Patientinnen und Patienten mit Schmerzen an Knie oder Hüfte sollten sich aus Sicht der Krankenkassen weniger auf Selbstzahler-Leistungen beim Arzt einlassen. Spritzen gegen Knie- oder Hüftgelenksarthrose verursachen mehr Schäden, als dass sie nutzen, wie der Medizinische Dienst bei der Präsentation seines neuen »Igel-Monitors« mitteilte. Hierzu zählen Gelenkentzündungen oder Herzbeschwerden. Die Schmerzreduktion sei hingegen so minimal, »dass sie klinisch nicht von Bedeutung ist«.
»Igel« steht für individuelle Gesundheitsleistungen in ärztlichen Praxen. [1]Sie gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und sind von den Patienten selbst zu zahlen. Jedes Jahr geben gesetzlich Versicherte laut dem Medizinischen Dienst mindestens 2,4 Milliarden Euro dafür aus. Die Orthopädie gehört mit 397 Millionen Euro zu den umsatzstärksten Fachgebieten im Igel-Markt, nach Augenheilkunde mit 544 Millionen und Gynäkologie mit 543 Millionen Euro.
Bei den Knie- und Hüftspritzen geht es um Injektionen mit Hyaluronsäure, die fehlende Gelenkflüssigkeit ausgleichen soll. Diese Spritzen kosten pro Behandlungszyklus zwischen 220 und 300 Euro. Je nach verwendetem Präparat können aber auch 500 Euro und mehr fällig werden. Dabei überwiegen mögliche Schäden den Nutzen laut dem Begutachtungsdienst der gesetzlichen Krankenkassen deutlich.[2] Dies gehe aus zahlreichen Studien hervor, mit denen diese Injektionen seit über 50 Jahren bewertet würden.
Dass die Spritzen gefragt sind, liegt an der weiten Verbreitung der Arthrose und dem Fehlen einer heilenden Therapie. Schätzungsweise ist in Deutschland jede sechste Person zwischen 60 und 80 Jahren von einer Kniegelenks- und jede oder jeder Zehnte von einer Hüftgelenksarthrose betroffen, bei über 80-Jährigen deutlich mehr. Im Gegensatz zur Hyaluronsäure-Injektion werden mehrere Behandlungen, die die Schmerzen lindern und die Beweglichkeit verbessern sollen, von den Kassen übernommen – bis hin zu Gelenkersatz bei schwerer Arthrose.
Auch Kalkschulter und Tennisarm treiben viele Menschen in die Praxis. Die Sehnenerkrankungen beeinträchtigen Betroffene durch Schmerzen und verringerte Bewegungsfähigkeit. Hier wird ihnen oft Stoßwellentherapie angeboten, auch dies eine Selbstzahlerleistung. obwohl laut der Krankenkassen-Erhebung kaum aussagefähige Studien zu Nutzen und Schaden vorliegen. Bringt Stoßwellentherapie etwas? »Unklar«, lautete das Urteil des Medizinischen Dienstes.
Der »Igel-Monitor« nimmt seit 2012 die verschiedenen angebotenen Therapien unter die Lupe. Nun zogen die Expertinnen und Experten ein ernüchterndes Fazit: Von 60 geprüften Leistungen wurden 31 negativ bewertet. Bei 26 ist das Ergebnis mangels ausreichender Studien unklar. Nur drei Selbstzahlerleistungen schneiden tendenziell positiv ab.
Dass solche Leistungen trotz der ernüchternden Schaden-Nutzen-Bilanz oft durchgeführt würden, liege an mangelhafter Information. »Uns besorgt, dass die Patientinnen und Patienten in den ärztlichen Praxen oftmals nicht über das Schadensrisiko aufgeklärt werden«, sagte der Vorsitzende des Medizinischen Dienstes, Stefan Gronemeyer. Er fordert zwei Neuregelungen zur Eindämmung des Problems: »Die Praxen sollten verpflichtet werden, unabhängig erstellte wissenschaftsbasierte Bewertungen und Informationen regelhaft anzubieten. Darüber hinaus sollten Igel nicht an dem Tag erbracht werden dürfen, an dem sie angeboten werden.« Die Betroffenen sollten Bedenkzeit haben.
Viele Versicherte denken indes laut einer Umfrage, die Leistungen seien sinnvoll, würden aber trotzdem nicht mehr von den Kassen übernommen. »Das ist falsch«, sagte Gronemeyer. Er kritisierte Nutzenversprechen durch Praxisflyer und -TV. An die Adresse niedergelassener Ärzte sagte Gronemeyer: »Wir brauchen Fakten statt Werbung in den Wartezimmern.« dpa/nd