Anfang August hat das Kabinett endlich den Entwurf eines Bundestariftreuegesetzes[1] verabschiedet. »Bärbel Bas will den Gewerkschaften helfen«, titelte die »Süddeutsche Zeitung«, betonte aber, dass das Gesetz keinen großen Unterschied machen würde. Der Bund selbst vergibt nur wenige Aufträge an Unternehmen – viel aktiver sind hier Länder und Kommunen, von denen etliche bereits Tariftreuegesetze haben. Zudem würde von Firmen nur die Einhaltung von Tarifvorgaben für die Dauer der Auftragsabwicklung verlangt – nicht etwa eine nachhaltige Tarifbindung. Und schon im Koalitionsvertrag wird klargestellt, dass Papier (auch hier) geduldig sein soll: »Bürokratie, Nachweispflichten, Kontrollen werden wir auf ein absolutes Minimum beschränken«, heißt es dort. Stell Dir vor, es gilt Tarif und niemand prüft es nach.
Doch mag das Bundestariftreuegesetz auch vor allem Symbolpolitik sein – bei der tariflichen Regulierung von Arbeit liegt tatsächlich viel im Argen. So sieht eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2022 vor, dass die Tarifbindung in den Mitgliedsstaaten bis Ende 2024 auf 80 Prozent gesteigert werden soll – sonst wird ein nationaler Aktionsplan verlangt. In Deutschland erreicht sie nicht einmal 50 Prozent. Wollte die Regierung das ändern, müsste sie auf einer dauerhaften Tarifierung ihrer Geschäftspartner bestehen – und darauf verzichten, immer mehr öffentliche Aufgaben an Subunternehmen [2]abzutreten, auf deren Umgang mit Beschäftigten sie faktisch kaum Einfluss hat.
Die Privatisierungswellen seit den 80er Jahren jedenfalls hießen: weniger Tarifbindung, weniger Betriebs- und Personalräte, weniger staatlicher Einfluss auf gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen, sei es bei Gesundheit, Strom und Wasser, Wohnen oder im öffentlichen Personenverkehr.
Wer die Tarifbindung ernsthaft steigern will, müsste es dem Arbeitsministerium erleichtern, bestehende Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. In der Altenpflege[3] etwa oder im Einzelhandel scheitert dies regelmäßig, weil neben Gewerkschaften auch Unternehmerverbände zustimmen müssen. Letztere höhlen die Tarifbindung aber teilweise aus, indem sie Firmen »OT-Mitgliedschaften« (»ohne Tarif«) anbieten. Klagen von »Arbeitgeber«-Verbänden über »schwarze Schafe« in den eigenen Reihen, die Lohn- und Sozialdumping betreiben, sind vor diesem Hintergrund scheinheilig.
Zudem müsste der Missbrauch von Tarifverträgen im Fall von Leiharbeit [4]beendet werden. Der gesetzliche Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gilt nur, solange kein Tarifvertrag für Leiharbeit geringere Vergütungen vorsieht als in Entleihbetrieben. Darum ist die Tarifbindung (mit 98 Prozent!) nirgends höher als ausgerechnet in der Zeit- bzw. Leiharbeit – eine Farce, die leider auch Gewerkschaften mittragen.
Trotz alledem geht an Tarifverträgen kein Weg vorbei: Nur durch kollektive Standards für Vergütung[5], Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung kann das strukturelle Machtgefälle zwischen Kapital und Arbeit wenigstens ein Stück weit reduziert werden. Durchsetzen müssen diese Standards Beschäftigte und ihre Gewerkschaften – auf den Staat allein ist kein Verlass.