Die Antworten sind die gleichen wie immer: Kurz nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Anerkennung Palästinas als Staat bekannt gegeben hatte, beschwerte sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu auf X, vormals Twitter, das sei eine Belohnung für Terror. US-Außenminister Marco Rubio sekundierte mit ähnlichen Worten.
Mehr als 130 Staaten haben Palästina mittlerweile anerkannt, und seit einigen Wochen kommen immer wieder neue hinzu: Bereits am 28. Mai hatten Norwegen, Spanien und Irland Palästina anerkannt. Mitte Juli hatte Israels Parlament deshalb eine Resolution verabschiedet, in der ungefähr das drin steht, was auch Netanjahu nun schrieb. Gerade einmal 77 der 120 Abgeordneten nahmen teil. 68 stimmten dafür.
Deutschland hat Palästina bisher nicht anerkannt[1]. Aber bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer wurde eine engere Abstimmung in der Nahost-Politik vereinbart. Am Sonntag telefonierten die beiden dann auch gemeinsam mit Macron; es gebe »große Übereinstimmung«, teilte das Bundespresseamt mit. In den kommenden Tagen werde man sehr eng koordiniert die nächsten Schritte unternehmen.
Am Sonntag telefonierte Bundeskanzler Friedrich Merz auch noch direkt mit Benjamin Netanjahu. »Der Bundeskanzler brachte seine große Sorge zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza zum Ausdruck. Er forderte Premierminister Netanjahu auf, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen«, teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit.
In Israel wird die Kritik an der Kriegsführung in Gaza lauter: Zuletzt forderte die Führung der israelischen Ärztekammer in einem Brief an Regierung und Militär, es müsse für eine ausreichende Versorgung der Menschen im Gazastreifen gesorgt werden. In den vergangenen Tagen gingen auch wieder Zehntausende auf die Straße, um für einen Geiseldeal zu demonstrieren. Und für ein Kriegsende.
Israels Regierung kündigte derweil an, künftig würden die Kämpfe tagsüber in vielen Gebieten im Gazastreifen ruhen, um die Lieferung und Verteilung von Hilfsgütern zu ermöglichen. Gleichzeitig betont man, es handele sich keinesfalls um eine Waffenruhe. Außerdem hat das Militär nun mit dem Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft begonnen, ein sehr teures, ineffizientes und auch gefährliches Vorgehen: Bei ähnlichen Aktionen wurden bereits Menschen von den schweren Paletten erschlagen.
Die Hungersnot im Gazastreifen scheint tatsächlich nicht vor allem durch eine geplante Blockade, sondern durch andere Faktoren ausgelöst worden zu sein. Vor dem Grenzübergang Rafah stehen Hunderte Lastwagen bereit; zusammen mit den Lagerbeständen in Jordanien habe man kurzfristig 5000 Lkw-Ladungen zur Verfügung. Die ägyptische Regierung bestätigt auch, dass der Grenzübergang geöffnet sei. Das Problem ist jedoch, dass die Korridore durch den Gazastreifen schlecht koordiniert sind und es auch auf der palästinensischen Seite keine klaren Ansprechpartner mehr gibt. Die Regierungsstrukturen sind weitgehend zusammengebrochen. Zusammen mit der US-Regierung hat die israelische Regierung alles unternommen, um das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNRWA anzugreifen. Damit ist nun auch einer der Hauptpfeiler für Hilfslieferungen weggebrochen.
Unklar ist derweil, ob es mit der »humanitären Stadt« weitergehen wird, die Israels Verteidigungsminister Israel Katz Anfang Juli angekündigt hatte: Auf den Trümmern Rafahs solle ein Zeltlager entstehen, in dem die gesamte Bevölkerung Gazas untergebracht werden soll. Eine Ausreise werde nur in Richtung Ausland erlaubt. Auf Satellitenbildern, die der Sender Al-Dschasira veröffentlichte, war tatsächlich zu sehen, wie Bulldozer große Flächen planierten.
Die Kritik war umfassend, auch in Israel; der ehemalige Regierungschef Ehud Olmert sprach von einem »Konzentrationslager«. Wenig später verschwanden die Pläne aus der Öffentlichkeit, der Schaden war zu diesem Zeitpunkt bereits immens: Israels Regierung hat in der internationalen Gemeinschaft die Legitimation für ihr Vorgehen im Gazastreifen verloren[2]; hinter dem nicht abreißenden Strom an Schreckensmeldungen haben das Massaker am 7. Oktober 2023, die Jahre lange Aufrüstung der Hamas samt Raketendauerbeschuss Israels im Bewusstsein an Bedeutung verloren.
Aus der Hamas, die in etwas mehr als 15 Jahren ein autokratisches Regime im Gazastreifen errichtet hatte, ist nun eine Guerilla-Organisation geworden. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Befehlsketten nicht mehr wie früher funktionieren. So beklagen die ägyptischen Diplomaten, die seit Kriegsbeginn versuchen, einen Waffenstillstand auszuhandeln, dass es nun mehrere Tage brauche, um eine Antwort des Hamas-Politbüros zu erhalten. Und dann sei nicht garantiert, dass sich der militärische Flügel, die Essedin-al-Kassam-Brigaden, auch dran hält.
Mit der zunehmenden Anerkennung Palästinas werden in absehbarer Zeit die politischen Strukturen dieses Staats in den Vordergrund rücken: Denn in Ramallah regiert seit 20 Jahren der mittlerweile 89-jährige Mahmud Abbas mit diktatorischen Mitteln. Seine Amtszeit lief 2009 ab, die Legislaturperiode des Parlaments endete 2010. Fast ebenso lange dauert nun auch schon der Machtkampf mit der Hamas an: Sie hatte 2006 die Parlamentswahlen gewonnen und hätte damit der Verfassung nach das Recht gehabt, die Regierung zu bilden. Doch die meisten westlichen Regierungen sowie Israel waren strikt dagegen, übten Druck aus. Heute erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass Abbas oder einer seiner beiden möglichen Nachfolger die Fähigkeit haben, einen wirklich funktionierenden Staat zu bilden, selbst wenn die israelische Besatzung enden würde.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192896.gaza-krieg-israel-bietet-humanitaere-kampfpausen.html