381,4 Millionen Euro hat die Welthungerhilfe im vergangenen Jahr ausgegeben – so viel wie noch nie. 2024 sei ohnehin »überhaupt kein normales Jahr[1]« gewesen, betont Marlehn Thieme, Präsidentin der Organisation, bei der Präsentation des Jahresberichts. Sie verweist auf Krisen, kriegerische Konflikte und weltpolitische Auseinandersetzungen.
2024 unterstützte die Welthungerhilfe in 37 Gebieten rund 18,7 Millionen Menschen. Die Debatte zum Stand der humanitären Hilfe in Notsituationen und jenem der Entwicklungszusammenarbeit, die langfristige Konfliktlösungen verfolgt, dreht sich vorwiegend um ihre prekäre Situation.[2]
Die hohen Ausgaben beweisen den Bedarf nach Unterstützung, sagt Matthias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe. Er hebt, wie auch schon in den Jahren zuvor, die Situation in Gaza hervor. Dort wüssten Helfer*innen vor Ort inzwischen nicht mehr, wie sie sich ernähren sollen. So kosten 25 Kilogramm Weizen derzeit etwa 500 Dollar. Auch die Versorgung mit Trinkwasser würde immer schwieriger. Der Treibstoff für die Meeresentsalzungsanlage könne inzwischen aufgrund zahlreicher Sperrungen nicht mehr transportiert werden. Hören Menschen morgens um sechs den Lkw der Welthungerhilfe, würden sie losrennen, um Wasser zu ergattern. Viele müssten aber mit leeren Kanistern wieder abziehen.
Für den weltweit steigenden Hunger seien auch die »fatalen Kürzungen« verantwortlich – allen voran die der USA, aber auch jene in Deutschland. Die Trump-Regierung kürzte die Fördermittel der Entwicklungshilfebehörde USAID drastisch, in Deutschland musste unter dem letzten Ampel-Haushalt vor allem das Entwicklungsministerium (BMZ) bluten. Insgesamt sanken die Mittel für das BMZ in der Amtsperiode der Ampel um 23 Prozent, die Mittel für die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes um 29,9 Prozent.
Union und SPD nahmen in ihrem Haushalt drastische Kürzungen der Titel Ernährungssicherheit und landwirtschaftliche Entwicklung des BMZ vor, das Budget für humanitäre Hilfe soll um mehr als 50 Prozent gekürzt werden. Die Auswirkungen machen sich zum Beispiel in Somaliland bemerkbar, sagt Thieme. Dort musste die Welthungerhilfe nun ein Projekt einstellen, das unterernährte Kinder versorgte und auf landwirtschaftliche Entwicklung abzielte.
»Der allgemeine Trend, nur noch auf die Interessen des eigenen Landes zu schauen, ist sehr kurzsichtig«, kritisiert Mogge. Von den 383,5 Millionen Euro, die die Organisation 2024 einnahm, stammten 291,9 Millionen Euro aus institutionellen Zuschüssen. Die größten Geber in Deutschland blieben das BMZ und das Auswärtige Amt. Private Spenden blieben auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr.
Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Reem Alabali Radovan (SPD), verweise zwar des Öfteren auf Folgen der US-amerikanischen Kürzungen. So könnte die Auflösung von USAID laut einer Studie des Fachmagazins Lancet bis 2030 mehr als 14 Millionen Menschen das Leben kosten, darunter 4,5 Millionen Kinder. »Aber auch die deutschen Haushaltskürzungen bedrohen das Leben von Menschen«, so Mogge.
Aus dem BMZ heißt es dazu auf »nd«-Anfrage, die Kürzungen des eigenen Haushalts seien »erheblich, jedoch nicht mit den drastischen Kürzungen bei USAID zu vergleichen.« Deutschland würde »weiterhin ein verlässlicher Partner in der Welt« bleiben. Das Land könne die Lücke, die die USA hinterlassen haben, ohnehin nicht füllen.
Während sich die Debatte im Bundestag um den Sinn der Entwicklungszusammenarbeit dreht, geht es innerhalb der Linken um eine Neujustierung derselben. Cornelia Möhring, ehemals Sprecherin für Globale Gerechtigkeit der Partei Die Linke, und Andreas Bohne vom Afrikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, argumentieren für eine intersektionale, solidarische Gerechtigkeitspolitik.
Linke müssten Entwicklungspolitik zugleich »kritisieren und verteidigen«, so die beiden. »Denn Entwicklungspolitik kann von links als Arena einer Kritik an den Folgen von inhumanem Krisenkapitalismus und nationaler Standortpolitik dienen und als Folie für Ideen und Konzepte hin zu einer gerechteren und humaneren Weltgesellschaft genutzt werden.«
Gemeint ist damit zum Beispiel aufzuzeigen, wenn die bundeseigene Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) Offshore-Finanzzentren auf den Kaimaninseln und auf Mauritius als Steuervermeidungsmodell nutzt – wie es das Netzwerk Steuergerechtigkeit (NWSG) seit Jahren nachweist. Ein Teil des für nachhaltige Entwicklung benötigten Geldes lande so »in den Taschen der globalen Finanzelite«, schreibt das NWSG in einer Studie 2024 und kritisiert die anhaltende Intransparenz der DEG.
In den nächsten Jahren gelte es, Kooperationen auf Augenhöhe wieder voran zu treiben, zeigen sich indes Thieme und Mogge von der Welthungerhilfe überzeugt. Dabei setzen sie auch auf die Kritik der Zivilgesellschaft. »Die Kürzungen in der humanitären Hilfe wird die Bundesregierung nicht durchhalten können, da wird sie nachbessern müssen«, so Thieme.