nd-aktuell.de / 29.07.2025 / Politik

Lehrermangel durch IT-Panne: Linke fordert Untersuchungsausschuss

Baden-Württemberg: Über zwei Milliarden Euro für Lehrkräfte wurden nicht investiert. Jetzt fehlen die Fachkräfte

Patrick Lempges
Am härtesten trifft es die Kleinen: In Baden-Württemberg sind 1440 Lehrerstellen unbesetzt
Am härtesten trifft es die Kleinen: In Baden-Württemberg sind 1440 Lehrerstellen unbesetzt

Wegen einer schweren IT-Panne sind 1 440 Lehrer*innenstellen in Baden-Württemberg fälschlicherweise als belegt verbucht worden. Grund sei ein Softwarefehler, der bis auf das Jahr 2005 zurückgehe, wie das Kultusministerium jüngst einräumte. Dieser Fehler sei über all die Jahre unbemerkt geblieben. Das Kultusministerium nimmt derzeit an, dass die Zahl der nicht besetzten Stellen jährlich um 80 bis 100 pro Jahr angewachsen ist.

1 440 Lehrkräfte kosten jährlich 110 bis 120 Millionen Euro, doch die Mittel seien schlicht nicht abgeflossen. Das sei bei einem milliardenschweren Haushalt nicht aufgefallen. Das Kultusministerium und das Finanzministerium haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die vom Rechnungshof begleitet wird, um die Ursachen dieses Fehlers zu identifizieren und aufzuarbeiten. Die freien Stellen sollen nun zügig besetzt werden.

»Das kann nur passieren, wenn man keine Opposition hat.«

Jan van Aken Linke-Chef

Die Linke fordert angesichts der Pannen Aufklärung. Der Bundesvorsitzende der Partei, Jan van Aken[1], sagte am Dienstag in Stuttgart: »Das kann nur passieren, wenn man keine Opposition hat, die nachfragt. Ich glaube nicht, dass das niemandem aufgefallen ist.« Die Linke werde einen unabhängigen Untersuchungsausschuss beantragen, kündigte er an. »Denn das, was passiert ist, ist Betrug an unseren Kindern und den anderen Lehrer*innen, die deshalb Überstunden machen mussten.«

Ellena Schumacher Koelsch, Mitglied des Landesvorstands der baden-württembergischen Linken, erzählte von einem Treffen mit Referendar*innen, die nun vor dem Nichts stehen: »Die beiden haben ihr Referendariat beendet und sollen sich jetzt arbeitssuchend melden. Es gibt eine Petition zu diesem Thema[2], aber keinen Kontakt zum Kultusministerium, kein Bemühen um diese jungen Menschen seitens der Regierung.«

Baden-Württemberg wechselt gegenwärtig erneut zum G9-Schulsystem, womit im Gymnasium das Abitur nach dem 13. Schuljahr erreicht wird. Dadurch fallen einige Referendar*innen durchs Raster. »Wie soll man das den jungen Menschen erzählen, wenn gleichzeitig 1440 Stellen offen gelassen wurden? Als Alternative wurde eine andere Referendarin – als Gymnasiallehrerin – angewiesen, an einer Grundschule zu arbeiten. Da meinte der dortige Direktor auch nur: ›Ich brauche Sie hier gar nicht!‹.«

»Irgendwo wird man die E-Mail, das eine Dokument finden.«

Jan van Aken Linke-Chef

Die Linke könne jetzt eine ihrer großen Stärken zeigen, meint van Aken: »Opposition können wir – das zeigen wir im Bundestag und den Landtagen. Wir drücken den Finger in die Wunde und decken Skandale auf.« Der Parteichef ist sich sicher: »Irgendwo wird man die E-Mail, das eine Dokument finden, wo das erste Mal auf diesen Fehler hingewiesen wurde.« Damit habe er in anderen Ausschüssen bereits Erfahrungen gemacht. »Ich gehe nicht so weit zu sagen, dass bewusst um diese Stellen betrogen wurde – wobei ich auch nichts ausschließe – aber ich kann mir gut vorstellen, dass man diesen Fehler lieber verschweigen wollte.«

Es habe die ganze Zeit Lehrermangel gegeben, Pensionäre seien aus der Pension zur Schule gebeten worden, um weiterzuarbeiten, so van Aken. »Fehler passieren, aber wenn man 20 Jahre lang nichts davon bemerkt, dann braucht man besseres Controlling – und genau das sind wir«, sagte der Politiker und rief zur Wahl seiner Partei bei den Landtagswahlen im März 2026 auf.

»Die Leute müssen sich dem überhaupt stellen.«

Ellena Schumacher Koelsch Parteivorstand die Linke Baden-Württemberg

Zur faireren Handhabung der Referendariats-Krise empfiehlt van Aken die Anwendung des sogenannten Sozialpunkteprinzips, mit dem je nach familiärer und sozialer Situation entschieden werden soll, wer bei der Vergabe der Jobs bevorzugt wird. Grundsätzlich findet van Aken, dass das Land die zwei Milliarden Euro, die in den letzten 20 Jahren nicht in Schulen und Lehrkräfte investiert wurden, »jetzt in die Hand nehmen« könne. »Das wäre eine Art Wiedergutmachung und die Schulen brauchen es.«

Mit Rücktrittsforderungen halten sich die beiden Linke-Politiker*innen zurück. Schumacher Koelsch erklärte: »›Alle zurücktreten‹ ist einfach gesagt, die Leute müssen sich dem überhaupt stellen.« Erst müsse herausgefunden werden, wer genau zur Verantwortung zu ziehen sei, so van Aken: »Wenn diese Landesregierung Größe hätte, würde sie einen Untersuchungsausschuss bestellen, der wirklich unabhängig ist und vollkommenen Zugriff auf alle Unterlagen hätte. Und genau das werden wir als Linke fordern, sobald wir im Landtag sind.« Mit Agenturen

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184717.linkspartei-jan-van-aken-jetzt-ist-einigkeit-angesagt.html
  2. https://www.change.org/p/offener-brief-zur-einstellungssituation-an-gymnasien-in-baden-württemberg