Berlin. Die Bundesregierung will zwar die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit vorantreiben, lehnt Wiedergutmachungszahlungen an Betroffene in ehemaligen deutschen Kolonien aber weiter ab. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen[1] hervor, über die zuerst der »Tagesspiegel« berichtet hatte.
Zwar wolle die schwarz-rote Koalition »das unter deutscher Kolonialherrschaft begangene Unrecht« in den betroffenen Ländern aufarbeiten, heißt es darin. Aber: »Der Begriff der Wiedergutmachung im Völkerrecht ergibt sich aus der Verletzung einer internationalen Verpflichtung.« Und die habe zur Zeit des begangenen Unrechts nicht existiert. »Das Konzept der Wiedergutmachung ist daher im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands nicht anwendbar«, fasst die Regierung zusammen.
Kritik daran kommt von der Grünen-Politikerin Claudia Roth, die die Anfrage gemeinsam mit ihren Parteifreundinnen Awet Tesfaiesus und Jamila Schäfer gestellt hatte. Das Erinnern an das von Deutschland begangene Unrecht sei die Voraussetzung für eine zukunftsfähige Partnerschaft mit den vom Kolonialismus betroffenen Ländern. »Dafür braucht es Empathie und keine formaljuristische Verweigerung«, sagte Roth der Deutschen Presse-Agentur.
Ähnlich äußerte sich Tesfaiesus im »Tagesspiegel«. »Es kann nicht unser Anspruch sein, uns hinter formaljuristischen Argumenten zu verstecken – gerade nicht in einer Republik, deren Grundgesetz die unantastbare Menschenwürde ins Zentrum ihrer Staatlichkeit stellt«, sagte sie.
Die Bundesregierung befasst sich in ihrer Antwort auch mit dem Angebot, 1,1 Milliarden Euro an Namibia zu zahlen. 2021 hatte sie sich nach jahrelangen Verhandlungen darauf verständigt, mit dieser Summe das Land in den nächsten 30 Jahren zu unterstützen. »Davon sollen 1,05 Milliarden Euro für ein Programm für Wiederaufbau und Entwicklung und 50 Millionen Euro für ein Programm für Versöhnung bereitgestellt werden«, heißt es jetzt. Bisher ist aber noch kein Geld geflossen. Die Gespräche über die Umsetzung der beiden Programme einschließlich des zeitlichen Rahmens seien nicht abgeschlossen, heißt es.
Weitere Gelder würden aber auch in Projekte zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit fließen. Zudem stehe die Bundesregierung mit einer Vielzahl von Ländern zur Frage der Rückgabe von Kulturgütern und menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten im Kontakt.
Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Die gewaltvolle Herrschaft führte zu Aufständen und Kriegen, im heutigen Namibia kam es zu einem Massenmord. Die Gräueltaten dort werden inzwischen offiziell als Völkermord bezeichnet.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es diesen juristischen Begriff noch nicht. Erst 1948 wurde Völkermord durch eine Konvention der UN-Generalversammlung zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend. Deswegen ergaben sich für Deutschland keine rechtlichen Konsequenzen. Die Bundesregierung hatte bereits in der Vergangenheit betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe. dpa/nd