nd-aktuell.de / 11.08.2025 / Kommentare

Empathie: Das erste Opfer des Krieges

Christoph Ruf fragt, warum Mitleid und Empathie so oft selektiv geäußert werden

Christoph Ruf
Menschen kämpfen um gespendete Lebensmittel in einer Gemeinschaftsküche im nördlichen Gazastreifen.
Menschen kämpfen um gespendete Lebensmittel in einer Gemeinschaftsküche im nördlichen Gazastreifen.

Nun hat Friedrich Merz also beschlossen, die Waffenexporte [1]nach Israel zu beenden. Wie trennscharf zu unterscheiden ist, in welcher Region gelieferte Waffen eingesetzt werden, lasse ich mal dahingestellt. Aber die Geste, die ist wichtig. Und ich hätte sie dieser Regierung nicht mehr zugetraut. Ich habe dennoch versucht zu verstehen, was die Merz-Kritiker[2] ins Feld führen.

Im Wesentlichen scheint mir die Argumentation zu sein, dass man ansonsten die Schuldfrage umkehre. Zudem wird von CSU bis »Bild« behauptet, dass der Krieg sofort beendet wäre, wenn die Hamas die Geiseln freiließe. Das allerdings ist verwunderlich, spätestens seit Netanjahu nun auch offiziell sagt, dass er den gesamten Gazastreifen besetzen[3] will. Ein zweites Argument konnte ich nicht finden, dafür stets den mehr oder minder offen ausgesprochenen Vorwurf, Merz sei Antisemiten auf den Leim gegangen.

Ich glaube, dass man so nur argumentieren kann, wenn man es geschafft hat, die Nachrichten und Bilder aus Gaza nicht an sich heranzulassen. Nicht den Hunger[4], nicht die Leichen, nicht die zerschossenen Gebäude, nicht die am Wochenende gezielt hingerichteten Journalisten[5]. Nicht die demütigenden, auf keiner rechtlichen Grundlage beruhenden Verbote wie das, das Meer zu betreten oder darin zu angeln.

Den ganzen Wahnsinn weiter mit deutschen Waffen zu unterstützen, wäre infam gewesen. Und es hätte eine innenpolitische Komponente befördert, über die merkwürdigerweise kaum einmal gesprochen wird: Nicht nur die palästinensische, sondern weite Teile der muslimischen Community generell empfinden das Pathos, mit dem der Westen und insbesondere das verfassungspatriotische Deutschland die Menschenrechte beschwört, längst als hohl und verlogen – zu Recht natürlich.

Das gleiche Land, das in Einbürgerungstests die Akzeptanz der Grundrechte abfragt, verbietet eine von zwei Demos, die als »propälastinensisch« ausgewiesen werden, manchmal aber schlicht ein Ende des Krieges fordern. An manchen Berliner Schulen wurde selbst das Tragen der Kufija, des Palästinensertuchs, verboten. Unterstützt von einem Senat, der in Sachen Nahost erstaunlich parteiisch und hoch ideologisch argumentiert, den realen muslimischen Fundamentalismus in Berlin aber geflissentlich ignoriert.

Und ja, natürlich gibt es mörderischen Antisemitismus in der Community[6], das zu bestreiten schafft wiederum nur das andere Lager. Antisemitismus kann man nirgendwo hinnehmen, in Deutschland schon gar nicht. Ganz sicher kann man ihn aber nicht dadurch bekämpfen, dass man ganze Ethnien unter Generalverdacht stellt und ihre demokratischen Rechte negiert.

Wer um die zivilen Opfer in Gaza trauert, wer wütend über das Laissez-faire des Westens ist, reagiert menschlich. Genauso menschlich wie diejenigen, die sich vorstellen, was die verbliebenen Geiseln erdulden müssen. Die angewidert sind von dem fanatisierten Mob, der jüdische Frauen unter allgemeinem Gejohle demütigt. Oder Menschen ihr eigenes Grab schaufeln lässt.

Muss Mitleid denn immer selektiv sein? Das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, heißt es. Da ist wiederum viel Wahres dran. Doch bevor gelogen wird, muss die Fähigkeit zur Empathie gestorben sein.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188454.ruestungsexporte-ruestungsexporte-frei-von-moral.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193005.gaza-krieg-offener-brief-an-merz-zu-wenig-und-zu-spaet.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193198.gaza-krieg-volle-kontrolle-ueber-gaza.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192959.kritik-an-der-versorgung-aus-der-luft-essen-mit-dem-fallschirm.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192977.medien-im-nahost-konflikt-journalisten-aus-gaza-sollen-rotieren-duerfen.html
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192760.israel-und-palaestina-koenig-preuss-mir-geht-das-schwarz-weiss-denken-auf-den-zeiger.html