nd-aktuell.de / 27.07.2025 / Kommentare

Unions-Politiker: Zu teuer für uns Wähler*innen

Alex Demirović wundert sich über die Planlosigkeit der Union

Alex Demirovic
Jens Spahn (M) steht zwischen Friedrich Merz (r.) und Markus Söder (l.)
Jens Spahn (M) steht zwischen Friedrich Merz (r.) und Markus Söder (l.)

»Sofortismus« – dieses hässliche Wort habe ich zum ersten Mal von Carsten Linnemann gehört. In einer Talkshow nach den ersten Misserfolgen der neuen Regierung gefragt, antwortete der CDU-Generalsekretär, die Öffentlichkeit solle den Sofortismus lassen, also den Wunsch, alles gleich und sofort haben zu wollen. Diese Bitte kontrastiert auffällig mit dem Verhalten seiner eigenen Partei, nachdem Olaf Scholz Ende 2022 zum Kanzler gewählt worden war. Ereiferte sich der CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz damals nicht immer wieder am Pult des Bundestags, dass Scholz die deutsche Wirtschaft ruiniere und dringend neu gewählt werden müsse?

Es war wie eine latente Bürgerkriegserklärung. Merz konnte es nicht ertragen, dass die SPD den Kanzler stellte; er war nicht bereit, die Koalitionsregierung von SPD, Grünen und FDP zu akzeptieren, sondern erhob den Anspruch, es besser zu machen. Eine Aufweichung, gar eine Abschaffung der volkswirtschaftlich schädlichen Schuldenbremse war er nicht bereit zu akzeptieren. Seine Fraktion verhinderte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro aus der Corona-Hilfe für den Klima- und Transformationsfonds, die der energetischen Erneuerung der Bundesrepublik hätten dienen sollen.

Damals wurde zu Recht kritisiert, dass der Oppositionsführer Merz keinen Plan zur Lösung von Problemen habe. Aber mit ihm als Kanzler ist es nun noch schlimmer: Probleme kommen gar nicht mehr vor. Kriegsverbrechen in Gaza, völkerrechtlicher Angriff auf den Iran – schon längst hätte die deutsche Regierung den Waffenexport an Israel stoppen müssen. Indem man heute alle Regeln und Institutionen ignoriert, die wegen der deutschen Verbrechen nach 1945 eingeführt wurden, bekämpft den Antisemitismus nicht.

Merz möchte Wachstum. Aber wie ist das noch mal mit Klima, Biodiversität, Überschwemmungen? Umbau der Energieversorgung, Einhaltung der Klimaziele? Wie ist es mit der Verantwortung entlang der Lieferketten, wenn die entsprechende EU-Richtlinie und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz im Namen des Bürokratieabbaus abgeschafft werden sollen?

Versprochen wird jetzt Aufrüstung, damit Deutschland zur Führungsmacht in der Europäischen Union wird, also nicht mehr nur Wirtschafts-, sondern auch politischer Riese wird. Wohlstand für alle will Merz ermöglichen. Nach dem Treffen mit Vertretern von über sechzig Großunternehmen teilte er mit, dass Deutschland wieder da sei. Über 600 Milliarden Euro wollen die Unternehmen investieren. Der Investitionsstreik gegenüber der Ampel-Regierung scheint vorbei. Aber nicht sicher ist, ob es sich wirklich um neue Investitionen handelt oder sich die Unternehmen nur an öffentlichen Geldern bereichern wollen. Und ob die Investitionen in die richtige Richtung gehen.

Merz rechnet nicht gut. Er erwartet Einsparungen von 4,5 Milliarden Euro durch eine Abschaffung des Bürgergelds und neue Sanktionen. Das wird von Fachleuten als nicht realistisch bezeichnet. Gleichzeitig stützt er sich auf Personen, die Geld verschleudert haben. Allen voran Jens Spahn[1]. Der habe, so war in der Zeitung zu lesen, als junger Mann beschlossen, seinem Land zu dienen. Seitdem er 22 ist, sitzt er im Bundestag. Außer Schule und Parlament [2]hat er nicht so viel vom Leben kennengelernt. Mit Tilman Kuban gehörte er zu den entschiedensten rechten Kritikern Angela Merkels, vor allem ihrer Migrationspolitik. Wie es hieß, war er eng mit dem US-Botschafter Richard Grenell, einem entschiedenen Trump-Anhänger, und mit Julian Reichelt befreundet, der wegen mutmaßlichen Machtmissbrauchs seine Stelle als Chef-Redakteur der »Bild«-Zeitung aufgeben musste und tendenziell rechtsradikale Politik mit dem Online-Medium Nius betreibt.

Angela Merkel hat Spahn, um ihn einzubinden, in ihr letztes Kabinett als Gesundheitsminister aufgenommen. Ein großer Fehler, wie sie wohl selbst erkennen musste, um dann die Aufgaben der Pandemiebekämpfung an ihren Staatsminister Helge Braun zu übertragen. Denn in der Coronakrise erwies sich Spahn als inkompetent und redete die Gefahr einer Pandemie klein. Um die Versorgung mit Masken sicherzustellen, ging er gegen den Rat seines Ministeriums zweifelhafte Verträge ein. Die Folgen sind vermutlich Kosten von über 10 Milliarden Euro[3] für die Steuerzahler*innen.

Spahn ist ein Scharfmacher: Er forderte die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze auch mit Waffengewalt, die Verringerung des Bürgergelds um 50 Prozent. Er kandidierte gegen Merz 2018 um den Parteivorsitz, im Mai 2025 wurde er Fraktionsvorsitzender der CDU. Als solcher war er verantwortlich für das Desaster bei der Wahl von Merz als Kanzler. Als solcher war er auch verantwortlich dafür, dass die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf,[4] aus der politischen Mitte trotz Empfehlung des entsprechenden Gremiums keine Mehrheit in der CDU-Fraktion hatte und die Wahl abgesagt werden musste. Wahrscheinlich hat er die Wahl hintertreiben lassen. Spahn fand die Einwände gegen die Kandidatin jedenfalls fundiert. Wenn sie schon linksradikal ist! Oh je!

Es ist diese Politik gegen Ärztinnen, gegen die Rechte von Frauen, Spahns Nähe zu Bischöfen der katholischen Kirche, die trotz aller Missbräuche unbescheiden immer noch glauben, das Wort öffentlich ergreifen zu dürfen, zu Lebensschützer*innen, zu rechten Journalisten und Politikern, seine Äußerung, er wolle die AfD normalisieren – dies alles legt nahe, dass Spahn der falsche Mann am falschen Ort ist. Oh Gott, was für ein Milieu – intersektional reaktionär! Spahn will Merz ablösen und selbst einmal Kanzler werden. Solche Spektakel sind zu teuer für uns Wähler*innen. Ceterum censeo: Jens Spahn sollte nicht mehr »dienen« und von allen Ämtern zurücktreten. Sofortissimo.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191943.pandemie-maskenskandal-spahn-mimt-die-verfolgte-unschuld.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192635.aktivisten-in-der-politik-mehr-bewegung-statt-mackern.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191904.maskenaffaere-mehr-als-milliarden-euro-n-jahre-buergergeld.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192756.verfassungsrichterwahl-von-brosius-gersdorf-zu-kaufhold.html