Bei der britischen Linken herrscht derzeit Aufbruchstimmung. Letzte Woche kam die Ankündigung, auf die viele seit Monaten gewartet hatten: Die Parlamentsabgeordneten Jeremy Corbyn und Zarah Sultana, beide ehemalige Labour-Mitglieder, werden eine neue Linkspartei gründen. Noch sind viele Fragen offen. Was genau die Parteistrukturen sein werden, wie Entscheidungen getroffen werden, was für langfristige Ziele sich die Partei steckt und wie sie überhaupt heißen wird – all das soll im Herbst an der Gründungskonferenz entschieden werden.
Klar ist hingegen, auf was für ideologischen Pfeilern die Partei – als Platzhalter hat das Gründungsteam den Namen »Your Party« gewählt – aufbauen wird. Die Probleme im Land seien einem ökonomischen System geschuldet, »das die Interessen der Konzerne und Milliardäre schützt«, heißt es im kurzen Statement auf der Parteiwebsite. Stattdessen müsse es eine »massive Neuverteilung von Reichtum und Macht« geben. Dazu brauche es zum Beispiel eine höhere Besteuerung von Reichen, eine Verstaatlichung von Energie-, Wasser- und Bahnsystemen, mehr Sozialwohnungen und eine härtere Gangart gegenüber den Ölkonzernen.
Laut Umfragen könnte die neue Linkspartei zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen gewinnen. Für Labour, die sich derzeit zwischen 20 und 25 Prozent bewegt, könnte dies zu einem größeren Problem werden.
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Dass Corbyn und Sultana mit einer solchen Partei offene Türen einrennen, steht außer Zweifel. Innerhalb von nur einer Woche haben sich mehr als 600 000 Interessierte für Your Party registriert; Umfragen haben ergeben, dass die Partei zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen gewinnen könnte. Für Keir Starmers Labour-Partei, die sich derzeit zwischen 20 und 25 Prozent bewegt, könnte dies zu einem größeren Problem werden.
Dabei hat sie sich das alles selbst zuzuschreiben. Dass es überhaupt eine neue Linkspartei gibt, ist der verbreiteten Desillusionierung mit der Labour-Regierung geschuldet. Mit ihrem Autoritarismus, ihrer beinharten Migrationspolitik und ihren Sparprogrammen beim Sozialetat hat sie Millionen von progressiven Briten in die politische Heimatlosigkeit getrieben.
Entscheidend sind auch die Ereignisse im Nahen Osten. Starmers Schulterschluss mit der israelischen Regierung nach dem 7. Oktober 2023 und seine betont minimalistische Kritik an Israels Krieg in Gaza hat ihn zunehmend von der gesellschaftlichen Basis entrückt. In London und anderen britischen Städten ziehen seit bald zwei Jahren regelmäßig hunderttausende Menschen durch die Straßen, um ihre Solidarität mit Palästina zu zeigen. Es ist eine der größten Protestbewegungen der jüngeren britischen Geschichte.
In den Parlamentswahlen 2024 hatte sich diese Basismobilisierung bereits in Wahlgewinne übersetzt: Fünf pro-palästinensische Abgeordnete, darunter Jeremy Corbyn, besiegten ihre Labour-Rivalen. Your Party räumt denn auch der Solidarität mit Palästina einen wichtigen Platz ein. Die Partei werde sich für »den einzigen Weg zum Frieden einsetzen: Ein freies und unabhängiges Palästina«, heißt es auf der Website.
Dass mit Jeremy Corbyn der bekannteste Linkspolitiker des Landes mit am Start ist, wird der neuen Partei zur nötigen Prominenz verhelfen. Aber dennoch wird es keine Neuauflage seiner Zeit als Labour-Chef (2015-2020) sein. Eines der größten Probleme damals war, dass Corbyn einer etablierten Partei vorstand, die teilweise gegen ihn arbeitete[1]. In den Jahren seit seinem Rücktritt haben viele Labour-Größen freimütig zugegeben, dass der Sturz Corbyns stets ihr Ziel war. Er und seine Anhänger versäumten es, die Labour-Linke gesellschaftlich so zu verankeren, dass sie derartige Angriffe hätte abwehren können. Das sei eine entscheidende Schwäche des Corbyn-Projekts gewesen, schreibt etwa der ehemalige Labour-Aktivist Michael Chessum[2].
Mit dem neuen Wahlvehikel ist es gerade umgekehrt: Es wird nicht ein linker Chef eine bestehende Partei übernehmen, sondern die neue Partei soll von unten her aufgebaut werden. Die Basisarbeit steht im Zentrum von Your Party – sie werde »verwurzelt sein in unseren Communities, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen«, wie die Gründer schreiben. Eine solche Graswurzel-Orientierung soll der neuen Partei die nötige Robustheit geben, um den einflussreichen Kräften des Establishments – in den Medien wie auch in Westminster – entgegentreten zu können.