»Ehrlich gesagt, mit allem Respekt, ich finde, ich bin sehr, sehr talentiert«, hat die Londoner Rapperin Simbi Ajikawo dem »London Evening Standard« schon 2021 gesagt, also in dem Jahr, in dem sie unter dem Namen Little Simz ihr Durchbruchsalbum »Sometimes I Might Be an Introvert« veröffentlichte. Und auf »Grey Area« rappte Ajikawo schon 2019: »I’m Jay-Z on a bad day, Shakespeare on my worst days«.
Ein paar Jahre, einen Mercury Prize und zwei gleichfalls großartige Alben später wäre für Bescheidenheit noch weniger Grund vorhanden. Auf »Sometimes« folgte »No Thank You«, das – ähnlich wie der Vorgänger – gleichermaßen im US-Hip-Hop wie in der Popgeschichte verortet ist, die der Musikhistoriker Simon Reynolds als »Hardcore Continuum« ausgearbeitet hat.
Dessen Kernelemente seien – bei allen Verschiebungen und Mischverhältnissen in den Bezügen (Drum ’n’ Bass, Hip-Hop, Jungle und so weiter): »Beat-science auf der Suche nach dem Schnittpunkt zwischen ›abgefuckt‹ und ›groovy‹« und »Bassdruck«.
Little Simz kommt aus dem Grime, jenem Anfang der Nullerjahre im Londoner Eastend von Wiley und Dizzee Rascal popularisierten Subgenre, das eine Dreckästhetik mit Dubstep-Rhythmik und tendenziell eher schnellen Raps verband. Als dieses Segment des Hardcore Continuum sich entwickelte, kam Ajikawo gerade in die Grundschule. Auf ihrem neuesten Album »Lotus« führt sie fort, was spätestens auf »Grey Area« begonnen hat: Die Rohheit von Grime und Eastend-Hip-Hop ist – wenn auch im Sound abgemildert – als Attitüde präsent und verbindet sich mit Soul, Orchestersamples und Chören, des Weiteren mit Postpunk-Gitarren und Lauryn-Hill-artiger Introspektion. Dabei entsteht so etwas wie ein warmer Sound innerhalb eines musikalischen Universums, das ansonsten mit urbaner Hektik und Stress-Evokation assoziiert ist.
»Lotus« wechselt wieder wie schwerelos zwischen den Registern: Im Opener erklärt Little Simz ihrem Ex-Produzenten Inflo, der ihr 1,7 Millionen Pfund schulden soll und mit dem inzwischen ein Rechtsstreit läuft, was für ein Arschloch er ist. Was in einem genretypisch Ich-bezogenen Hip-Hop-Stück ansonsten vielleicht anekdotisch wäre, wird bei Little Simz in »Thief« zu einem allgemeingültigen Stück über Betrug und Verrat, auch in anderen als geschäftlichen Beziehungen (»I’m tryna forgive myself, I don’t need to forgive you«). Dazu spröde, mies gelaunte Gitarren – und direkt hinterher ein Klang gewordener Ausnahmezustand (»Flood«).
»Lotus« schwingt zwischen sanft-orchestralem Ambient-Soul und Hip-Hop-Tracks hin und her und bedient sich bei allem – von Lauryn Hill bis The Streets – nicht, um es zu zitieren, sondern um es in etwas Eigenes zu verwandeln. In »Only« schwellen die Streicher immer wieder an und ab, darüber singt Little Simz ein Duett mit Lydia Kitto. In dem tiefenentspannt groovenden »Free« wie auch im direkt anschließenden »Peace« geht es ein weiteres Mal um Selbstvergebung und inneren Frieden – die beiden eigentlichen Themen des Albums. Im Verbund mit dem nigerianischen Sänger Obongjayar wird »Lion« zu einem treibenden Afrobeat-Reenactment. Und der Titeltrack ist ein fast pompöses Midtempo-Hip-Hop-Stück.
So viel Vielfalt bei gleichermaßen viel Konsistenz, Stilbewusstsein und eigener Handschrift ist bei eklektischer Musik ansonsten sehr selten.
Little Simz: »Lotus« (Sony Music/Membran)
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193234.little-simz-dreckaesthetik-mit-dubstep-rhythmik.html