nd-aktuell.de / 14.08.2025 / Politik

Experten: Große Versorgungsengpässe für ungewollt Schwangere

Elsa-Studie: Viele Frauen müssen hohe Hürden überwinden, um eine Schwangerschaft zu beenden

Jana Frielinghaus
Am 8. August demonstrierten im nordrhein-westfälischen Lippstadt 2000 Menschen für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, unter ihnen der Gynäkologe Joachim Volz. Er wehrte sich vor Gericht dagegen, dass ihm sein Arbeitgeber verbietet, Abtreibungen vorzunehmen.
Am 8. August demonstrierten im nordrhein-westfälischen Lippstadt 2000 Menschen für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, unter ihnen der Gynäkologe Joachim Volz. Er wehrte sich vor Gericht dagegen, dass ihm sein Arbeitgeber verbietet, Abtreibungen vorzunehmen.

Das Ergebnis der Elsa-Studie[1] überrascht nicht und deckt sich mit journalistischen Recherchen der letzten Jahre und Berichten von Beratungsnetzwerken wie Pro Familia[2]: Die medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren ist laut den jetzt vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Abschlussberichten zu dem Forschungsprojekt in etlichen deutschen Regionen lückenhaft. Viele müssen für den Eingriff weit reisen und bekommen zudem schwer einen Beratungstermin in dem Zeitraum, in dem ein Schwangerschaftsabbruch [3]straffrei möglich ist. Denn Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollen, müssen an einer Zwangsberatung teilnehmen und anschließend nochmals eine Wartefrist von drei Tagen einhalten, nach der der Eingriff straffrei vorgenommen werden darf.

Für das sogenannte Verbundprojekt »Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung«, kurz »Elsa«, wurden laut Gesundheitsministerium »wissenschaftliche Erkenntnisse zu maßgeblichen Einflussfaktoren auf das Erleben und die Verarbeitung einer ungewollten Schwangerschaft, die Versorgungssituation und die Bedarfe betroffener Frauen gesammelt«. Die Autoren waren zudem damit beauftragt, Vorschläge zur Verbesserung der aktuellen Lage zu unterbreiten.

Die Berichte lagen intern bereits seit dem vergangenen Herbst im Bundesgesundheitsministerium vor, der Projektzeitraum endete sogar schon im April 2024. Die neue Ressortchefin Nina Warken (CDU) veröffentlichte sie aber erst jetzt, mehr als drei Monate nach ihrem Amtsantritt.

Für die Untersuchung wurden 4589 Frauen mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren repräsentativ befragt. Auch offiziell verfügbare Daten wie die des Statistischen Bundesamts und aus früheren Erhebungen sind in die 1000 Seiten umfassende Studie eingeflossen. Danach ist die Verfügbarkeit von Angeboten zur Durchführung des Abbruchs vor allem in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern schlecht.

Ein Kernsatz im Kurzbericht zur Studie lautet: »Auf dem Weg zum Schwangerschaftsabbruch stießen vier von fünf Frauen und damit die Mehrheit auf mindestens eine Barriere, jede dritte Frau sogar auf drei und mehr Barrieren.«

Laut Studie lebten insgesamt 4,5 Millionen Menschen in Deutschland in Gebieten, die mehr als 40 Minuten mit dem Auto von der nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch entfernt sind. Das entspreche 5,4 Prozent der gesamten Bevölkerung, schreiben die Forscher. Von diesen 4,5 Millionen wohnten allein 2,5 Millionen in Bayern, was 19,2 Prozent der dortigen Bevölkerung entspreche. Für 85 von 400 Landkreisen stellten die Forschenden eine nicht ausreichende Erreichbarkeit von Einrichtungen fest. Unter diesen befänden sich 43 in Bayern sowie je acht in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

»Auf dem Weg zum Schwangerschaftsabbruch stießen vier von fünf Frauen und damit die Mehrheit auf mindestens eine Barriere, jede dritte Frau sogar auf drei und mehr Barrieren.«

Aus dem Kurzbericht zur Elsa-Studie

In einigen Regionen Deutschlands ist nach Einschätzung der Autoren, unter ihnen Wissenschaftlerinnen der Hochschule Fulda und der Uni Leipzig, »für einen Teil der Bevölkerung keine ausreichende Erreichbarkeit von Angeboten zum Schwangerschaftsabbruch gegeben«. 83,5 Prozent der Frauen, die eine Abtreibung hinter sich haben, gaben in der Befragung an, sie fühlten sich im Zusammenhang damit stigmatisiert.

Weiter zu wenig Informationen

Zur Tabuisierung des Themas und der teils schlechten Erreichbarkeit von Angeboten kommen ein Mangel an Informationen und die hohen Kosten als weitere Hürde. Nach wie vor ist es für Frauen schwer herauszufinden, welcher Arzt oder welche Ärztin den Eingriff vornimmt und wer welche Abtreibungsmethoden anbietet. Manche Hausarztpraxen bieten die medikamentöse Abtreibung an, die aber nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich ist.

Am Mangel an Informationen hat die Streichung des Paragrafen 219a[4] aus dem Strafgesetzbuch vor drei Jahren durch die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP nicht viel geändert, konstatieren die Autor*innen. Der Paragraf hatte »Werbung« für den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt. Selbsternannte Lebensschützer hatten Gynäkologinnen immer wieder wegen eines Verstoßes gegen dieses »Werbeverbot« angezeigt. Daraus resultierten Prozesse, in denen Medizinerinnen zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden, weil sie etwa auf ihrer Praxiswebseite darüber informiert hatten, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das war ein Grund, warum viele Ärzt*innen nicht öffentlich über ihre Leistungen informierten. Bis heute müssen sie fürchten, zum Ziel von Kampagnen militanter Abtreibungsgegner zu werden.

Hohe finanzielle Belastung

Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs werden in Deutschland in der Regel nur in Ausnahmefällen, etwa nach einer Vergewaltigung (»kriminologische Indikation«) oder bei sogenannter medizinischer Indikation von den Krankenkassen übernommen. Dann also, wenn er nach Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs legal ist. Die medizinische Indikation ist danach gegeben, wenn der Eingriff »nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann«.

Unter einer bestimmten Einkommensgrenze können die Kosten auf Antrag auch in »illegalen« Fällen erstattet werden. Laut Studie musste knapp die Hälfte der befragten Frauen, die einen Abbruch hinter sich hatten, dafür zahlen. Die Kosten variierten stark. Knapp jede zehnte Befragte zahlte bis zu 200 Euro, 53 Prozent mussten 201 bis 399 Euro aufbringen. Etwa ein Drittel gab Kosten von 400 bis 599 Euro an und knapp acht Prozent erklärten, mehr als 600 Euro gezahlt zu haben. Für viele stellten »finanzielle Barrieren nach wie vor ein erhebliches Hindernis« dar, schreiben die Forschenden.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen auszuweiten. Wie genau dies umgesetzt werden soll, ist noch unklar.

Forscher empfehlen Entkriminalisierung

Auch Sicht der Forschenden hängt die Stigmatisierung von Betroffenen und die unzureichende Versorgung mit Angeboten eng mit der aktuellen Gesetzeslage zusammen. Denn noch immer sei der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch im Abschnitt »Straftaten gegen das Leben« und damit neben Mord und Totschlag angesiedelt. Dies habe »direkte Auswirkungen auf den Zugang zur medizinischen Versorgung«, weil sie Sonderregelungen unterliege und rechtlich ungenügend abgesichert sei, heißt es. Die Regelungen des Paragrafen 218 brächten Ärzt*innen »in eine unsichere Lage«. Dessen Reform oder Abschaffung könne das Arbeitsumfeld für sie »entscheidend verbessern und den Zugang für Frauen erleichtern«.

Zum Ende der vergangenen Legislaturperiode hatte es eine Abgeordneteninitiative zur Abschaffung des Paragrafen gegeben. Allerdings hat es der entsprechende Gesetzentwurf nicht mehr durchs Parlament geschafft. Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung plant keine Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

Zur Debatte steht indes weiter, das zeigt der Fall des Gynäkologen Joachim Volz[5], der gegen seinen katholischen Arbeitgeber geklagt hatte, weil dieser ihm selbst in den Fällen, in denen dies legal ist, untersagt hatte, Abtreibungen vorzunehmen. Das Gericht wies die Klage ab, Volz will weiterkämpfen. Seine Position wurde von rund 2000 Menschen unterstützt, die am 8. August zu Verhandlungsbeginn vor dem Amtsgericht Lippstadt in Nordrhein-Westfalen auch für die generelle Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs demonstrierten.

Unter den Demonstrierenden war auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws, die sich seit vielen Jahren für die Legalisierung von Abtreibungen einsetzt und zu den Initiatorinnen des von 236 Abgeordneten von SPD, Grünen und Linkspartei eingebrachten Gesetzentwurfs gehörte, der eine vollständige Entkriminalisierung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche bei Beibehaltung der Beratungspflicht vorsah.

Schauws und ihre Fraktionskollegin Kirsten Kappert-Gonther erklärten am Donnerstag, die Studie zeichne ein »dramatisches Bild« und liefere zugleich »fundierte und sachliche Informationen über die verschlechterte Versorgungslage in Deutschland«. Für die Grünen-Politikerinnen ist klar, dass die Befunde der Wissenschaftler ein »klarer Handlungsauftrag für alle demokratischen Fraktionen« sind, eine Entkriminalisierung von Abtreibungen auf den Weg zu bringen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164921.schwangerschaftsabbruch-fehlende-daten-weniger-angebote.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189303.finanzierung-geld-fuer-schwangerschaftsberatung-in-berlin-wann-und-wie-viel.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193199.paragraf-kampagnenmacht-gegen-selbstbestimmung-von-frauen.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164816.schwangerschaftsabbruch-und-a-moege-die-wahlfreiheit-mit-dir-sein.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193200.schwangerschaftsabbrueche-chefarzt-klagt-gegen-klinik-arbeitsrecht-wider-die-moral.html