nd-aktuell.de / 19.08.2025 / Berlin

Marzahn-Hellersdorf: Verfall statt Versorgung durch Ärzte

In Marzahn-Hellersdorf fehlen Ärzte. Das Haus der Gesundheit könnte Flächen bieten, steht aber seit 2014 leer

David Rojas Kienzle
Haus der Gesundheit in Hellersdorf – nicht nur der Schriftzug ist kaputt.
Haus der Gesundheit in Hellersdorf – nicht nur der Schriftzug ist kaputt.

»Das war mal, wie man sich eine Poliklinik vorstellt«, sagt Kristian Ronneburg. Der Linke-Abgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf steht vor dem »Haus der Gesundheit« in Hellersorf, einen Steinwurf von der U-Bahn-Haltestelle Kienberg entfernt. »Der Name war Programm. Verschiedene Fachärzt*innen hatten hier ihre Praxen, es gab Physiotherapie und sogar ein Sanitätshaus.« Dass in dem Gebäude mit drei Obergeschossen mal Patient*innen empfangen wurden, lässt sich nur erahnen. Fast alle Fenster im Erdgeschoss sind mit Sperrholz verrammelt, in den oberen Geschossen sind Löcher in den Scheiben, der Grünstreifen um das Gebäude ist überwuchert. Über dem ehemaligen Eingang ist noch der Name des Gebäudes zu lesen. Aber einer der aus Metall gefertigten Buchstaben fehlt. »Haus der esundheit« steht nun dort.

Geschlossen wurde das Haus 2014. »Im Rahmen von gutachterlichen Prüfungen wurden bereits 2014 erhebliche Brandschutzmängel[1] festgestellt, die zur Schließung des Hauses führten«, teilt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf auf Anfrage mit. Seitdem wurde immer wieder über die Zukunft des Gebäudes diskutiert. »Zwischenzeitlich war es unter Rot-Rot-Grün auch als Standort für ein Amtsgericht im Gespräch«, berichtet Ronneburg. Aber die Idee sei unter Schwarz-Rot wieder gecancelt worden. »Kein Geld, keine Sympathie aus der Richterschaft.«

Der Linke-Politiker fände eine Nutzung als Gesundheitshaus ohnehin wesentlich besser. Denn im Bezirk herrscht großer Ärztemangel[2]. Die Versorgung mit Hausärzten liegt bei 82 Prozent, die mit Gynäkolog*innen bei 83, die von Dermatolog*innen sogar bei nur 72. Die Situation verschlechtert sich. Zwischen 2020 und 2024 ist die Zahl der Einwohner*innen im Bezirk um fast 22 000 gewachsen. Die Zahl der Hausärzte ist fast gleich geblieben.

Die Ursachen für diese Unterversorgung? »Die Innenstadtbezirke sind geografisch im Vorteil«, so Gesundheitsstadtrat Gordon Lemm (SPD) auf Anfrage. Regionen mit höherem Anteil an Privatpatient*innen[3] seien zusätzlich attraktiv. Dazu kommt der grundsätzliche Fachkräftemangel. Einen kleinen Grund für Optimismus sieht Lemm trotzdem: »Positiv könnte sich über kurz oder lang der Mietmarkt für uns auswirken, da sich viele Praxen in der Innenstadt bald nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen werden.«

Dem Ärztemangel beizukommen, ist für den Bezirk schwierig. »Über die Niederlassung entscheiden die Ärzt*innen eigenständig«, so Lemm. Anders als bei Schulen oder der Kitaversorgung habe man schlicht keine Handhabe. Wegen der angespannten Situation wurde 2023 eine Praxis für Allgemeinmedizin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eröffnet, so der Stadtrat. »Das sind vier Ärzt*innen, die nicht niedergelassen, sondern angestellt für die KV-Praxis arbeiten.« Für einen zweiten Standort im Bezirk sei man im Gespräch mit der KV. Um Ärzt*innen zur Niederlassung im Bezirk zu bewegen, hat der Bezirk eine »Praxisraumbörse« geschaffen. Ärzt*innen, die sich im Bezirk niederlassen möchten, können gezielt nach geeigneten Praxisräumen suchen. Vermieter*innen können Flächen für medizinische Nutzung anbieten.

»Klar, man kann sich die Ärzte nicht backen«, sagt Linke-Politiker Ronneburg. Aber man könne zumindest dafür sorgen, kommunale Liegenschaften mit akzeptablen Mieten zur Verfügung zu stellen. Und da kommt wieder das Haus der Gesundheit ins Spiel. Auch der Bezirk befürwortet eine Nutzung für Arztpraxen und gesundheitsnahen Dienstleistungen. »Der Standort wird aufgrund seiner guten infrastrukturellen Anbindung und der zentralen Lage als ideal für die Schaffung eines Gesundheitsstandortes angesehen«, so das Bezirksamt.

Zwischen 2020 und 2024 ist die Zahl der Einwohner*innen im Bezirk um fast 22 000 gewachsen. Die Zahl der Hausärzte ist fast gleich geblieben.

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Die Wiederinbetriebnahme scheitert, wie so vieles, am Geld. Eine letzte Kostenschätzung aus 2018 für eine umfassende Sanierung belaufe sich auf 26,5 Millionen Euro, teilt das Bezirksamt mit. »Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen müssen wir aktuell von über 30 Millionen Euro ausgehen.« Da der Bezirk diese Summe nicht aus dem eigenen Haushalt aufbringen könne, sei eine Sanierung in Eigenregie nicht realisierbar. Auch Versuche, an Fördermittel zu gelangen, waren nicht von Erfolg gekrönt.

Ein Lösungsweg, der auch verfolgt wird: private Investoren.[4] Man führe aktiv Verhandlungen, bei denen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten geprüft würden, so das Bezirksamt. Aber auch hier konnten keine Gespräche zu Ende geführt werden. »Dies muss sich für jeden Investor aber auch wirtschaftlich darstellen. Markterkundung, Baukosten und Finanzierung stellen dabei die üblichen Herausforderungen dar.« Das Gleiche gilt für eine angedachte Vergabe in Erbpacht.

»Das wäre quasi eine Privatisierung durch die Hintertür«, kritisiert Kristian Ronneburg. Er spricht sich vehement dafür aus, dass das Gebäude in kommunaler Hand bleibe. »Es gibt ja offensichtlich Bedarf für Flächen, nicht nur für Arztpraxen.« Er zeigt auf den direkt nebenan stehenden Flachbau. In dem Einkaufszentrum sind nicht nur ein Supermarkt und mehrere kleine Läden untergebracht, auch die KV-Praxis ist dort und das Gesundheitsamt hat dort Räume. »Es wäre doch wünschenswert, wenn sich der Bezirk nicht bei Privaten Räume mieten müsste, wenn hier landeseigene Liegenschaften leer stehen.«

»Der Zustand des Hauses wird ja mit Sicherheit nicht besser.« Hoffnung hat der Linke-Abgeordnete in das neue Bundes-Sondervermögen für Klimaschutz und Infrastruktur.[5] »Wenn die Innenverwaltung aus diesem Topf Polizei- und Feuerwachen sanieren will, dann muss das auch für die soziale Versorgung möglich sein.« Der Bezirk müsse das in Absprache mit dem Senat prüfen. »Ein kommunales Haus der Gesundheit wäre eine Lösung für Probleme, die der Markt offensichtlich nicht regeln kann.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172058.hausprojekt-mit-brandschutz-gegen-mieter.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180693.fachkraeftemangel-aerztemangel-im-berliner-osten-praxissuche-als-odyssee.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191433.gesundheitssystem-finanzlage-der-krankenkassen-die-verschleppte-krise.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191633.konferenz-superreturn-schoener-tag-fuer-finanzinvestoren.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189876.klimapolitik-grundgesetzaenderung-klimaneutralitaet-mit-verfassungsrang.html