nd-aktuell.de / 28.07.2025 / Sport

England feiert seine EM-Heldinnen

Die »Lionesses« bringen mit dem Sieg gegen Spanien den »Fußball nach Hause«

Frank Hellmann, Basel
Golden Girls: Siegtorschützin Chloe Kelly (l.) und Michelle Agyemang feiern mit dem EM-Pokal.
Golden Girls: Siegtorschützin Chloe Kelly (l.) und Michelle Agyemang feiern mit dem EM-Pokal.

Voller Zurückhaltung führten Prinz William und Aleksander Ceferin die Siegerehrung im St.-Jakob-Park durch – die Bühne sollte allein den englischen Fußballerinnen gehören, die mit ihrer Titelverteidigung ins Geschichtsbuch eingehen. Nur einer Spielerin drückten die Prominenz aus dem englischen Königshaus und der Uefa-Präsident bei der Übergabe der Siegerplakette ganz fest die Hand: Lucy Bronze hatte beim 3:1 im Elfmeterschießen im finalen Kampf der Europameisterschaft[1] zwischen England und Spanien wie keine andere auf die Zähne gebissen.

Die 33-Jährige wird nun vor allem im Mutterland des Fußballs als neues Vorbild gefeiert – weil sie das Turnier mit einem gebrochenen Schienbein bestritt. »Niemand wusste davon. Es ist sehr schmerzhaft, aber ich werde feiern«, gestand die Rechtsverteidigerin, die am Sonntagabend zwar mehrfach auf dem Rasen von Basel zusammengesackt war, aber erst zur zweiten Halbzeit der Verlängerung ausgewechselt wurde.

Bronze als Symbol für die englische Mentalität

Als die tief berührte Erfolgstrainerin Sarina Wiegman auf der Pressekonferenz die meisten Komplimente an ihre Spielerinnen weiterreichte, deutete die 55-jährige Niederländerin an, dass Bronze für die Gold-Mission über Grenzen der Vernunft gegangen war. »Sie hatte einige Probleme mit dem Schienbein«, sei aber an diesem betörenden Abend zur Symbolfigur für eine »wahnsinnige Mentalität« geworden. 598 Minuten stand die 2020 mitten in der Pandemie zur Weltfußballerin gewählte Bronze bei der EM auf dem Platz. Wenn demnächst die Ritterwürde an Wiegman verliehen wird, sollte vielleicht auch Englands Nummer 2 eine Einladung erhalten.

Bronze ist noch immer eine der besten Rechtsverteidigerinnen der Welt, zeigte bei dieser EM aber auch jede Menge anderer Qualitäten: Im Viertelfinale gegen Schweden[2] bandagierte sie sich vor dem Fehlschussfestival vom Elfmeterpunkt den Oberschenkel selbst, um dann jüngeren Mitspielerinnen mit einem wuchtig verwandelten Elfmeter Orientierung zu geben. Auch dieses Erlebnis ließ die »Lionesses« zu einer diesmal unbezwingbaren Gemeinschaft zusammenwachsen.

Wiegmann bezog in ihre Lobrede nach dem Titelgewinn nicht nur ihr Team, sondern auch die Presse und die Schweiz als in jeder Beziehung überzeugenden und sympathischen Gastgeber[3] ein. Wer hätte da vom sportlich »chaotischsten, verrücktesten Turnier« früher als nötig abreisen wollen? Dagegen stemmte sich auch Englands Torhüterin Hannah Hampton. Die 24-Jährige, die in sozialen Medien kurz vor der EM angefeindet wurde, weil sie angeblich nicht so gut sei wie die 2022 abgefeierte Mary Earps, behielt nicht nur bei den im Endspiel abgewehrten spanischen Strafstößen den Durchblick. Dabei schielte sie früher so stark, dass sie sich kein Glas Wasser unfallfrei eingießen konnte, wie sie einmal verriet. Hampton wurde mit einer Augenerkrankung geboren und als Kind mehrfach operiert. Ärzte rieten ihr eigentlich vom Fußball ab, weil ihr die Tiefenwahrnehmung fehlt. »Ich habe den Leuten das Gegenteil bewiesen«, sagte sie stolz.

Genugtuung für Endspielspezialistin Kelly

Ähnliche Genugtuung schwang bei Chloe Kelly mit, die schon im Halbfinale gegen Italien das siegbringende Tor erzielt hatte. Dass die 27-Jährige nun wie vor drei Jahren als Einwechselspielerin die Rolle der Heldin erhielt, ging als nächstes Märchen in die Annalen ein. Im Winter stand die auch auf dem Platz sichtbar extrovertierte Fußballerin bei Manchester City nicht mal mehr im Kader und wollte ihre Karriere beenden. »Ich hatte harte Zeiten und bin froh und dankbar, es wieder geschafft zu haben«, sagte die beim FC Arsenal wieder aufgeblühte Angreiferin. Dass sie nun im Finale erst die Traumflanke zum Ausgleich[4] von Alexia Russo schlug, um später das englische Glück vom Elfmeterpunkt perfekt zu machen, war vielleicht kein Zufall.

Wiegman hielt in sanftem Tonfall fest: »Jede Spielerin hat ihre eigene Geschichte. Ich glaube, das hat mit unserem Team, aber auch mit dem Charakter zu tun.« Nach dem Coup gegen die Weltmeisterinnen[5] soll es an diesem Dienstag im offenen Bus in London bis vor den Buckingham Palace gehen. Zuvor übermittelte König Charles III. den neuen und alten Europameisterinnen seine »herzlichsten Glückwünsche«. Seit »mehr Jahren, als ich mich erinnern kann, singen die englischen Fans den berühmten Song ›Football’s coming home‹«, schrieb er. Der WM-Triumph der Männer 1966 sowie der EM-Titel der Frauen 2022 sei bei Heimturnieren im alten und neuen Wembley gelungen, jetzt bringe dieses Team wirklich »den Fußball nach Hause«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192816.fussball-em-der-frauen-ein-schweizer-sommermaerchen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192636.schweden-vs-england-mit-stina-blackstenius-will-schweden-ueber-england-zum-titel.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192338.besuch-beim-gastgeber-zu-besuch-in-einem-land-voller-widersprueche.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192291.nachhaltigkeit-im-sport-den-besseren-fussball-gibt-es-in-der-schweiz.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175667.fussball-wm-der-frauen-spaniens-fussballerinnen-feiern-nach-finalsieg-ersten-wm-titel.html?sstr=lucy|bronze