nd-aktuell.de / 21.07.2025 / Politik

Von Brosius-Gersdorf zu Kaufhold

Der Skandal um die geplatzte Verfassungsrichterwahl geht in die nächste Runde

Patrick Lempges
Die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold ist das neueste Ziel rechter Propaganda.
Die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold ist das neueste Ziel rechter Propaganda.

Im Drama um die vorerst geplatzte Wahl neuer Richter*innen[1] am Bundesverfassungsgericht folgt der nächste Akt. Während vergangene Woche vor allem rechte Kritiker*innen aus der Union vorpreschten und ihre Bedenken gegen die von der SPD nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf in der Presse vortrugen, mahnen nun prominente Stimmen aus CDU und CSU dazu, den Konflikt nicht öffentlich auszutragen. Einige sprechen sich auch für die Wahl der Juraprofessorin aus.

So gab sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann staatsmännisch. Wichtig sei, »dass wir nun in der Koalition hinter den Kulissen und in aller Ruhe zu einer breit getragenen Lösung kommen«, mahnte er. Zur Frage, wie diese Lösung aussehen könne, antwortete Linnemann im »Tagesspiegel« (Montag): »Genau darüber werde ich jetzt nicht öffentlich sprechen.« Er moniert, dass Abgeordnete der Union sich von einer Kampagne gegen Brosius-Gersdorf[2] haben beeinflussen lassen. Die Fraktion hätte schneller auf die internen Vorbehalte gegen die Kandidatin der SPD reagieren müssen, kritisierte er.

Klarere Kritik an den Abweichlern in der Unions-Fraktion gibt es indes vom regierenden Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU). Er forderte gegenüber der »Welt« Disziplin in den eigenen Reihen: »Wenn Entscheidungen in einer Koalition getroffen wurden, müssen sie verlässlich umgesetzt werden.« Weiter warnt Wegner davor, die Verfassungsrichter*innenwahl »in parteipolitische Auseinandersetzungen« hineinzuziehen.

Unerwarteter Zuspruch für Brosius-Gersdorf kam vom CSU-Ehrenvorsitzenden Horst Seehofer. Er pochte in der »Augsburger Allgemeinen« ebenfalls auf die Durchsetzung von Parteidisziplin in der Unions-Fraktion: »Wenn die gesamte Führung von CDU und CSU einem Abgeordneten die Wahl empfiehlt, so wie geschehen, hätte ich sie gewählt.«

»Es wird die ganze Legislatur über schwierige Abstimmungen geben. Da müssen die Regierungsfraktionen stehen.«

Lars Klingbeil SPD-Chef

Die SPD zeigt sich weiterhin nicht willens, die Nominierung von Brosius-Gersdorf zurückzuziehen. SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil hält weiter an ihr fest und pocht auf eine Wiederholung des Wahlvorgangs. Dieser war am 11. Juli im Bundestag wegen der Widerstände aus der Union kurzfristig von der Tagesordnung genommen worden.

Klingbeil erklärte in der »Bild am Sonntag«, dass die Bedenken der Union mittlerweile ausgeräumt seien. »Deshalb können wir die Wahl wieder auf die Tagesordnung des Bundestags setzen.« Es sei »eine prinzipielle Frage, ob man dem Druck von rechten Netzwerken nachgibt, die eine hoch qualifizierte Frau diffamiert haben.« Zugleich gab sich Klingbeil versöhnlich und betonte das gute Arbeitsverhältnis zu Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Angesichts der Probleme, die die schwarz-rote Koalition zu lösen habe, sei Disziplin nötig, mahnte Klingbeil: »Es wird die ganze Legislatur über schwierige Abstimmungen geben. Da müssen die Regierungsfraktionen stehen.«

Die Position der Linken zum Fall Brosius-Gersdorf bleibt weiter strategisch distanziert. So äußerte Gregor Gysi, er hoffe, »dass die SPD hart bleibt und zu ihrer Kandidatin steht«. Sonst mache man die Tür auf, »dass künftig immer CDU und CSU über die Besetzung der von der SPD nominierten Verfassungsrichter entscheiden«, sagte er dem »Reutlinger General-Anzeiger«.

Linke-Chef Jan van Aken warf der Koalition mangelnde Fortschritte bei der Lösung des Konflikts vor. »Inhaltlich sind die Union und die SPD keinen Millimeter weiter als am 11. Juli«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Er erneuerte zudem die Forderung der Linken nach einem Vorschlagsrecht für Verfassungsrichter*innen, das die Linke als Gegenleistung für die Unterstützung von Richterkandidat*innen der Regierung fordert. Bislang ist die Linke von diesem Vorschlagsrecht ausgenommen, im Gegensatz zur FDP, die den Schritt ins Parlament nicht geschafft hatte.

Derweil starteten rechte Medien und Akteure eine neue Diffamierungskampagne, die sich gegen die zweite SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold richtet. Die Jura-Professorin promovierte und habilitierte bei Andreas Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts von 2010 bis 2020. So hieß es auf dem rechten Portal »Tichys Einblick«, Kaufhold plane »einen Komplettumbau der Gesellschaft« und sei »wohl die noch größere Gefahr für die Demokratie«.

Im Portal »Nius« und von einzelnen Akteuren wird Kaufhold als »Klimaaktivistin« bezeichnet, die eine »Klimapolitik ohne Parlament« plane. Der Hintergrund: In einem Interview[3] hatte sie kritisiert, dass Parlamente dazu tendierten, »unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen«, und Gerichte in dieser Hinsicht freier seien. Außerdem wird verbreitet, die Juristin bereite eine Enteignungswelle vor, nur weil sie ein Mitglied der vom Berliner Senat eingesetzten Kommission zur Machbarkeit der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen war. Weiter heißt es, Kaufhold plane einen »Staatsstreich«, weil sie die »Ängstlichkeit« im Diskurs zum AfD-Verbotsverfahren kritisiert und gemahnt hatte, die Möglichkeit des Scheiterns dürfe einen Antrag auf ein Verbot nicht verhindern. Mit Agenturen

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192647.verfassungsrichter-innenwahl-brosius-quo-vadis.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192543.frauke-brosius-gersdorf-wahl-der-verfassungssrichter-ergebnis-einer-kampagne-von-rechts.html
  3. https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/klima-wer-kann-es-soll-es-richten.html