Die Erkrankungen des Gehirns reichen von Migräne und Epilepsie über den Schlaganfall und Tumore bis hin zu Parkinson und den verschiedenen Demenzen. Insbesondere bei den letztgenannten neurodegenerativen Krankheiten, [1]aber auch bei Schlaganfällen ist das Alter ein wesentlicher Risikofaktor. So wurde der internationale World Brain Day an diesem Dienstag insbesondere der Hirngesundheit in einer alternden Gesellschaft gewidmet.
Das ergibt auch insofern Sinn, als dass die genannten Leiden zu einem deutlichen Teil vermeidbar wären: Das gilt potenziell für 80 Prozent aller Schlaganfälle und für 45 Prozent der Demenzen.[2] Hinzu kommt, dass weltweit 3,4 Milliarden Menschen im Jahr 2021 von 37 verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems betroffen waren.
Wenn eine wirksame medikamentöse Therapie noch nicht greifbar ist, wäre es sinnvoll, Ressourcen auf die Prävention zu konzentrieren.
Im Jahr 2020 verursachten allein neurologische Erkrankungen in Europa Gesundheitskosten in Höhe von 1,7 Billionen Euro. Der Betrag ist unter anderem deshalb so hoch, weil hier nicht nur langwierige Diagnosen, aufwendige Therapien und hohe Medikamentenkosten die Regel sind, sondern weil oft auch lang andauernde Pflege und Unterstützung nötig sind.
Die Entwicklung neuer Therapien und die Prävention sind zwei Hauptwege, um den Verlust gesunder Lebensjahre zu reduzieren. Bei der Behandlung der Demenzerkrankungen steht die Alzheimer-Demenz im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Insbesondere zwei neue Wirkstoffe weckten viele Hoffnungen: Lecanemab und Donanemab[3]. Ersteres ist unter dem Handelsnamen Lequembi seit April 2025 in der EU zugelassen und soll in frühen Stadien der Krankheit eingesetzt werden.
Für das zweite Mittel, Donamemab (Handelsnamen Kisunla), lehnte die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) hingegen im Frühjahr eine Zulassungsempfehlung ab. Auch Kisunla kann den Krankheitsverlauf nur verzögern. In den Zulassungsstudien zeigten sich bei 37 Prozent der Probanden Hirnschwellungen und Hirnblutungen – zwar überwiegend mit leichtem Verlauf, in drei Fällen allerdings mit tödlichem Ausgang. Dennoch erhielt das Medikament in den USA, Japan, China und Großbritannien eine Zulassung.
Sowohl für die Behandlung mit Lecanemab als auch mit Donanemab ist eine frühe Diagnose entscheidend, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Damit ist es aber nicht so einfach: Unter anderem liegt das daran, dass Bluttests derzeit keine Vorhersage darüber treffen, ob jemand in Zukunft an Alzheimer erkranken wird. Nur bei einigen familiär weitergegebenen Alzheimer-Formen bieten wiederum Gentests eine hohe Sicherheit für eine künftig Erkrankung.
Aktuell wird versucht, über den Nachweis von bestimmten Biomarkern im Blut, zum Beispiel von p-Tau-Proteinen, bei der Früherkennung voranzukommen. Bei Alzheimerkranken ist dieses Eiweiß verändert, es löst sich von den Nervenzellen und verklebt. Dadurch entstehen die typischen Ablagerungen, die Nervenzellen absterben lassen. Im Laufe der Forschung zeigte sich aber, dass auch im Muskelgewebe von einer ganz anderen Patientengruppe p-Tau produziert wird, nämlich bei Menschen, die an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt sind.
Wenn eine wirksame medikamentöse Therapie also noch nicht greifbar ist, wäre es sinnvoll, vorhandene Ressourcen auf die Prävention auch von Alzheimer zu konzentrieren. Hier gibt es eine ganze Reihe klassischer Empfehlungen, darunter einen Lebensstil mit ausreichend Bewegung und einer abwechslungsreichen, möglichst pflanzenbasierten Ernährung. Geistige Aktivität, soziale Kontakte und das Vermeiden von Risikofaktoren wie Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum kommen hinzu.
Während derartige Ratschläge oft nur ein Gähnen hervorrufen, gibt es ab und an neue, vertiefte Erkenntnisse dazu, was gerade an der Lebensweise in Industriestaaten zu den häufigen neurologischen Krankheiten beiträgt. Die deutsche Hirnstiftung wies aktuell auf Gesundheitsschäden durch »ultrahochverarbeitete Lebensmittel« (englisch: ultraprocessed foods – UPF). Bei deren Herstellung durchlaufen die Rohstoffe einen umfangreichen industriellen Verarbeitungsprozess. Sie enthalten am Ende eine Vielzahl von zusätzlichen Zutaten wie Aromen, Konservierungsmittel oder Farbstoffe, aber auch besonders energiereiche Inhaltsstoffe. Manche der Zutaten sind nur dem technischen Prozess geschuldet. Zusammenhänge einer entsprechenden Ernährung mit Übergewicht, Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes sind nachweisbar. In Folge dieser drei Merkmale steigt das Risiko etwa für Schlaganfälle. Der Verzehr der energiedichten, stark verarbeiteten Lebensmittel erhöht zusätzlich das Demenz- und Parkinson-Risiko und kann Depressionen begünstigen.
So zeigte eine Metaanalyse von 2023, also eine Auswertung mehrerer Studien zu einem Thema, dass ein hoher UPF-Konsum mit einem um 44 Prozent höherem Risiko für eine Demenz verknüpft ist. Ähnlich ist der Befund einer neueren Analyse der Framingham-Kohorte. Die Bevölkerung der Stadt Framingham im US-Bundesstaat Massachusetts wird seit 1948 systematisch auf Ursachen und Risiken von koronarer Herzkrankheit und Arteriosklerose untersucht. Die Untersuchung zeigte, dass Menschen, die im Schnitt über zwölf Jahre lang mehr als zehn Portionen verarbeitete Lebensmittel am Tag verzehrten, ein 2,7-fach erhöhtes Alzheimer-Risiko hatten. Eine weitere Studie zeigte ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der zehnprozentigen Erhöhung des UPF-Konsums mit einer deutlichen Erhöhung des allgemeinen Demenzrisikos (+25 Prozent) sowie einer Erhöhung des Alzheimerrisikos (+14 Prozent).
Laut Frank Erbguth von der Deutschen Hirnstiftung sind hier die Mechanismen noch nicht völlig klar. Eine These besagt, dass die prozessierten Lebensmittel die mikrobielle Vielfalt des Darms ungünstig beeinflussen können, und die Verdauungsorgane stehen in enger Wechselwirkung mit dem Gehirn. Daneben bestehe ein indirekter Zusammenhang zwischen Übergewicht und den Folgekrankheiten Bluthochdruck und Diabetes mit einem erhöhten Demenzrisiko. Bei aller Hoffnung auf den pharmazeutischen Fortschritt: ein gesunder Speiseplan ist bei der Prävention neurologischer Krankheiten nicht zu verachten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192743.neurologie-alzheimer-noch-unbesiegt.html