nd-aktuell.de / 17.08.2025 / Berlin

Berlin vor Ende der S-Bahn-Vergabe: Neue Züge nicht vor 2031

Der Zuschlag für Betrieb und Fahrzeuglieferung steht unmittelbar bevor – und der nächste Rechtsstreit

Nicolas Šustr
Seit 2016 sucht Berlin nach einem neuen Lieferanten und Betreiber von S-Bahnzügen für die Stadtbahn. Nun steht selbst das aktuell avisierte Jahr 2031 auf Kipp.
Seit 2016 sucht Berlin nach einem neuen Lieferanten und Betreiber von S-Bahnzügen für die Stadtbahn. Nun steht selbst das aktuell avisierte Jahr 2031 auf Kipp.

Sehr bald wird klar sein, wer künftig zwei Drittel des Berliner S-Bahn[1]-Netzes betreiben soll und wer die neuen Fahrzeuge dafür liefern und unterhalten wird. Bis spätestens 1. September müssen die Länder Berlin und Brandenburg die Bewerber informiert haben, wer in dem bereits viele Jahre laufenden Vergabeverfahren[2] erfolgreich war. Denn nur noch bis 11. September sind die Unternehmen, die sich dafür beworben haben, an ihre Angebote gebunden.

Die zehn Tage, die zwischen den beiden Daten liegen, sind die sogenannte Stillhaltefrist. In dieser Zeit dürfen noch keine Verträge geschlossen werden, damit unterlegene Bieter die Möglichkeit haben, die juristische Nachprüfung der Entscheidung zu beantragen.

Es ist auch kein großes Geheimnis, dass der künftige Betreiber der Nord-Süd-Linien durch den Innenstadttunnel und der Ost-West-Linien über die Stadtbahn der bisherige sein soll: Die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH. Auch der Lieferant der bis zu 1400 Wagen für die zehn Linien dürfte wieder das Konsortium der Bahntechnikunternehmen Siemens und Stadler Rail sein; sie hatten bereits die Züge für die Ringbahnlinien geliefert.

»Wir werden diese Frist nicht reißen, das kann ich versichern«, sagt Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) zu »nd«. »Und natürlich haben wir die Hinweise der Vergabekammer berücksichtigt«, so Bonde weiter. Neben den juristischen Schwierigkeiten, die das überkomplexe Verfahren schon lange begleiten, haben sich in letzter Zeit die Haushaltsprobleme beider beteiligter Bundesländer als neue Bedrohung für die Auftragsvergabe herauskristallisiert.

Es ist auch relativ klar, dass es nur einen unterlegenen Bieter geben wird. Nämlich den französischen Bahntechnikkonzern Alstom, der dem Vernehmen nach ebenfalls ein Angebot gemacht hat, allerdings nur für die Lieferung der Fahrzeuge. Und jeder, mit dem man im Umfeld von Alstom spricht, kündigt an, dass der Konzern in dem Verfahren das machen wird, was er bisher immer gemacht hat: den Rechtsweg beschreiten.

Zunächst dürfte also Beschwerde bei der Vergabekammer eingelegt werden. Dieses der Senatswirtschaftsverwaltung unterstellte Organ ist die erste Instanz für die Überprüfung von Vergabeentscheidungen der öffentlichen Hand in Berlin. Wenn Alstom das nach einigen bis vielen Monaten vorliegende Ergebnis der Beschwerde bei der Vergabekammer nicht gefällt, kann der Konzern auch noch vor das Berliner Kammergericht ziehen.

»Vielleicht verzögert das den Prozess um ein weiteres halbes Jahr, vielleicht aber auch um zwei Jahre, erfuhr ich von Experten«, sagt Robert Seifert zu »nd«. Er ist Vizechef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG.

Man rechne 2023 mit den ersten einsatzfähigen Zügen, hatte es 2016 zu Beginn der Ausschreibung in einer der üblichen Vorabinformationen geheißen. Mittlerweile wird das Jahr 2031 in Aussicht gestellt. Ein eh schon sportliches Zeitfenster, um die Züge zu entwickeln, zu bauen und abnehmen zu lassen. Nimmt man die fast schon sichere Verzögerung durch den sich fortsetzenden Rechtsweg von Alstom dazu, ist der Plan schier unrealistisch.

»Wenn die neuen Fahrzeuge wirklich erst nach Abschluss des juristischen Verfahrens in Auftrag gegeben werden können, wird es wirklich eng mit der Lebensdauer von Teilen der Bestandsflotte. Dann könnte es passieren, dass weniger Fahrten angeboten werden können als geplant«, so Seifert weiter. Statt der lange versprochenen Verbesserungen beim S-Bahn-Angebot könnte es also ab Anfang der 2030er Jahre erst mal Ausdünnungen geben.

»Und das alles durch das langwierige und komplexe Verfahren, welches politisch so organisiert wurde und durch uns von Beginn an kritisiert wird«, sagt Gewerkschafter Seifert.

Die Verträge für die Teilnetze bestehen je aus drei Komponenten: dem Kauf der neuen S-Bahn-Wagen durch das Land Berlin zu derzeit geschätzten Kosten von 5,6 Milliarden Euro, der Instandhaltung dieser Flotte für 30 Jahre sowie dem Betrieb der Züge für 15 Jahre – länger laufende Verträge für die Verkehrsleistung sind nicht zulässig.

Über zwei Dutzend Male sind Termine für einzelne Etappen der Ausschreibung seit deren Start im Mai 2016 verschoben worden. Allein der Termin für die nun erfolgte Abgabe der verbindlichen Angebote wurde siebenmal nach hinten korrigiert.

Tatsächlich galt das Verfahren ob seiner Komplexität schon bei seiner Konzeption unter Rot-Rot-Grün[3] als schwer juristisch beherrschbar. Denn die Vorstellungen der Grünen auf der einen Seite sowie SPD und Linke auf der anderen Seite waren nur schwer unter einen Hut zu bringen.

Die Grünen hofften auf möglichst viel Wettbewerb und Konkurrenz für die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH. SPD und Linke wollten einen einheitlichen Betreiber für das S-Bahn-Netz, wofür bei den Themen Betriebsabwicklung und somit auch Stabilität einiges spricht. Nicht zuletzt ging es den roten Parteien auch um Sicherheit für die derzeit bei der S-Bahn beschäftigten Menschen.

Der schließlich gefundene politische Kompromiss machte die für ein rechtssicheres Verfahren nötige Vergleichbarkeit der Angebote zumindest sehr schwierig. Der französische Bahntechnikkonzern Alstom fühlte sich auch prompt benachteiligt, strengte zunächst ein Verfahren bei der Vergabekammer des Landes Berlin an und schließlich auch vor dem Kammergericht Berlin.

»Es ist abenteuerlich, wie lange das Vergabeverfahren schon läuft und wie viele Senatorinnen dabei schon verschlissen wurden.«

Robert Seifert Gewerkschaft EVG

Vor wenigen Tagen zeigte sich Werner Graf, der Berliner Grünen-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2026, in dem Punkt durchaus selbstkritisch. »Es stimmt, da gab es Probleme in der Koalition und wir haben uns damals verhakt. Ich hoffe, dass wir das in Zukunft besser hinbekommen. Ausschreibungen gehen einfacher, auch für die S-Bahn«, sagte er der »Berliner Morgenpost« im Interview.

»Es ist abenteuerlich, wie lange das Vergabeverfahren schon läuft und wie viele Senatorinnen dabei schon verschlissen wurden. Das zerrt natürlich auch an den Nerven der Beschäftigten«, sagt Robert Seifert von der EVG.

Dass Alstom mit seinem Fahrzeugangebot unterliegen dürfte, liegt vor allem daran, dass in dem seit bald einem Jahrzehnt laufenden Verfahren der Betreiber als Partner abhanden kam. Selbst wenn es aus Konzernkreisen heißt, dass man 20 Prozent günstiger liefern würde als die Konkurrenz. Wie realistisch das ohne enge Abstimmung mit einem Betreiber ist, bleibt offen.

Zu Beginn gab es zahlreiche Interessenten sowohl für Fahrzeuglieferung als auch den Betrieb. Allerdings ist seitdem viel passiert. Zinsen stiegen, Lieferanten tun sich immer schwerer, Fahrzeuge pünktlich geliefert und zugelassen zu bekommen, es gibt großen Personalmangel in allen Bereichen, insbesondere bei Lokführern. Das marode Bahnnetz provoziert viele Ausfälle, Verspätungen oder führt dazu, dass teurer Schienenersatzverkehr gefahren werden muss.

Mehrere Eisenbahn-Verkehrsunternehmen gingen pleite oder gaben ihre Aufträge zurück, bei anderen Ausschreibungen gibt es nur einen Bieter – oder gar keinen.

Immerhin ist die schwarz-rote Koalition mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an der Spitze bemüht, das leidige Thema S-Bahn-Vergabe vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl endlich abgeschlossen zu haben. Bei aller Unabhängigkeit von Vergabekammer und Justiz könnte das immerhin dazu führen, dass die Verfahren zügiger als bisher abgeschlossen werden.

Zumindest ernsthafte Personalprobleme gibt es bei der S-Bahn Berlin bisher nicht. »Trotz aller Unsicherheiten haben wir eine sehr treue Belegschaft«, sagt Robert Seifert von der EVG. Aus dem Werkstattbereich seien nach Eröffnung des Tesla-Autowerks ein paar abgewandert. »Die meisten waren allerdings relativ schnell wieder zurück.« Es gebe auch viele junge Leute, die nachkommen und die altersbedingten Abgänge ausgleichen.

»Die S-Bahn Berlin GmbH ist eines der wenigen Verkehrsunternehmen in Deutschland, das einen ausgeglichenen Personalbestand hat«, sagt Seifert. »Weil die Inbetriebnahme der S15 zum Hauptbahnhof sich immer wieder verzögert hat, haben wir sogar ein paar Lokführer zu viel, die beispielsweise zur Unterstützung bei DB Regio nach Frankfurt am Main auf freiwilliger Basis verliehen worden sind«, berichtet er.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193333.s-bahn-berlin-berlin-dauerstoerung-auf-der-stadtbahn.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186409.oepnv-berliner-s-bahn-betriebsqualitaet-ist-weiterhin-unbefriedigend.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125889.s-bahn-berlin-drohendes-zustaendigkeitschaos-bei-der-s-bahn.html