Was in vielen deutschen Bundesländern längst Pflicht ist, besteht in Berlin nur als optionales Angebot: Schulungen für Richter*innen, um diese für Rassismus zu sensibilisieren. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage der Linke-Abgeordneten Elif Eralp und Niklas Schrader[1]. Der Anlass für die Anfrage war die Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen den Polizisten Jörg K., der wegen mutmaßlich rassistischer Äußerungen während eines Einsatzes bei einer syrischen Familie im September 2022 im Mai dieses Jahres vor Gericht gestanden hatte.
Grund des Einsatzes war eine offene Geldstrafe in Höhe von 750 Euro. Bei der gewaltvollen Festnahme fielen Äußerungen wie: »Das ist mein Land und du bist hier Gast«, »Du bist hier in unserem Land. Ihr habt euch nach unseren Gesetzen zu verhalten« und »Halt dein Maul«. Eine Videoaufnahme der Äußerungen, die in den sozialen Netzwerken viral ging, sorgte für Aufsehen.
Polizist K. wurde jedoch nur für die Aussage »Halt dein Maul« belangt. Das Verfahren wurde gegen eine Entschuldigung bei der Familie und eine Zahlung von 500 Euro an diese eingestellt. Für Eralp ist das Urteil nicht ausreichend: »Der handelnde Polizeibeamte selbst hat nicht einmal im Gerichtsverfahren Unrechtseinsicht gezeigt«, sagt sie zu »nd«. Jemand, der sich rassistisch verhalte, könne nicht weiter im Polizeidienst[2] mit Bürger*innen tätig sein.
Außerdem sieht Eralp eine klare Lücke sowohl in der Schulung von Richter*innen als auch von Polizist*innen zum Thema Rassismus-Sensibilisierung[3] in Berlin. Sie beanstandet, dass die Verantwortung für die Ausbildung von Richter*innen bezüglich einer solchen Sensibilisierung an die Hochschulen verlagert wird. Außerdem sei die polizeiinterne Ausarbeitung wie im Fall von K. lückenhaft. »Es ist gut, dass in der betroffenen Polizeidirektion eine Aufarbeitung stattgefunden hat«, sagt Eralp. Aber Schulungen zum Thema »Rechtsextremismus erkennen und Diskriminierung verhindern« reichen in den Augen der Linke-Politikerin nicht aus, es brauche eine »selbstkritische Reflexion der eigenen Rolle beziehungsweise Machtposition und des eigenen Verhaltens«.
Der Senat hält verpflichtende Fortbildungen für Richter*innen nicht für notwendig, heißt es in der Antwort auf die Anfrage von Eralp und Schrader. »Eine allgemeine Fortbildungspflicht – wie sie in anderen Bundesländern existiert – hat vor allem appellativen Charakter und es sind auch dort keine zu sanktionierenden Dienstpflichtverletzungen mit der Pflicht verbunden.« Im Hinblick auf die »ausgeprägte Berliner Fortbildungskultur in der Richterschaft« sei eine solche Pflicht »entbehrlich«.
Auch für Polizist*innen ist eine verpflichtende Sensibilisierung für rassistische Äußerungen und Handlungen nicht vorgesehen. Und etwaige rassistische Aussagen werden oft nicht als solche verurteilt, zum Beispiel wenn ein Polizist aussagt, dass er die Aussage nicht rassistisch gemeint habe. Nur eindeutig als rassistisch definierbare Aussagen können auch unabhängig von einem Schuldeingeständnis als solche eingestuft werden.
Für Menschen, die persönliche Rassismus-Erfahrungen machen, ist dies ein Grund mehr, bei rassistischen Vorfällen seitens der Polizei keine Anzeige aufzugeben und sich nicht an behördliche Stellen zu wenden. Selbst dem Bürger- und Polizeibeauftragten des Landes Berlin, einer unabhängigen Beschwerde- und Schlichtungsstelle, wurden seit der Einrichtung der Stelle am 1. August 2022 nur 13 Fälle mit einer rassistischen Motivation für polizeiliches Fehlverhalten gemeldet. Das geht aus der Antwort des Polizeibeauftragten Alexander Oerke auf die Anfrage von Eralp und Schrader hervor.
In keinem der Fälle konnte eine solche Motivation bestätigt werden – abgesehen von einem noch offenen Verfahren, bei dem laut Polizeibeauftragtem »starke Indizien für eine rassistische Motivation der agierenden Polizeibeamten« bestünden. »Grundsätzlich besteht die Schwierigkeit, dass sich rassistische, beleidigende oder diskriminierende Aussagen bei widersprechenden Angaben der Beteiligten kaum objektiv verifizieren lassen«, sagt Oerke.
Bei der Initiative KOP Berlin, die sich für Opfer rassistischer Polizeigewalt einsetzt, wurden in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 25 Vorfälle rassistischer Polizeigewalt gemeldet. Auch KOP schildert auf der eigenen Webseite, dass die Hürde sehr hoch sei, bei rassistischen Erfahrungen mit der Polizei rechtliche Schritte einzuleiten. Das liege auch daran, dass Betroffene von rassistischer Polizeigewalt oft selbst von den Beamt*innen beschuldigt würden, diese angegriffen und provoziert zu haben, so KOP. »Die systematische Verschleierung unverhältnismäßigen Handelns durch Anzeigen gegen die Opfer, Einstellungen von Ermittlungsverfahren und Nicht-Verurteilung der Täter*innen muss aufgedeckt werden«, fordert die Initiative.