Wie bewerten Sie die von Premier François Bayrou vorgestellten großen Linien des Staatshaushalts für 2026?
Das ist bei uns sehr schlecht angekommen, konsultiert hatte man uns nicht. Wir wurden eine Woche vorher eingeladen, aber ohne, dass etwas von dem angekündigt wurde, was dann vom Premierminister vorgetragen wurde. Der soziale Dialog, den man immer anmahnt und für den man oftmals Deutschland als Beispiel hinstellt, sieht unserer Meinung nach anders aus. Wir kamen uns hinters Licht geführt vor. Darum sind wir dann auch demonstrativ nicht zur Pressekonferenz des Regierungschefs gegangen, ebenso wie die Schwestergewerkschaften CFDT und CGT. Wir lassen uns nicht verschaukeln. und wir lassen nicht zu, dass die Regierung so tut, als ob sie mit uns im Dialog stehe.
Wie haben Sie darauf reagiert, dass Bayrou aufgerufen hat, mehr und produktiver zu arbeiten?
Was die Produktivität betrifft, so widersprechen die Zahlen der Fachleute eindeutig der Einschätzung des Premiers. Hier liegen die französischen Arbeiter in Europa eindeutig im Spitzenfeld. Wenn er sagt, dass wir nicht genug arbeiten, so kann man ihm sogar zustimmen. Genauer: Es gibt nicht genug Menschen, die Arbeit haben. Beispielsweise werden bei uns Arbeitnehmer, wenn sie älter als 55 sind, systematisch aus den Unternehmen gedrängt und durch jüngere und billigere Kräfte ersetzt. Ähnlich ist die Lage bei den jugendlichen Berufseinsteigern, für die viel zu wenig getan wird. Bei uns ist der Anteil derer, die jünger als 25 Jahre sind und einen Arbeitsplatz haben, um 27 Prozent niedriger als im europäischen Durchschnitt. Sieben Millionen Menschen sind arbeitslos, aber nur 42 Prozent erhalten Arbeitslosengeld, weil die anderen aufgrund früherer prekärer Arbeit nicht genug einzahlen und dadurch Ansprüche erwerben konnten.
Warum stellt der Anteil der Beschäftigten, die nur den gesetzlichen Mindestlohn erhalten – in Frankreich beträgt er 1.426,30 Euro netto pro Monat – den Spitzenplatz in Europa dar?
Das liegt daran, dass man per Gesetz festgeschrieben hat, dass Unternehmen, wenn sie diesen SMIC oder das bis zu 1,6-fache davon zahlen, keine oder nur geringe Sozialabgaben abführen müssen. So wollte man die Schaffung neuer Arbeitsplätze fördern[1]. Tatsächlich ist dadurch der Missbrauch des SMIC zur festen Institution geworden. Die Gewerkschaften kämpfen dagegen an, bisher aber vergebens. Doch nicht der SMIC ist das größte Problem, sondern die Art und Weise, wie man die sieben Millionen Arbeitslosen vorwurfsvoll auf die 390 000 offenen Arbeitsplätze verweist, wo aber die Arbeitszeiten, die Löhne und die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, dass man dafür niemanden gewinnen kann.
Die Regierung will 2026 mindestens 40 Milliarden Euro weniger ausgeben. Das Problem liegt aber eher bei den Einnahmen, meinen die Ökonomen. Wo wäre mehr Geld zu holen?
Wir stellen immer wieder fest, dass sich die Regierung scheut, die relativ wenigen superreichen Franzosen zur Kasse zu bitten und dass sie es vorzieht, die Masse der kleinen und mittleren Einkommensbezieher zu schröpfen. Dasselbe gilt für die Jagd auf die kleinen Sozialhilfebetrüger, während man sich scheut, den Großunternehmern auf die Finger zu schauen, die »Steueroptimierung« betreiben, was eigentlich Steuerbetrug ist. Genauso ist es mit den 211 Milliarden Euro Finanzhilfe für Konzerne, über die diese nie Rechenschaft ablegen müssen. Ebenso mit den Milliarden an Staatszuschüssen für Forschung und Entwicklung, die auch viele Unternehmen kassieren, die nichts davon betreiben. So bekommt beispielsweise der Pharmakonzern Sanofi, der nur aus einem Briefkasten am Pariser Firmensitz besteht, im Jahr 1,8 Milliarden Euro, während die Forschung schon seit Jahren in die USA ausgelagert wurde[2] und die Entwicklung nach Indien.
Was sagen Sie dazu, zugunsten der Staatsfinanzen Feiertage abzuschaffen?
Ich bin überzeugt, dass die zwei Feiertage nur eine »Spielgröße« sind und dass die Regierung diese Idee wieder zurückziehen wird, um so zu tun, als ob sie auf Kritik reagiert.
Und wie steht es mit der Idee, die fünfte Urlaubswoche auf Wunsch finanziell abzugelten?
Das ist unmöglich! Es mag einzelne Arbeiter mit sehr geringem Einkommen und finanziell sehr schwierigen Verhältnissen reizen, so zusätzlich etwas Geld zu verdienen. Aber das ginge auf Kosten ihrer Gesundheit. Die fünfte Woche Urlaub ist eine soziale Errungenschaft, die wir dem linken Präsidenten François Mitterrand und seiner Regierung verdanken.
Sie haben Ihre Kollegen von den anderen großen Gewerkschaften getroffen und beraten, wie Sie reagieren werden. Was wurde beschlossen?
Wir wollen unsere Basis konsultieren und uns am 1. September wieder treffen, um unseren gemeinsamen Gegenschlag zu beschließen. Er wird der Wucht des Angriffs angemessen sein.
Schließt das auch das seit vielen Jahren nicht eingesetzte Mittel des Generalstreiks nicht aus?
Angesichts der zugespitzten Situation und Stimmung würde ich nichts ausschließen.