nd-aktuell.de / 28.07.2025 / Politik

Kritik an Reiche-Forderung nach Mehrarbeit

Lob für die Bundeswirtschaftsministerin nur von der Unternehmerlobby

Patrick Lempges
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fordert alle auf, länger zu arbeiten.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fordert alle auf, länger zu arbeiten.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche[1] (CDU) hat die Deutschen aufgefordert, mehr und länger zu arbeiten – und mit ihrem Vorstoß eine Kontroverse ausgelöst. »Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen«, sagte die CDU-Politikerin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. »Wir müssen mehr und länger arbeiten«, so die Politikerin. Leider hätten sich zu viele zu lange der »demografischen Realität« verweigert. »Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen«, meinte die Ministerin. Es gebe viele Beschäftigte in körperlich anstrengenden Berufen, aber auch viele, die länger arbeiten wollten und könnten.

»Im internationalen Vergleich arbeiten die Deutschen im Durchschnitt wenig«, findet Reiche. »Die Kombination aus Lohnnebenkosten, Steuern und Abgaben macht den Faktor Arbeit in Deutschland auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig.«

Bezüglich des Rentenpakets [2]und des Tariftreuegesetzes von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) erklärte Reiche, es stehe fest, dass diese Reformen nicht auf Dauer reichen werden. »Beide Gesetzentwürfe sind noch nicht beschlossen, sondern werden aktuell in der Regierung beraten«, betonte sie. Die Unionsparteien hätten intern bereits Kritik daran geäußert und »Änderungen durchgesetzt«. Gleichwohl sei man an den Koalitionsvertrag gebunden. Bas will mit ihrem ersten Rentengesetz das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens sichern.

Kritiker sehen in Reiches Vorstoß eine indirekte Forderung nach Erhöhung des Renteneintrittsalters. Pascal Meiser, Sprecher für Arbeitspolitik und -recht der Linksfraktion[3], betont: »Schon jetzt schaffen es viele nicht, von der Erzieherin bis zum Dachdecker, gesund bis 65 oder gar bis 67 zu arbeiten.« Die Forderung nach »Arbeiten bis zum Umfallen« sei die »zynischste Art, bei der Rente zu sparen, und verdeckt, dass ein Alter in Würde für alle finanzierbar und möglich ist«, so Meiser gegenüber »nd«.

Die Bundesregierung hat wiederum betont, es sei keine Anhebung des generellen Renteneintrittsalters geplant. Der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille verwies am Montag auf eine entsprechende Festlegung im Koalitionsvertrag. Seinen Angaben zufolge will die Regierung nach der Sommerpause aber den zweiten Teil des vereinbarten Rentenpakets mit »der Aktivrente, der Frühstart-Rente und dem Betriebsrentenstärkungsgesetz« umsetzen. Mit der Aktivrente soll das Arbeiten im Alter dadurch attraktiver gemacht werden, dass man bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei verdienen kann.

Reiches Vorstoß wird derweil auch vom CDU-Sozialflügel (CDA) kritisiert. CDA-Bundesvize Christian Bäumler stellte am Wochenende klar, ihre Forderungen hätten keine Grundlage im Koalitionsvertrag. »Wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist eine Fehlbesetzung«, sagte er.

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt betonte, dass Menschen, die nicht über ihr Renteneintrittsalter hinaus arbeiten können, geschützt werden müssen: »Für sie sei jede Verlängerung der Lebensarbeitszeit eine Rentenkürzung. Das wird es mit der SPD nicht geben.« Reiche argumentiere mit irreführenden Zahlen zur Arbeitsbelastung in Deutschland: »Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen ist seit Mitte der 2000er Jahre deutlich angestiegen.«

Die Linke-Arbeitsmarktexpertin Anne Zerr nannte die Äußerungen der Ministerin »realitätsfern«. Sie zeigten, »dass die Regierung die Interessen der Konzerne über die Gesundheit arbeitender Menschen stellt«, sagte die Bundestagsabgeordnete dem »nd«. Es werde bereits so viel gearbeitet wie nie zuvor, die Beschäftigten litten unter Überarbeitung und Arbeitsverdichtung. »Laut dem DGB-Index Gute Arbeit[4] gehen mehr als 40 Prozent der Beschäftigten nicht davon aus, dass sie ihre Tätigkeit bis zur Rente durchhalten können«, so Zerr.

Pascal Meiser ergänzte: »Das Problem ist vielmehr, dass insbesondere Frauen vielfach in der Teilzeitfalle sitzen[5], weil ausreichend Kinderbetreuungsplätze fehlen und es immer noch Branchen gibt, die gegen den Willen der Beschäftigten auf Minijobs und Teilzeitmodelle setzen.«

Dagegen lobte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, die Ministerin spreche »Klartext – und das ist gut so. Wer jetzt mit Empörung reagiert, verweigert sich der Realität«. Mit Agenturen

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190965.cdu-katherina-reiche-wirtschaftsministerin-aus-der-wirtschaft.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192542.budget-fuer-soziales-buergergeld-wird-zur-systemfrage.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190003.friedrichshain-kreuzberg-pascal-meiser-berliner-ueberraschungssieger-zurueck-im-bundestag.html
  4. https://www.dgb.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/breite-mehrheit-der-beschaeftigten-fuer-achtstundentag-und-klare-grenzen-fuer-arbeitszeiten/
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189925.arbeitszeit-von-steuervorteilen-profitieren-vor-allem-maenner.html