nd-aktuell.de / 18.08.2025 / Politik

Ausbruch aus dem Kriegsregime: Ihr kriegt uns nicht!

Wir schlagen vor, zu desertieren – ein Debattenbeitrag der Interventionistischen Linken Frankfurt am Main

Werbung für die Bundeswehr – wie hier in Berlin-Kreuzberg – wird im öffentlichen Raum immer sichtbarer.
Werbung für die Bundeswehr – wie hier in Berlin-Kreuzberg – wird im öffentlichen Raum immer sichtbarer.

Als Israel am 13. Juni 2025 den Iran angriff, trafen israelische Bomben das Evin-Gefängnis in Teheran[1] und töteten vermutlich über 70 Gefangene des iranischen Regimes. Unmittelbar nach den israelischen Angriffen ging das iranische Regime mit einer Repressionswelle gegen Kritiker*innen vor. Was auch immer uns also diejenigen erzählen, die von Kriegen profitieren und ihre Machtbereiche ausweiten wollen: Kriege werden nie im Sinne von Menschenrechten oder Befreiung geführt. Im Gegenteil: Krieg ist immer auch ein Krieg gegen die sozialen Kämpfe, die Bewegungen von unten.

Ob in den Eskalationen der Kriege und der Gewalt im Iran, in Gaza[2], in der Ukraine oder in Syrien: die internationale Ordnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bricht gerade zusammen und niemand scheint eine Idee für ihre Stabilisierung zu haben, selbst die Herrschenden nicht. Sie setzen ihre Interessen mit Gewalt durch – zunehmend ohne rhetorische Verschleierung, wie sie noch um die Jahrtausendwende üblich war.

Länder wie Iran, wie Palästina und die Ukraine [3]werden zu Schlachtfeldern, auf denen der Kampf um ökonomische Interessen und um die internationale Ordnung geführt wird. Aber auch in Ländern, die nicht akut vom Krieg betroffen sind, schreibt sich dessen Logik fort: in Prozessen einer gesamtgesellschaftlichen Militarisierung. In Deutschland wird seit der »Zeitenwende« die Begrenzung der Rüstungsausgaben aufgehoben, die Debatte um die Wehrpflicht[4] angeheizt, auf Wahlplakaten werden Sicherheit und Aufrüstung versprochen, Unternehmen wie VW setzen wieder vermehrt auf Kriegsgerät, die Aktien von Rheinmetall & Co. boomen. Und der Diskurs wird autoritärer: Von Individuen wird »Kriegstüchtigkeit« verlangt, jeglicher Widerspruch als »naiv« diffamiert, Veranstaltungen werden abgesagt, Demos und Sprechchöre als antisemitisch gebrandmarkt und verboten. Der Debattenkorridor verengt sich und Zwischentöne sind kaum mehr hörbar. So oder so ähnlich wird auch anderswo für Ordnung und Disziplin an der Heimatfront gesorgt.

Wir stellen daher eine Hypothese auf über die Entfaltung eines Kriegsregimes. Damit meinen wir keine spezifische Form der Regierung in Form einer Militärjunta in einzelnen Nationalstaaten. Sondern wir meinen einen neuen Modus der Herrschaft und der nationalen und globalen Krisenbearbeitung durch das gemeinsame Agieren staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Dieser Modus zentriert sich um das Recht des Stärkeren. Die Kriege dienen zum einen der Sicherung von knapper werdenden Ressourcen und der Neuordnung globaler Handelsrouten, Lieferketten und neokolonialer Machtverhältnisse. Zum anderen bedeutet Krieg stets Homogenisierung und Disziplin im Inneren, das Niedermähen sozialer Widersprüche und Kämpfe unter dem Banner nationaler Einheit.

Auch hierzulande soll eine Volkswirtschaft, eine Gesellschaft kriegstüchtig gemacht werden – materiell und diskursiv. Der sozialpsychologische Treiber ist die geschürte Angst vor dem Bösen, das hinter den Mauern lauert, die unsere Zivilisation trennen von einer barbarischen Welt. Der russische Autoritarismus, der islamistische Fundamentalismus der Hamas dienen als das Symbol des Übels, demgegenüber die eigene gesellschaftliche Ordnung als Inbegriff der Menschlichkeit, der Freiheit und des Fortschritts erscheinen soll.

In Anbetracht ihrer notwendigen Verteidigung sollen wir uns einreihen und glauben, die zahllosen Krisenherde, die Ungleichheiten und die Klimakatastrophe, die ihren Ursprung in der kapitalistischen Produktionsweise finden, seien zweitrangig geworden. Den Gürtel enger schnallen, die Abschaffung des Acht-Stunden-Tages[5] hinnehmen, die Inflation schlucken und dulden, dass Milliarden in Rüstung statt in das Bildungs- und Gesundheitssystem investiert werden – all das soll nötig sein, wenn »der Russe« bald wieder vor der Tür steht und wir gegen ihn zusammenhalten müssen. Indem die äußere Bedrohung permanent beschworen wird, wird jeder Einwand gegen steigende Rüstungshaushalte, sinkende Löhne oder ausgedünnte Sozialleistungen als naiv, illoyal oder gefährlich gebrandmarkt. Realpolitische Alternativen – Abrüstung und die Suche nach diplomatischen Lösungen – verschwinden so nach und nach aus dem öffentlichen Diskurs.

Die Rhetorik der Alternativlosigkeit zementiert nicht nur das Kriegsregime selbst, sondern auch den neoliberalen Kern seiner Politik. Austerität und Militarisierung werden zur einzigen denkbaren Strategie für Sicherheit und Fortschritt erhoben. Durch eine negative Rüstungskonversion sollen deutsche Arbeitsplätze und Profite gesichert werden, wenn in Zukunft statt Zugwaggons wieder Panzer die Fabrikhallen verlassen. Um der Rezession also zu entkommen, wird gezielt auf den militärischen Wirtschaftszweig gesetzt. Einmal mehr profitiert die deutsche Wirtschaft vom Sterben und Töten.

Die Rhetorik des Krieges kennt nur eine binäre und rassistisch kodierte Freund-Feind-Logik, die im Gegenüber und im Außen nur die Bedrohung und das absolut Andere gegenüber der eigenen Position sieht, mit dem Verhandlung oder Kompromiss nicht mehr zu machen ist. Die rassistische Entmenschlichung des Gegners war immer Grundvoraussetzung dafür, Kriege oder sogar einen Völkermord wie in Gaza durchzuführen und zu legitimieren. Der Feind steht dabei nicht nur im Außen, sondern ist längst in der eigenen Gesellschaft angekommen. Betrachtet man zum Beispiel die Forderung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) nach effektiveren Waffen für die Bundespolizei, die hochgerüsteten Außengrenzen und paramilitärische Akteure wie Frontex, so zeigt sich erneut, dass die »Anderen« mit militärischen Mitteln ferngehalten, prekarisiert und ihre Rechte weiter ausgehöhlt werden sollen.

Zugleich sind migrantisierte Personen immer das »Testfeld« für autoritäre Praktiken, die im nächsten Schritt verallgemeinert werden sollen. Besonders deutlich zeigte sich dies im Herbst 2023, als sich die Repressionen und Eingriffe der Ampel-Regierung gegen die palästinasolidarische Bewegung richteten, die sich mit Debatten um importierten Antisemitismus und einer rassistischen Stimmungsmache für Abschiebungen »im großen Stil« verbanden. Daraus resultierten massive Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie des Zugangs zur Staatsangehörigkeit.

Die militärische Logik des Denkens in Lagern, die keine Zwischentöne zulässt und den Feind als das absolut Böse präsentiert und damit den Korridor des Sagbaren verengt, das Verbot von Demonstrationen, die Aufrüstung von Polizeikräften und das Entziehen von Mitteln für kritische, soziale und/oder linke Projekte – das alles sind die Embleme eines zusehends autoritär agierenden Staates. In Deutschland zeigt sich das insbesondere am Ausbau von Bundeswehr und Polizei, die im Zuge der Debatten um die »Wehrhaftigkeit« der Demokratie nicht nur symbolisch, sondern auch materiell massiv aufgerüstet werden. Und das trotz zahlreicher, durch antifaschistische Recherchen ans Licht gebrachter rechter bis rechtsextremer Netzwerke in genau diesen Institutionen. Mit Blick auf die nächste Wahl hat eine gesichert rechtsextreme Partei die Möglichkeit, die Macht in einem bis dahin vermutlich massiv hochgerüsteten Staat zu übernehmen.

Wer die Grundbedingungen imperialer Konkurrenz im Kapitalismus nicht abschafft, wird auch in Zukunft nicht darum herumkommen, Kriege zu führen. Weder die erpresserische »Friedens«-Politik Trumps noch die Expansion des europäischen Grenzregimes, das Migrationsbewegungen militärisch und sicherheitspolitisch bekämpft, deuten darauf hin, dass die faschistische Internationale tatsächlich ein Projekt des Friedens ist, mögen Auslandseinsätze in ihrer Anhängerschaft noch so unpopulär sein.

Was auch immer uns diejenigen erzählen, die von Kriegen profitieren und ihre Machtbereiche ausweiten wollen: Kriege werden nie im Sinne von Menschenrechten oder Befreiung geführt.

Im Angesicht des eskalierenden planetaren Chaos werden politische Vormachtstellungen und der Zugriff auf zunehmend knappere Ressourcen und die imperiale Lebensweise immer häufiger mit militärischen Mitteln gesichert. Es ist zu befürchten, dass sich dieser Trend durch eine Art »überdimensionales Prepping« (Naomi Klein) zuspitzt. Das betrifft auch die Absicherung der Rohstoffe für »grüne« Technologien: Die übrigen Projekte des »green capitalism« verbinden sich mit einem militarisierten Neoliberalismus, denn auch ein auf »grüne« Technologie umgestellter Kapitalismus benötigt Zugriff auf Ressourcen und ist auf neokoloniale Ausbeutung angewiesen.

Wir sehen bereits jetzt, wie autoritäre, faschistische und kriegstreibende Herrschende unterschiedlicher Schattierungen demokratische Grundrechte untergraben, kritische Zivilgesellschaften attackieren und Gewalt als Mittel politischer Durchsetzung feiern – sei es als Aufstandsbekämpfung oder als Abschiebephantasie. Unser Antifaschismus muss also antimilitaristisch werden und unser Antimilitarismus antifaschistisch.

Das Kriegsregime ist ein massiver Angriff auf liberale Grundrechte wie Versammlungs-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, auf die kritische Zivilgesellschaft, auf die Rechte von Lohnarbeitenden und auf den Sozialstaat. Es ist also auch ein Krieg von oben nach unten, ein Angriff auf schon Erkämpftes, ein Angriff auf alle Formen widerständigen Verhaltens.

Wir schlagen deshalb vor, zu desertieren. Nicht nur in dem engen Sinne der Verweigerung des Kriegsdienstes. Desertieren verstehen wir als Praxis des Sich-Entziehens, der kollektiven Verweigerung der Einbindung ins Kriegsregime. In der Praxis würde das bedeuten, sich in all jene Kämpfe zu involvieren, in denen die Ausbreitung des autoritären Kriegsregimes verhandelt wird: in Kämpfe gegen die deutsche Unterstützung des Genozids in Gaza, in Kämpfe gegen Repression, in Kämpfe gegen Gewalt an Queers, an Migrant*innen und an FLINTA*, in Kämpfe gegen Sozialkürzungen und Sparpolitik, gegen Aufrüstung, Waffenlieferungen, Wehrpflicht und militaristische Zurichtung, in Kämpfe gegen fortgesetzte Ressourcenausbeutung, gegen militarisierte Außengrenzen und Abschiebungen, gegen den hochgerüsteten Polizeiapparat.

Unsere Aufgabe als radikale Linke ist es, diese Kämpfe zu antimilitaristischen Kämpfen gegen das Kriegsregime zu machen, sie aus ihrer Isolation zu holen und miteinander zu verbinden. Es ist unsere Aufgabe, Momente der Verweigerung, der Desertion aus dem Kriegsregime zu verbreitern und zu kollektivieren. Weil die Logik des Krieges eine neue Logik der Macht schafft, die in der Militarisierung der ganzen Gesellschaft ihre Legitimationsgrundlage und ihr Ziel hat.

Und – last, but not least – gilt es, all diese Kämpfe gegen das Kriegsregime als transnationale Kämpfe zu führen. Wir brauchen eine transnationale Bewegung, die sich nicht einordnet in die starren Reihen der Disziplin und in die abgegrenzten Fronten der Lagerbildung. Denn die Grenze verläuft nicht zwischen Nationen und Fronten, sondern zwischen uns, die wir in den Kriegen sterben, und denen, die daran profitieren. Zwischen unten und oben. Zwischen den Gefangenen des Evin-Gefängnisses im Iran und überall auf der Welt und den Mächtigen, die sie einsperren und Bomben auf sie werfen. Zwischen denen, die für das Leben kämpfen und denen, die Todesmaschinen bauen. Wir können und wollen uns für keine Seite in diesen Kriegen entscheiden, denn es sind Kriege gegen uns.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192365.angebliche-spionage-fuer-israel-iran-repressionswelle-nach-beschuss-des-evin-gefaengnisses.html?sstr=Evin
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193375.nahost-konflikt-gaza-krieg-ein-historischer-wendepunkt.html?sstr=Gaza
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193351.ukraine-krieg-schoene-bilder-fuer-putin-mit-trump-n-aber-keine-waffenruhe.html?sstr=Ukraine
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192460.gesetzentwurf-zum-wehrdienst-verteidigungsminister-pistorius-bereitet-wehrpflicht-vor.html?sstr=Wehrpflicht
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193048.arbeitszeitgesetz-gewerkschaftschef-gegen-reform-der-arbeitszeit.html?sstr=Acht-Stunden-Tag