nd-aktuell.de / 21.07.2025 / Kommentare

Demonstration zu Gaza: Wegducken geht gar nicht

Christoph Ruf über eine linke Gaza-Demonstration, die noch auf sich warten lässt

Christoph Ruf
Demonstration vor dem Berliner Reichstagsgebäude gegen den Krieg Israels im Gazastreifen vor etwa einem Monat
Demonstration vor dem Berliner Reichstagsgebäude gegen den Krieg Israels im Gazastreifen vor etwa einem Monat

Die Hamburger Verbraucherzentrale verleiht jedes Jahr die »Mogelpackung des Jahres« für die gekonnteste Kundenverarschung. Überraschenderweise hat sich bislang noch kein Preisträger über die Auszeichnung gefreut. Beim SPD-Chef Lars Klingbeil ist das anders. Er wurde vom Springer-Verlag unter anderem dafür ausgezeichnet, dass er »das macchiavellistische Handwerkszeug beherrscht. Die Ministerriege wurde mit Getreuen besetzt, die alte Garde musste weichen.« In Klingbeils Büro wird der Preis stolz und ironiefrei präsentiert, neben einem Trikot des FC Bayern (sicher ein Zufall). Ein besseres Bild über die Selbstverzwergung der SPD gibt es nicht.

Was ich allerdings viel ärgerlicher finde – enttäuscht kann man nur von etwas sein, von dem man noch etwas erwartet –, ist die Linkspartei. Angesichts der Lage vor Ort und der ursprünglichen Begründung (»Der Krieg in Gaza muss in die deutsche politische Öffentlichkeit getragen werden.«) ist es ein schlechter Witz, die geplante Großdemonstration zu Gaza in den September zu schieben[1].

In der Nahost-Frage ist das zudem hart an der Grenze zum Zynismus. Wenn es stimmt, was ich lese, dann werden die Menschen in kleine Areale im Süden des Gazastreifens zusammengetrieben; fast jeden Tag werden Hungrige auf dem Weg zu den Essensausgabestellen erschossen, derweil israelische Bagger die verlassenen Häuser plattmachen. Wovor hat man Angst, wenn man sich weigert, da die einzig mögliche Position zu beziehen[2]? Das geht ja durchaus in aller gebotenen Differenziertheit. Wenn »from the river to the sea« israelisches Regierungshandeln ist, kann man sich dennoch von allen abgrenzen, die mit dem gleichen Slogan das Existenzrecht Israels infrage stellen wollen.

Zum Thema: »Sie hat sich hier einen Strohmann aufgestellt«[3] – Der Journalist Jakob Reimann wird von Karoline Preisler verklagt. Es geht um ihre Behauptung, Israel sei stets »der menschlichere Akteur«

Die Begründung für das eigene Wegducken ist jedenfalls lächerlich: Man könne nicht ausschließen, dass auch Hamas-Flaggen wehen (die im Übrigen seit 2021 verboten sind), dass sich Antisemiten unter die Demonstrierenden mischen. Nein, das kann man nicht. Wie man bei keiner Demo ausschließen kann, dass sich fragwürdige Menschen unter das Volk mischen. Aber das soll jetzt der Grund sein, sich mal wieder wegzuducken? Wovor habt ihr Angst? Davor, von der »Bild« als »Antisemiten« gegeißelt zu werden? Das kann jedem passieren, der nicht Benjamin Netanjahu ist. Angst, den 42. Unterzeichner des Aufrufs zu verprellen, den eh keiner kennt? Sorry, ich verstehe euch nicht. Und mir scheint, liebe Linke, ihr müsst gerade ein bisschen aufpassen. Einfach nur energisch und sehr eloquent gegen rechts zu sein, wird auf Dauer nicht reichen. Zumindest mir nicht.

Allerdings scheint im Liebknecht-Haus der Blick auf die Umfragen derzeit wichtiger als eine inhaltliche Positionierung. Mal wieder. Dass die Themenpalette vor der Bundestagswahl monochrom gehalten wurde, fand ich nachvollziehbar. Schließlich ging es darum, überhaupt wieder einzuziehen. Da fand ich es ein akzeptables Mittel zum Zweck, Konfliktthemen wie Gaza oder Russland/Ukraine mit Formelkompromissen abzuräumen und in Sachen Migration minimal konkret und maximal moralisch zu bleiben. Ein Sichverpissen bei allen konfliktträchtigen Fragen darf aber nicht zur Gewohnheit werden – auch wenn die Meinungsumfragen noch so gut sind.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192710.solidaritaet-mit-gaza-linke-verschiebt-demo-bis-zur-letzten-fahne.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192691.gaza-mit-banden-gegen-hamas.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192552.jakob-reimann-vs-karoline-preisler-sie-hat-sich-hier-einen-strohmann-aufgestellt.html