nd-aktuell.de / 18.07.2025 / Politik

Regierungsumbau in der Ukraine: Wechsel in die Stagnation

Der Regierungsumbau in der Ukraine dient vor allem der weiteren Machtkonzentration von Präsident Selenskyj

Daniel Säwert
Loyal bis in die Haarspitzen: Mit Julia Swyrydenko hat Wolodymyr Selenskyj eine Ministerpräsidentin installiert, die all seine Befehle umsetzen wird, ohne zu fragen.
Loyal bis in die Haarspitzen: Mit Julia Swyrydenko hat Wolodymyr Selenskyj eine Ministerpräsidentin installiert, die all seine Befehle umsetzen wird, ohne zu fragen.

Eine Überraschung war die Regierungsumbildung in der Ukraine nicht. Schon seit Wochen wurde spekuliert, dass Premierminister Denys Schmyhal seines Amtes enthoben werden soll[1]. Die Erwartungen an die neue Regierung: sehr niedrig. Die Ablösung Schmyhals durch die stellvertretende Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko könnte als der »folgenloseste« Regierungsumbau in die Geschichtsbücher eingehen, resümiert das Nachrichtenportal Strana.

Ähnlich sehen das kritische Beobachter. Als deutlich wurde, dass der Regierungsumbau ein reines Stühlerücken ohne neue Gesichter wird, tauchte in ukrainischen Medien und Telegram-Kanälen immer häufiger das alte Sprichwort auf, es bringe nichts, die Betten im Bordell umzustellen, wenn es nicht läuft. Es braucht frisches Personal. Das sei nicht möglich, heißt es aus dem Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Schließlich könne er, während das Kriegsrecht gilt, die Regierung nicht entlassen. Kritiker halten dagegen, der Kabinettsumbau sei fast die einzig verbliebene Möglichkeit für Selenskyj, noch ein wenig Demokratie vorzugaukeln. Die von der Opposition propagierte Idee einer Koalitions- und Mehrparteienregierung der »nationalen Einheit« stieß bei Selenskyjs Team auf wenig Gegenliebe. Schon länger wird dem Präsidenten vorgeworfen, die Ukraine in den Autoritarismus zu treiben. Jüngste Umfragen bestätigen, dass diese Angst auch in der Bevölkerung wächst.

Denys Schmyhal ist Rekordhalter als Ministerpräsident

Mit der Ablösung Schmyhals geht eine fünfjährige Amtszeit zu Ende. Kein Ministerpräsident hatte sich zuvor so lange auf diesem Posten halten können. Das Geheimnis der langen Amtszeit liegt in der Person. Schmyhal war und ist ein Technokrat, seinem Präsidenten gegenüber absolut loyal und ohne eigene politische Ambitionen.

Zuvor gab es in der Ukraine immer wieder politische Konfrontationen zwischen Präsident und Premierminister, die die Innenpolitik des Landes bestimmten: Präsident Leonid Krawtschuk gegen Premierminister Leonid Kutschma, Präsident Wiktor Juschtschenko gegen Premierministerin Julia Timoschenko.

Selenskyj spielte dieses Spiel indes nicht mit, zeichnet der Journalist Konstantin Skorkin für das Berliner Carnegie-Zentrum die Entwicklung nach. Nachdem das Experiment mit Olexij Hontscharuk, dessen Team den Präsidenten herablassend ermahnt hatte, schiefgegangen war, setzte Selenskyj auf eine Regierung von Machern, die Anweisungen aus dem Präsidentenbüro umzusetzen hatte.

Swyrydenko will noch loyaler sein als ihr Vorgänger

Die 39-jährige studierte Ökonomin Swyrydenko hat in ihrer Heimatregion Tschernihiw und als Selenskyjs Wirtschaftsministerin durchaus Erfolge vorzuweisen. Ihre wichtigste Qualität für den neuen Posten ist jedoch eine andere. Die Technokratin verspricht, noch loyaler zu Selenskyj zu sein als Schmyhal, 100 Prozent Ergebenheit quasi.

In einem ausführlichen Artikel zeichnet die »Ukrajinska Prawda« ein anschauliches Porträt der neuen Regierungschefin: Sie ist noch loyaler und effizienter als ihr Vorgänger; sie schreibt alle Anweisungen des Präsidenten sorgfältig in ein Notizbuch; sie stellt das ihr von der Regierung zugewiesene Flugzeug für die Flüge der First Lady zur Verfügung und hat so eine gute Beziehung zu dieser aufgebaut.

Neue Botschafterin in Washington

Swyrydenko ist nicht die einzige Frau, die in der Kiewer Politik in den vergangenen Tagen für Gesprächsstoff sorgte. Nachdem Verteidigungsminister Rustem Umerow wegen seiner US-Staatsbürgerschaft nicht neuer Botschafter in Washington hatte werden können, machte Selenskyj die ehemalige Stellvertretende Ministerpräsidentin für Europäische und Euroatlantische Integration der Ukraine, Olha Stefanischyna, zur neuen Vertreterin der Ukraine in den USA. Zuvor war Stefanischyna für den Botschafterposten bei der EU im Gespräch. Auch diese Entscheidung hat einen Beigeschmack. Erst vor einem Monat eröffnete das Nationale Antikorruptionsbüro ein Verfahren gegen die damalige Ministerin[2]. Ihr wird Machtmissbrauch mit schwerwiegenden Folgen vorgeworfen. Mit der Entsendung nach Nordamerika entzieht Selenskyj Stefanischyna dem Zugriff der Korruptionsermittler, gegen die er selbst zuletzt immer härter vorging.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191944.selenskyj-ukrainischer-premierminister-denys-schmyhal-vor-abloesung.html?sstr=Schmyhal
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192512.ukraine-krieg-korruption-ist-ein-problem-in-der-ukraine.html