetzen«. In einem abschließenden Wort verweist der Chefredakteur des »Stadtanzeigers« auf die Abo-Kündigung von Hüppelshäuser. Joachim Frank sei nicht aus der Kirche ausgetreten, stattdessen bezahle er »mit seiner Kirchensteuer — wie viele andere Gläubige — für solche der Kirche unwürdigen persönlichen Attacken auf Journalisten«.
Die Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands verurteilt die Angriffe auf ihren Vorsitzenden in einer Stellungnahme[5] ebenfalls scharf. Sie sei »haltlos und ehrverletzend« und eine beschämende Entgleisung. Das Bistum falle damit in altbekannte Kommunikationsmuster zurück, »nicht Missstände, sondern die Aufdeckung von Missständen zu verurteilen – und das in einem Moment, in dem die freie Presse als wesentliche Stütze der Demokratie ohnehin unter Druck steht«. Dem Bistum stehe es frei, presserechtlich gegen Berichterstattung vorzugehen, nicht aber mit Diffamierungen. »Wir erwarten vom Erzbistum Köln als Teil der katholischen Kirche einen respektvollen Umgang auch mit kritischen Journalistinnen und Journalisten«, so der katholische Journalist*innenverband abschließend.
Ein solcher Umgang ist erst mal nicht zu erwarten. Nachdem der »Stadtanzeiger« eine Forsa-Umfrage veröffentlichte, in der sich nur drei Prozent der Kölner*innen zufrieden mit der Amtsführung von Kardinal Woelki äußerten, veröffentlichte das Bistum die nächste Stellungnahme. Tenor diesmal: Das Ergebnis widerspreche der eigenen Wahrnehmung. Der Beleg dafür: die Teilnehmerzahlen und die angebliche Zufriedenheit von Gästen kirchlicher Veranstaltungen. Bis Kirchenleitung und Mehrheitsgesellschaft wieder zu einer gemeinsamen Realitätswahrnehmung kommen, könnte es in Köln noch dauern. Vermutlich bis in die Zeit nach Kardinal Woelki.